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Lesetipp: Auf Pump: Wie die Spritpreise auch in der Region zum Problem werden

Lesetipp

Auf Pump: Wie die Spritpreise auch in der Region zum Problem werden

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    Die Tankstelle von Hans Brunner: Weil das Getriebe seiner Zapfsäulen so alt ist, sind Beträge über der Zwei-Euro-Grenze zu viel für die Maschine. Also berechnet er  Halbliterpreise.
    Die Tankstelle von Hans Brunner: Weil das Getriebe seiner Zapfsäulen so alt ist, sind Beträge über der Zwei-Euro-Grenze zu viel für die Maschine. Also berechnet er Halbliterpreise. Foto: Armin Weigel, dpa

    Vermutlich tritt man dem Städtchen Oberviechtach nicht zu nahe, wenn man sagt: Die Erde hält Flecken bereit, um die der Zeitgeist keinen so großen Bogen gemacht hat. Im Gasthof Pösl ist das Tischtuch bestickt, der Fliesenboden lachsrosa und der Schweinebraten unbedingt in bar zu bezahlen. Die kleine Spielothek hier heißt – wie auch sonst – „Jackpot“. Und am Ortsausgang, dort, wo es weitergeht, nach Werneröd und Lind und Gaisthal, weiter ins oberpfälzische Nichts, dort, am rechten Straßenrand, lässt sich eine fliederfarben gestrichene Tankstelle von diesem verregneten Mittwoch begießen.

    Griff an den Zapfhahn, Hebel drücken, warten auf das finanzielle Fiasko, das jetzt gleich vor sich hingluckern wird. Das alte mechanische Zählwerk beginnt zu rattern. Und dann folgt der Wahnsinn: Sechs Liter Benzin – 6,20 Euro. Acht Liter – 8,27 Euro. Zehn Liter – 10,34 Euro. Hier also, in Oberviechtach, muss der einzig verbliebene Freund des Vielfahrers liegen, die letzte Bastion des Billigsprits.

    Ein Drittel des Erdöls kommt aus Russland

    Seit Wladimir Putins Krieg in der Ukraine tut tanken weh. Deutschland bekommt gut ein Drittel seiner Erdöl-Einfuhren aus Russland geliefert, dem global zweitgrößten Erdölexporteur. Nun diskutieren westliche Politikerinnen und Politiker über ein Embargo, und die Märkte werden nervös. Wer aktuell , muss 105 US-Dollar hinlegen. Zu Jahresbeginn waren es noch 35 Prozent weniger. Das sind die trockenen Kennzahlen der Weltwirtschaft. Übertragen auf die bittere Realität der VW-Golf-Besitzerin heißt das: einmal volltanken – oder zu zweit schick essen gehen.

    Und vielleicht sollte man ja – um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen – gerade jetzt den Tag an einer Zapfsäule verbringen, die an die gute alte Zeit erinnert, wo alles noch so zu laufen scheint wie vor 40 Jahren, der Zapfhahn, das mechanische Zählwerk, die Spritpreise. Wo die Kundschaft noch auf Rechnung schreiben kann und der Kühlschrank keine drei Dutzend Energy-Drink-Sorten bereithält. Ein Boxenstopp an Deutschlands womöglich kuriosester Tanke, bei Hans und Margarete Brunner in Oberviechtach.

    Beim Wert 1,999 ist auf der Tankanzeige Schluss

    Die Sache mit der alten Tankanzeige hat natürlich einen Makel. Hans Brunner verramscht seinen Sprit nicht, er bietet ihn nur zu Halbliterpreisen an. Denn am Getriebe seiner Säulen nagt die Zeit. Alles jenseits der Zwei-Euro-Marke ist nicht nur zu viel für die Menschen, sondern rein technisch auch für die Anlage. Bei 1,999 ist Schluss – „wie bei einem Auto, das noch keinen siebten Gang hat“, sagt Brunner, 73, nie um eine Kfz-Metapher verlegen. Für ihn ist das alles ein bisschen Déjà-vu. Als kurz vor der Einführung des Euro, Brunner sagt: „Teuro“, die Benzinkostenkurve mal wieder nach oben ging, schrieb er per Hand einen Zettel und klebte ihn an die Zapfsäule: „Verehrte Kundschaft, wir bitten um Ihr Verständnis. Da die Zapfsäule Preise über 2 DM pro Liter nicht mehr verkraftet, mußten wir den Preis für einen halben Liter einstellen. Das DM-Zählwerk ganz oben zeigt deshalb nur die Hälfte des zu zahlenden Betrags.“ Vor ein paar Wochen hat Brunner den Text wieder ausgepackt, das „ß“ eliminiert, die „D-Mark“ gegen den „Euro“ getauscht und am Computer ausgedruckt.

    Weiter also im Tankprozedere: 33,50 Euro zeigt die Säule. Für etwas mehr als 32 Liter. Stechschritt zur Kasse, helles Klingeling wie im Tante-Emma-Laden damals, Betrag mit zwei multiplizieren, EC-Karte zwecklos. Margarete Brunner stellt eigenhändig eine Quittung über 67 Euro aus und haut einen Stempel drauf. Ihr Verkaufsraum ist auf das Nötigste reduziert. Ein Regal mit Scheibenreinigern und Motoröl. Eines für ungekühlte Getränke. Zwischen Blumendeko stehen zur Auswahl: Mandarinenschorle, eine Sorte Bier, Sekt und Primitivo. An der Theke ein Ständer mit Schokoriegeln, ein Flechtkorb mit Kamellen und eine Box mit Schnupftabak. Hinter der Kasse kein raumfüllender Zigarettenwandschrank, sondern fünf kleine Fächer. Ein vergilbtes Foto zeigt eine föhnfrisierte Frau auf dem Fahrersitz eines Benz-Coupés: Margarete Brunner, 1979.

    Margarete Brunner an der Kasse und (darüber) 1979 in einem Mercedes Benz.
    Margarete Brunner an der Kasse und (darüber) 1979 in einem Mercedes Benz. Foto: Fabian Huber

    Seit 53 Jahren sind zwei Tankstellenbetreiber nun schon verheiratet. Sie hatten sich kennengelernt, wie man sich eben kennenlernte, in den 60ern: im Tanzlokal Waldeslust. Sie eine Bauerstochter aus Weiding, Landkreis Cham. Eine dezent geschminkte Frau mit dicken Ohrringen. Er in Oberviechtach großgeworden, Landkreis Schwandorf, ein Funktionsjacke-über-Fleecehemd-Träger. 1966 ließen seine Eltern den britischen Mineralölkonzern BP auf ihr Grundstück. Aus dem Obstgarten wurde eine Tankstelle. Die Lage war gut, eine Kaserne gleich um die Ecke, alle drei Söhne hatten Kfz-Handwerker gelernt, vorne, in der Ortsmitte, bei Shell.

    Diesel kostete 85 Pfennig, Super 90 Pfennig

    Mit 18 Jahren also verkaufte Hans Brunner im Namen von BP Sprit an die Oberviechtacher, gemeinsam mit seinem Bruder, der 1971 verunglückte. Seitdem sitzt Margarete Brunner hier an der Kasse. Als sechs Jahre später der TÜV die verrosteten Kraftstofftanks beanstandete, zog BP ab und nahm seine Zapfsäulen wieder mit. Brunner stellte neue auf, feuerrote, sie gefielen ihm nicht, also strich er sie fliederlila. 1978 eröffnete er seine freie Tankstelle. Autofahren war noch nicht verpönt, die Welt so im Fluss wie der Samstagnachtverkehr auf der A9, der Liter Diesel kostete 85, der Liter Super 90 Pfennig. Brunner passte alle vier Wochen mal seine Preise an. Waren andere Zeiten.

    Jetzt verfolgt er die Entwicklung genau. Was macht die Oberviechtacher Shell? Was die Tännesberger Avia? Und was die Schönseer Raiffeisen? Per Computer wechseln Markentankstellen ihre Preise alle paar Stunden. Brunner hingegen vergleicht im Internet, packt sich dann meist einmal täglich seine Hochast-Gartenstange, an die er einen Vakuumsauger montiert hat, und wechselt die Blechziffern auf seiner großen Säulenanzeige. Nur ist heute der vorletzte Märztag, das Datenvolumen auf seinem Handy verbraucht. Also bleibt der Preis halt so.

    Auch die Stammtanker müssen in der Krise sparen

    „Vor dem Krieg war alles normal“, sagt der Tankstellenveteran. Und jetzt, zu Kriegszeiten, kommt die Frau von der Caritas angefahren, die Tankuhr bleibt bei 25 Euro stehen, Margarete Brunner sagt: „Fünfzig!“, notiert den Betrag auf eine linierte Karte und sortiert sie in ein Namensregister hinter sich. Der Sprit geht hier noch auf Monatsrechnung. Nur tanken die Stammtanker eben immer weniger. „Die Leute müssen sparen“, sagt Margarete Brunner. „Sonst reicht es hinten und vorne nicht.“

    Gottfried Steger zum Beispiel, acht Liter: „Früher bin ich g’fahrn wie ein Weltmeister. Jetzt nimma, weil’s Geld nicht reicht. Wenn die Rente kommt – am Monatsanfang –, tanke ich voll.“ Stefan Haberl, SUV-Fahrer: „Ich tanke nur noch für 30, 40 Euro.“ Erik Waengler, Skoda in Rotweinrotlackierung, Diesel: „Ich habe wegen der Pandemie mein Fahrtpensum gedrittelt.“ Schmerzt trotzdem, das Tanken, oder? – „Überflüssige Frage“, sagt er, zuckt mit den Schultern, lacht. Und zahlt dann 60 Euro für 28 Liter.

    Weltweit haben Regierungen auf die Spritpreisexplosion reagiert. An Frankreichs Tankstellenkassen gibt es seit Freitag einen 15-Cent-Rabatt pro Liter. In Großbritannien, Italien oder Neuseeland wurden die Steuern auf Kraftstoff gesenkt. Österreich erhöht seine Pendlerpauschale um 50 Prozent. Auch die Ampel-Koalition in Berlin lenkt gegen: Eine einmalige Energiepauschale von 300 Euro soll es geben. Vergünstigte ÖPNV-Tickets. Und ebenfalls eine dreimonatige Steuersenkung auf Sprit. Das würde Benzin um bis zu 30 Cent pro Liter verbilligen, Diesel um bis zu 14 Cent. Und Hans Brunner könnte seine Hinweiszettelwirtschaft an den Zapfsäulen vermutlich wieder abhängen. Aber er sagt: „Die Politik kommt nur langsam in Gang.“ Ab wann die Erleichterungen gelten, ist noch unklar.

    Oberviechtach: Die Bevölkerung ist auf das Auto angewiesen

    Mittagspause in Oberviechtach. Margarete Brunner hat Nudelsuppe aufgekocht. In der Stube hinterm Verkaufsraum ist Platz für einen Tisch, zwei Stühle, einen Herd und ein Bügelbrett – „falls ich mal Zeit hab“, sagt sie. Hier hat Brunner ihre zweite Tochter aufgezogen, hat einen Laufstall zur Arbeit gebracht. Die Tankstelle war immer Teil ihres Lebens, ein zu großer, irgendwann. Um mehr Zeit als Familie verbringen zu können, blieben die Zapfanlagen an den Wochenenden und werktags nach 18 Uhr bald geschlossen. „Die Leute haben sich dran gewöhnt“, sagt Margarete Brunner. Bis auf ein paar Urlauber im Sommer verlieren sich ohnehin fast nur Einheimische in ihr Geschäft. Sie sprechen dann über das Stück Wald, das sie gerade erst gekauft haben, oder von Putin, „dem Verbrecher“. Davon, dass es doch eigentlich „geteiltes Leid ist halbes Leid“ heiße. Nur bei den Brunners, haha, da sei es genau umgekehrt, wegen den Halbliterpreisen und dem doppelten Aufschlag beim Zahlen.

    Es ist ja so, dass, wer aus Oberviechtach kommt, sein Auto schon auch noch braucht und nicht einfach mit dem 365-Euro-Ticket vier Stationen bis zum nächsten Kiez fahren kann. Die Leute müssen nach Regensburg oder ins BMW-Werk nach Wackersdorf. Und dafür brauchen sie entweder eine bessere Busanbindung. Oder eben Sprit.

    14.37 Uhr, der Tanklaster kommt, gelenkt von einem wuchtigen Mann in gelber Warnjacke, der seinen Kaffee „süß und blond“ bestellt – außer Margarete Brunners Hörweite, versteht sich. 13.000 Liter Super hat sie beim Großhändler bestellt und glaubt man der Aufschrift auf dem Lader, dann handelt es sich dabei um „Energie mit Sympathie“. Wirklich? Also nicht aus Russland? „Daher, wo’s gerade am günstigsten ist: Ingolstadt, Neustadt oder Leuna“, sagt der Fahrer.

    Die beiden bayerischen Raffinerien beziehen ihr Rohöl aus den großen Mittelmeerhäfen in Triest und bei Marseille. Dort kommen Tanker aus der ganzen Welt an. Die Fabrik im sächsischen Leuna aber setzt auf Öl, das durch eine Pipeline namens „Freundschaft“ fließt. In der Sprache seiner Bauherren heißt sie „Druschba“ und das wiederum ist: Russisch. In Brunners Tanks fließt also auch Energie mit Antipathie. Zumindest noch ein bisschen. Denn Total, Betreiber der Raffinerie in Leuna, hat angekündigt, spätestens Ende des Jahres kein Öl mehr aus Russland zu verarbeiten.

    10.000 bis 15.000 Euro pro Zapfsäule

    Die Welt, auch Deutschland, will sich lösen von Putins Energieträgern. Unternehmen lassen Verträge mit russischen Lieferanten auslaufen. Wirtschaftsminister Robert Habeck strebt an, bis zum Jahresende „nahezu unabhängig“ von russischen Ölimporten zu sein.

    Nur die Brunners scheinen nicht von ihrer alten Tankstelle zu trennen zu sein. „Wer rastet, der rostet“, scherzt Hans Brunner. „Die Kunden lassen uns nicht aufhören. Und wir hängen auch an ihnen.“ Es sei ja nie etwas passiert in diesen 55 Jahren, kein Raubüberfall, nichts. Gut, einmal habe ein Soldat die Scheiben eingeschlagen, weil er rausgeflogen ist. Und ein paar Lausbuben seien auch mal über die Werkstatt eingestiegen, um Getränke zu klauen. Aber sonst? Eine Überwachungskamera werden sie hier nicht mehr hinschrauben. Und modernere Zapfsäulen schon gleich dreimal nicht. „Kosten 10.000 bis 15.000 Euro das Stück“, sagt Hans Brunner. Und das, findet er, sei ja nun wirklich zum Fenster rausgeschmissenes Geld.

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