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Pro & Contra: Sollte die Wehrpflicht wieder eingeführt werden?

Pro & Contra

Sollte die Wehrpflicht wieder eingeführt werden?

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    Seit 2011 kein Muss mehr: Kommt die Wehrpflicht zurück?
    Seit 2011 kein Muss mehr: Kommt die Wehrpflicht zurück? Foto: Sina Schuldt, dpa

    Pro: Wehrpflicht ja, aber die Debatte kommt zur Unzeit

    Mit der Wehrpflicht ist es wie mit der Sommerzeit. Beide Themen ploppen regelmäßig auf und verschwinden danach schnell. Die Wehrbeauftragte Eva Högl beispielsweise stellte sie im Sommer 2020 zur Debatte, nannte die Aussetzung einen Riesenfehler. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges wurde die Diskussion erneut geführt – und jetzt wieder. Nicht erst der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius ventilierte das Thema. Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) zählte die Aussetzung neben dem Sparprogramm für die Truppe jüngst im Bundestag zu den Fehlern "von konservativen Politikern", die die neue Regierung beseitigen werde. 

    Die grundsätzliche Verpflichtung zum Dienst tat vielen jungen Menschen gut. Für die einen war sie die Chance, sich nach der Ausbildung eventuell noch einmal beruflich neu aufzustellen. Vielen Abiturienten bot der Wehr- oder Ersatzdienst eine willkommene Möglichkeit, von der Theorie in die Praxis zu wechseln. Sie nützte auch der Bundeswehr, weil durch sachten Druck Menschen zur Truppe stießen, die heute fernbleiben. Bis zum Juli 2011 war die deutsche Armee deshalb ein lebendiges Abbild der Gesellschaft. Weitgehend ohne Frauen, aber dieser Fehler ließe sich leicht korrigieren. 

    Von einer modernisierten Wehrpflicht könnten viele profitieren. Die Debatte darüber muss jedoch in Ruhe geführt werden. Unbelastet von einem Krieg in Europa, befreit von Gedankenspielen über einen "Verteidigungsfall". Letzterer gilt nur, wenn die Bundesrepublik mit Waffen angegriffen wird oder solch ein Angriff unmittelbar bevorsteht. Käme es dazu, wäre die Wehrpflicht die kleinste Sorge. Außerdem entscheiden nicht einzelne FDP-Politikerinnen oder der Kanzler über die Einsetzung der Wehrpflicht. Das ist Sache des Bundestages, der 2011 eine kontroverse, aber auch konstruktive Debatte über die Aussetzung führte.

    Eine solche braucht es wieder, und zwar mit dem Ziel, die Wehrpflicht aufleben zu lassen. Die Diskussion sollte jedoch ohne Emotionen und deshalb losgelöst vom Ukraine-Krieg geführt werden. (Stefan Lange)

    Contra: Deutschland braucht keine große, sondern eine professionelle Armee

    Seien wir ehrlich: Wir hatten nichts von der Bundeswehr, als wir in den achtziger Jahren eingezogen wurden - und die Bundeswehr nichts von uns. Obwohl der Kalte Krieg mit dem Nato- Doppelbeschluss auf seinen letzten Höhepunkt zusteuerte, herrschten in den Kasernen Zustände, die schon an Arbeitsverweigerung grenzten und es jedem Angreifer leicht gemacht hätten, eine betäubende Dosis aus Lethargie und Mangelverwaltung. Die alte Bundesrepublik war, wenn überhaupt, nur bedingt abwehrbereit und auf uns Wehrpflichtige kein Verlass. Wer einrücken musste und nicht verweigern wollte, tat das - und saß seine Zeit ab.

    Den russischen Angriff auf die Ukraine nun als Argument für die Wiedereinführung der Wehrpflicht heranzuziehen, ist jedenfalls eine Schnapsidee. Ganz abgesehen davon, dass die Bundeswehr heute weder den Platz noch das Personal oder das Geld hat, um jedes Jahr zigtausende junger Soldaten auszubilden: Deutschland braucht keine möglichst große, sondern eine möglichst professionelle Armee. Eine Armee, für die junge Menschen sich bewusst entscheiden und nicht wie früher unter staatlichem Zwang. Dazu aber muss die Bundeswehr, erstens, als Arbeitgeber deutlich attraktiver werden und, zweitens, bei der Rekrutierung auf Qualität achten anstatt auf Quantität. Von 30 Nato-Ländern haben deshalb nur noch fünf eine allgemeine Wehrpflicht.

    Die Waffensysteme werden immer anspruchsvoller, die Einsätze immer komplexer, und gegen die neue Bedrohung aus dem Cyberraum hilft kein noch so gut ausgebildeter Schütze und keine noch so starke Panzerkompanie. Der Beruf des Soldaten wird zunehmend zum High-Tech-Beruf - diese Spezialisten aus der Masse der Wehrpflichtigen herauszufiltern und für einen längeren Dienst am Vaterland zu gewinnen, ist um einiges aufwendiger als die gezielte Suche nach ihnen. Hier allerdings hat die Bundeswehr bisher nicht viel mehr als den plakativen Slogan „Wir dienen. Deutschland.“ anzubieten. Ein höherer Sold? Weniger Versetzungen? Ein familienfreundlichers Umfeld? Anstatt jetzt mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht zu flirten und jungen Menschen ein Jahr ihres Lebens rauben zu wollen, sollte der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius sich lieber mit den aktuellen Nöten der Truppe beschäftigen.

    Auch das häufig gebrauchte Bild vom Staatsbürger in Uniform, der erst durch die Wehrpflicht heranwachse, ist nicht mehr als eine Schimäre. Über die Einsätze der Bundeswehr entscheidet kein General und keine e oberste Heeresleitung, sondern der Bundestag. Demokratischer geht es nicht. (Rudi Wais)

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