Der Mann, der den richtigen Ton trifft, der die Dinge klar anspricht und endlich voranbringt, der zuverlässig das Beliebtheitsranking für deutsche Politikerinnen und Politiker anführt: Boris Pistorius schien alles zu gelingen, seitdem er vor gut einem Jahr der wenig überzeugenden Parteifreundin Christine Lambrecht als Verteidigungsminister nachfolgte. Schon spekulierten Medien, ob der frühere niedersächsische Innenminister nicht auch als Kanzler eine Idealbesetzung wäre. Gelassenere Beobachter fragten sich allerdings schon lange, wann diese fast schon zu perfekte Welle bricht.
In den letzten Wochen deutete sich an, dass dieser Zeitpunkt nun gekommen ist. Berichte über die Probleme von Pistorius, seine Reformvorstellungen bei den Streitkräften durchzusetzen, häuften sich. Pünktlich zur Sicherheitskonferenz in München veröffentlichte der Spiegel ein wenig schmeichelhaftes Porträt unter dem Titel „Der Scheinharte“, garniert mit einem offenbar etwas unglücklichen Auftritt als Grünkohlkönig in Oldenburg. Quintessenz des Magazins: Der Minister liefert ständig neue Ideen, aber kaum etwas Greifbares, läuft Gefahr, ein „Ankündigungsminister“ zu werden. Der CDU-Experte für Außenpolitik, Norbert Röttgen, sprach von „Nichtstun durch Überankündigungen“.
Bisher lässt sich der Niedersache Pistorius nicht aus der Ruhe bringen
Auf der Sicherheitskonferenz allerdings präsentierte sich Pistorius wie gewohnt – souverän und offen. Die Kritik der letzten Tage hat ihn ganz offensichtlich nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Für den stellvertretenden Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Christian Mölling, ist es nicht überraschend, dass Pistorius auf Widerstände stößt: „Dass er jetzt die Mühen der Ebene zu spüren bekommt, ist normal. Diese Phase haben alle Vorgänger und Vorgängerinnen durchlebt. Da muss er durch“, sagte der Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik unserer Redaktion. Nach wie vor profitiert Pistorius davon, dass seine unprätentiöse, zugleich aber zugewandte Art in der Truppe gut ankommt – sein Umgang mit den Soldatinnen und Soldaten erinnert an den 2012 verstorbenen Peter Struck (SPD), der von 2002 bis 2005 Verteidigungsminister war.
Dieses Jahr dürfte darüber entscheiden, ob der gebürtige Osnabrücker die in ihn gesetzten Erwartungen zumindest in Teilen erfüllen kann. Auf ihn warten Herkulesaufgaben: Ganz oben auf der Agenda steht der Ausbau der Kapazitäten der Rüstungsindustrie – zur Unterstützung der Ukraine, aber auch, um die Bundeswehr endlich adäquat auszustatten. Ebenso wichtig ist es, die Verwaltung und die ineffektiven Kommandostrukturen zu reformieren. Damit wäre die Basis geschaffen, die deutschen Streitkräfte auf den Weg zur „Kriegstauglichkeit“ zu bringen, ein vom Minister eingeführter Begriff, der viele Deutsche verschreckt – auch wenn er nichts anderes bedeutet als das weniger martialisch klingende Ziel „Verteidigungsfähigkeit“.
Den Vorschlag, das Sondervermögen auf 300 Milliarden Euro zu erhöhen, sieht Pistorius kritisch
All dies kostet viel Geld. Das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen ist zu einem großen Teil ausgegeben oder zumindest verplant. Dem Vorschlag des CDU-Verteidigungsexperten Roderich Kiesewetter, das Sondervermögen auf 300 Milliarden Euro zu erhöhen, steht Pistorius skeptisch gegenüber. Er fürchtet, dass die Inflation dann an dem Budget nagt und verweist darauf, dass die wachsenden laufenden Kosten für eine besser ausgerüstete Truppe daraus nicht gedeckt werden würden. Der Minister plädiert dafür, mehr Geld in den regulären Verteidigungshaushalt einzustellen. Folgerichtig, dass er auf der Sicherheitskonferenz orakelte, dass eine Anhebung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato auf „drei oder sogar 3,5 Prozent“ nötig sein könnte. „Das hängt davon ab, was in der Welt passiert“, sagte der Sozialdemokrat vor dem Hintergrund einer internationalen Lage, die nur wenig Hoffnung auf eine friedvolle Zukunft macht.
Eine Aussage, die die Gruppe um SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der schon zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für die Verteidigung suspekt waren, genau registriert haben dürfte. Mützenich fürchtet, dass zusätzliches Geld für Rüstung im Sozialetat eingespart werden wird.
Die zerstrittene Ampelkoalition ist auch für Pistorius ein Problem
„Es ist ein Problem für Pistorius, dass er Teil einer Koalition ist, in der alle drei Partner angeschlagen sind. Da ersetzt die Angst, Fehler zu machen, den Mut, etwas anzugehen“, sagt Mölling. Immerhin gab es bei der Sicherheitskonferenz Anzeichen dafür, dass sich der Kanzler auf die Seite des Verteidigungsministers stellen könnte. „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts“, sagte Olaf Scholz in München. Wenig später klang dies bei Pistorius ganz ähnlich: Natürlich seien Investitionen in Bildung und Infrastruktur nötig, aber „ohne Sicherheit sei alles nichts“.
Sich selbst unter Druck gesetzt hatte Pistorius, als er im Juni 2023 angesichts der russischen Bedrohung die dauerhafte Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen angekündigt hatte. Ein Versprechen, das im Nato-Hauptquartier in Brüssel Freude auslöste, in der litauischen Hauptstadt Vilnius fast Euphorie. Doch in der Heimat warnten Experten umgehend, dass es schwer werden würde, für das Baltikum ab dem Jahr 2027 einen einsatzbereiten Heeresverband auf die Beine zu stellen.
4800 Soldatinnen und Soldaten, aber – wenn vorhanden – auch deren Familien müssen überzeugt werden, dort längere Zeit zu leben. Ein Novum in der Geschichte der Bundeswehr. „Dass die Vorbereitungen für die Aufstellung der Brigade in Litauen zügig und effektiv anlaufen, ist sehr wichtig für ihn. Da geht es um seine Glaubwürdigkeit“, sagte Christian Mölling.
Gereizte Reaktion auf Fragen nach Taurus-Marschflugkörpern für die Ukraine
Die Frage ist, ob der Verteidigungsminister noch ausreichend Gelegenheit hat, das Projekt in erfolgreiche Bahnen zu lenken. Denn die andauernden Ampelzwistigkeiten drohen aktuell im Streit um die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine existenzbedrohende Ausmaße für die Koalition anzunehmen. Die Abstimmung am Donnerstag über einen gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen droht zum Desaster für die Ampel zu werden.
Kein Wunder, dass ein sonst entspannter Minister in München, auf das Thema Taurus angesprochen, gereizt reagierte. In Berlin gilt als ausgemacht, dass Boris Pistorius seinen Job gerne über die Legislaturperiode hinaus behalten würde. Dieses Ziel ist akut gefährdet.