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Politiker-Karrieren: Von der Schulbank ins Parlament – und keine Ahnung vom normalen Leben

Politiker-Karrieren

Von der Schulbank ins Parlament – und keine Ahnung vom normalen Leben

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    Wird der Bundestag immer mehr zum Tal der Ahnungslosen? Einiges spricht dafür.
    Wird der Bundestag immer mehr zum Tal der Ahnungslosen? Einiges spricht dafür. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die meisten Abgeordneten im Deutschen Bundestag kommen aus der Theorie. Rechtsanwälte, Politikwissenschaftlerinnen und Lehrer führen die Liste der dort vertretenen Berufsgruppen an. Handwerkerinnen, Landwirte oder Krankenschwestern sind auf den hinteren Plätzen zu finden. Für ein Parlament, das die Interessen des gesamten Volkes vertreten soll, ist das eher schlecht. In neuerer Zeit muss sich das Wahlvolk mit Politikerinnen und Politikern abfinden, die gar nichts gelernt haben. Tobias Hans, der bei der Saarland-Wahl furios scheiterte und zurücktreten musste, ist gerade ein prominentes Beispiel. Es gibt aber noch einige mehr.

    Wer die Internetseite des 44-jährigen Hans besucht, landet auf dem Ponyhof. Bilder davon kommen zuerst, wenn es um „wichtige Stationen“ seines Lebens geht. Den beruflichen Werdegang hat der Saarländer weiter unten versteckt, es gibt da auch nicht viel zu berichten. Nach dem Abitur versuchte es Hans mit einem Studium, brach es ab, um dann „Politiker mit Leib und Seele“ zu werden. Sein Netzwerk trug ihn in die Saarbrücker Staatskanzlei. Weil seine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer nach Berlin wechselte, wurde er Ministerpräsident. Den Job ist er allerdings los, ebenso sein Amt als Chef der Saar-CDU.

    Tobias Hans will nach der misslungenen Wahl im Saarland nicht erneut für den Landesvorsitz seiner Partei kandidieren.
    Tobias Hans will nach der misslungenen Wahl im Saarland nicht erneut für den Landesvorsitz seiner Partei kandidieren. Foto: Oliver Dietze, dpa

    Meinungsforscher Güllner: "Keine Erfahrung mit dem normalen Leben"

    Man kann einen solchen Werdegang mit Häme betrachten, oder aber die Folgen in den Blick nehmen, die es nach sich zieht, wenn immer mehr Politikerinnen und Politiker ohne Ausbildung an die Macht kommen. Manfred Güllner etwa hält diesen Trend „in der Tat für gefährlich“. Es sei dann „überhaupt keine Erfahrung mit dem normalen gesellschaftlichen Leben und der Arbeitswelt vorhanden“, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, der den Politikbetrieb seit Jahrzehnten analysiert.

    Die erschreckende Abnahme des Vertrauens in Union und SPD liege nicht nur, aber auch in der „falschen Professionalisierung der Parteien“ begründet, sagt Güllner. So sei die

    Praktisch über Nacht habe die Entfremdung von diesem Prinzip eingesetzt und zum Niedergang der SPD beigetragen. „Kevin Kühnert wird nie das Vertrauen eines Bergbau- oder Chemiearbeiters haben. Die Menschen wählen dann im Zweifel gar nicht mehr“, sagt Güllner.

    Kevin Kühnert: Nix gelernt, aber große Klappe

    In der Tat kommt keine Diskussion über die Qualifikationen der neuen Politikergeneration ohne den Verweis auf Kühnert aus. Zweimal ein Studium begonnen, keines abgeschlossen, dazwischen in Abgeordnetenbüros tätig – für einen, der selbst noch nichts auf die Kette bekommen habe, nehme Kühnert den Mund ganz schön voll, lautet der Tenor seiner vielen Kritiker. Seine ebenso zahlreichen Anhänger halten mit dem Argument dagegen, dass man Schnauze und Mut halt nicht im Hörsaal lernen kann. Und sie verweisen darauf, dass Kühnert rund vier Jahre im Callcenter eines Spielzeugversenders gejobbt hat, was ihn mehr als jedes Studium in die Lage versetze, über soziale Gerechtigkeit zu diskutieren.

    Dient das Parlament in seiner Gesamtheit dem Volk - oder doch manchmal den eigenen Interessen?
    Dient das Parlament in seiner Gesamtheit dem Volk - oder doch manchmal den eigenen Interessen? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Kühnert und Co. mögen frech sein, ihnen fehlt nach Güllners Einschätzung aber der Rückhalt im Volk. „Diese Menschen leben wirklich in einer Blase, da ist dieser Begriff ja genau richtig“, sagt er. „Wenn ich mir zum Beispiel die neuen Bundestagsabgeordneten der SPD anschaue, dann gibt es bei den Jüngeren nur ganz wenige, die mehr Erst- als Zweistimmen haben.“ In früheren Jahren sei das anders gewesen, da hätten die Bewerber der großen Parteien meist mehr Erststimmen bekommen. Dieser Trend zeige, dass viele Politiker „überhaupt nicht mehr in der Wählerschaft verankert sind, sondern eben über die Zweitstimme für die Partei ins Parlament einziehen.“

    Unreife umgeben sich mit Unreifen 

    Die Entwicklung hat nach Güllners Beobachtung Auswirkungen über den einzelnen Abgeordneten hinaus. Denn oft würden sich diese nach der Wahl noch Freunde und Bekannte ins Mitarbeiterteam holen. „Das sind dann gegebenenfalls Menschen, die genauso ticken und auch keine Erfahrung haben. Für politische Entscheidungsprozesse wird es dann kritisch“, erklärt das langjährige SPD-Mitglied.

    Sicher ist: Die Zeiten, in denen ein Doktortitel für den Polit-Nachwuchs als Eintrittskarte in die höheren Sphären der Macht galt, sind vorbei. Jahrzehntelang waren Promotionen von zweifelhaftem wissenschaftlichem Wert entstanden, mitunter sogar frech abgekupfert, nur zu dem Zweck, Wahlplakate mit dem Kürzel „Dr.“ aufzuhübschen. Dass später mal Plagiatsjäger mit digitalen Mitteln jede Zeile überprüfen würden, konnte ja keiner ahnen. Manchen ist das um die Ohren geflogen, der Unions-Lichtgestalt Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ebenso wie der schnoddrigen SPD-Politikerin Franziska Giffey.

    Auch Ricarda Lang und Omid Nouripour brachen ab

    Die Grünen sind da keine Ausnahme, seit Zeiten von Joschka Fischer, dem steinwerfenden Ex-Taxifahrer, der Außenminister wurde, fragt in der Ökopartei allerdings kaum jemand nach dem Abschluss. Man hat ihn oder eben nicht. Letzteres trifft auf die neue Doppelspitze zu.  Ricarda Lang brach ihr Jurastudium ab. Omid Nouripour, Sohn eines Akademikerpaares, das aus dem Iran geflohen war, beendete seine Studien, darunter Politik und Soziologie, ebenfalls nicht.

    NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst verteidigt seinen Ministerpräsidenten-Posten bei der NRW-Wahl im Mai.
    NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst verteidigt seinen Ministerpräsidenten-Posten bei der NRW-Wahl im Mai. Foto: Oliver Berg, dpa

    Der CDU-Politiker Hendrik Wüst ist nach seinem Parteifreund Hans der nächste Ministerpräsident, auf den sich die Augen richten. Der 46-Jährige muss bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen seinen Job verteidigen. Wüst hat sein Studium immerhin abgeschlossen und eine Zulassung als Rechtsanwalt. Ein Berufsleben außerhalb der Politik kennt auch er allerdings nicht. Nach dem Studium arbeitete er für die Unternehmensberatung Eutop. Die wiederum vertritt ihre Kunden „bei den Institutionen der Europäischen Union und ausgewählter EU-Mitgliedstaaten“. Anschließend ging Wüst zur NRW-CDU und machte in der Partei Karriere.

    Ob im Bundestag, in den Land- oder Kreistagen, oft führen dort Menschen das Ruder, die mit dem normalen Leben wenig zu tun haben. Weniger wäre da mehr, hat Manfred Güllner festgestellt. Das Parlament müsse nicht eins zu eins die soziale Schichtung abbilden, sagt er. „Aber wenn überhaupt keine Handwerkerin, kein Arbeiter mehr im Bundestag vertreten ist, dann kommt es so, dass man sich an ideologischen Normen orientiert, aber nicht mehr daran, was die Menschen interessiert.“ Das Gespür, das Empfinden für die Befindlichkeiten der Menschen sei dann nicht mehr vorhanden.

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