Der Regierungssprecher gibt sich geheimnisvoll. Im „befreundeten europäischen Ausland“ urlaube der Bundeskanzler. Mehr will er nicht rausrücken. Nur so viel: Er ist nicht im Allgäu. Dort, in Nesselwang, versuchte Olaf Scholz in den vergangenen Jahren Erholung zu finden. Mit kurzen Hosen, blauem Wanderrucksack und sportlicher Kappe erklomm er gemeinsam mit seiner Frau Britta Ernst die Berge – im Schlepptau eine Gruppe Journalisten. Als besonders hartnäckig erwies sich ein Reporter der Bild, der hatte sich extra in Lederhosen geschmissen. Auf die Frage nach seinen Urlaubsplänen konterte Scholz: „Ich möchte noch ein bisschen wandern, am liebsten allein.“
Besonders durch die Klimakrise wird der Urlaub immer stärker politisiert
Nicht nur der Regierungschef hält sein Reiseziel lieber geheim. Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verriet gegenüber der Tagesschau nur, dass sie „Ende Juli, Anfang August“ einen Familienurlaub anpeile. Vorbei die Zeiten, als Helmut Kohl Fotografen an den Wolfgangsee – wo er übrigens vier Wochen blieb – bestellte oder sich ein Verteidigungsminister Rudolf Scharping im Pool fotografieren ließ. Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Paula Diehl beobachtet, dass es für Politikerinnen und Politiker immer schwieriger werde, ihren privaten Urlaub der Öffentlichkeit zu zeigen. „Einer der Gründe ist die immer stärkere Politisierung des Urlaubs“, sagt die Professorin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Durch die Klimakrise treten besonders Flugreisen oder teure Hotels mit hohem Verbrauch schnell moralische Debatten los: „Von den Bürgerinnen und Bürgern wird schließlich einiges verlangt, da appellieren einige an die Vorbildfunktion der Politik.“
Wer aus seinem Urlaub kein Geheimnis macht, nutzt die Bilder, um sich auf den sozialen Medien von einer privaten Seite zu zeigen – und so Sympathiepunkte zu sammeln. Und manchmal senden Politikerinnen und Politiker selbst im Urlaub politische Statements.
Karl Lauterbach nutzte seinen Italien-Urlaub auch für politische Statements
Ein Beispiel ist Karl Lauterbach (SPD). Mitte Juli teilte der Bundesgesundheitsminister Eindrücke seiner Italien-Reise auf den sozialen Medien. Er zeigte sich gut gelaunt mit Sonnenbrille und Poloshirt vor dem Trevi-Brunnen in Rom. Ein Tweet aus Bologna brachte dem Minister allerdings einen regelrechten Shitstorm ein. „Die Hitzewelle ist spektakulär hier. Wenn es so weitergeht, werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben. Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende“, schrieb Lauterbach, und garnierte das mit einer Grafik der Helmholtz-Klima-Initiative.
In Italien kam das nicht gut an. Die örtliche Tourismusministerin Daniela Santanchè konterte auf die düstere Prophezeiung: „Wir sind uns sicher, dass die Deutschen den Italien-Urlaub immer weiter schätzen werden.“ Andrea Giambruno, TV-Moderator und Lebensgefährte der Regierungschefin Giorgia Meloni, drückte sich weniger diplomatisch aus: „Wenn es dir nicht passt, dann bleib zu Hause.“
Und dann ist da noch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Der macht bereits mit der Wahl des Urlaubsorts seine politischen Werte deutlich. Er reist nach Schottland als „Heimatland des Begründers der Volkswirtschaft und liberalen Philosophen“, in dem „in diesem Jahr der 300. Geburtstag von Adam Smith gefeiert wird“, sagte ein Sprecher dem RedaktionsNetzwerkDeutschland. Smith ist der Begründer der Theorie des Wirtschaftsliberalismus.
Der Zeitpunkt des Urlaubs ist für die öffentliche Wirkung ebenfalls wichtig
„Bei einer Inszenierung des Urlaubs werden die Risiken, dass es nach hinten losgeht, allerdings immer größer“, sagt Wissenschaftlerin Paula Diehl. Besonders in Krisenzeiten könnten Fotos von urlaubenden Politikerinnen und Politikern schnell für Missmut sorgen. Prominentes Beispiel der jüngsten Zeit war der Fall Anne Spiegel. Die (deshalb) frühere Umweltministerin von Rheinland-Pfalz reiste wenige Tage nach der Flutkatastrophe im Ahrtal für einen einmonatigen Urlaub nach Frankreich. Dafür erntete sie so massive Kritik, dass sie ein Jahr später von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurücktreten musste.
„Sich im Urlaub zu inszenieren, ist nicht nur riskant, sondern dann auch wieder mit einer Rund-um-die-Uhr-Arbeit verbunden“, sagt Diehl. Außerdem spiele auch die Sicherheitskomponente eine immer größere Rolle. Wer ein hohes Amt bekleidet, ist selbst im Urlaub quasi nie allein, sondern wird von Sicherheitspersonal begleitet.
Bundeskanzler Scholz ist auch im Urlaub „voll arbeitsfähig“
Das weiß auch Olaf Scholz. Die Stunden der Zweisamkeit mit seiner Frau sind für ihn selbst im Urlaub gezählt. Sobald er in der Öffentlichkeit verkehrt, sind rund ein Dutzend Personenschützer an seiner Seite. Und auch die Arbeit kann der Regierungschef nicht vollkommen ruhen lassen. „Er ist präsent, obwohl er nicht da ist“, sagte ein Kanzleramtsmitarbeiter dem Tagesspiegel. Nach Recherchen der Zeitung sei Scholz selbst im Urlaub voll arbeitsfähig, führe Telefonate und werde zu dem ein oder anderen Treffen digital dazugeschaltet. In Berlin übernimmt Vizekanzler Robert Habeck die Leitung der Kabinettssitzungen.
Im Freistaat, wo im Herbst die Landtagswahl ansteht, fällt die Sommerfrische für die meisten flach. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sagt unserer Redaktion: „Heuer bleibt (wieder mal) kaum ein freier Tag für den Urlaub oder die Familie. Ich bin aber eh nicht der große Urlaubsfahrer und als Landwirt das Durcharbeiten gewohnt. Markus Söder gönnt sich in diesem Sommer immerhin „ein paar Tage Urlaub im Allgäu und in Oberbayern“, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.
Ganz bodenständig und heimatverbunden also. So erspart er sich, was einigen Politikern in Kirgistan angedroht wurde. „Kein einziger Minister sollte in Badeshorts am Strand liegen und sich sonnen“, gab der Chef des mächtigen Sicherheitsdienstes GKNB Kamtschybek Taschijew den Kabinettsmitgliedern nach Angaben von Nachrichtenagenturen mit auf den Weg. „Ersparen Sie mir diesen Anblick.“ Er fügte hinzu: „Wer Minister wird, soll arbeiten.“