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Politik: Vor 25 Jahren: Als Oskar Lafontaine die SPD tief in die Krise stürzte

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Vor 25 Jahren: Als Oskar Lafontaine die SPD tief in die Krise stürzte

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    Keine zwei Tage nach seinem Rücktritt winkt Oskar Lafontaine von der Terrasse seines Hauses in Saarbrücken einem Nachbarn zu. Auf dem Rücken hat er seinen zweijährigen Sohn Carl-Maurice.
    Keine zwei Tage nach seinem Rücktritt winkt Oskar Lafontaine von der Terrasse seines Hauses in Saarbrücken einem Nachbarn zu. Auf dem Rücken hat er seinen zweijährigen Sohn Carl-Maurice. Foto: Werner Baum, dpa

    Nach 136 Tagen ist alles vorbei – und das politische Bonn um einen Vollblutpolitiker ärmer. Am Nachmittag des 11. März 1999 lässt der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine einem Boten einen Brief im Vorzimmer von Gerhard Schröder abgeben "Für Herrn Bundeskanzler – persönlich" steht darauf. Und der Inhalt hat es in sich: "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler", heißt es da. "Ich trete hiermit als Bundesminister der Finanzen zurück. Mit freundlichen Grüßen,

    Mag die deutsche Börse das in Erwartung einer neuen, unternehmensfreundlicheren Finanzpolitik auch mit einem Anstieg der Kurse um mehr als fünf Prozent feiern – die erst im Herbst vereidigte rot-grüne Koalition stürzt Lafontaine mit seinem Rückzug in ihre erste schwere Krise. "Wir müssen Politik für die kleinen Leute machen, nicht gegen sie", hat er Schröder ein paar Tage zuvor im SPD-Parteirat angeblafft. Der aber konterte trocken: "Das kann man nur mit der Wirtschaft, nicht gegen sie." 

    Lafontaine versteht sich als Nebenkanzler

    Der Konflikt der beiden sozialdemokratischen Alphatiere hat damit einen Punkt erreicht, an dem es wie im Film "Highlander" nur noch einen geben kann. Hier Schröder, der Wahlsieger, dem es erkennbar schmeichelt, wenn er als Genosse der Bosse oder Autokanzler porträtiert wird – dort Lafontaine, der sich als linkes Korrektiv in der Bundesregierung versteht, eine Art Nebenkanzler. Motto: Mein Herz schlägt links. Als er erfährt, dass Schröder die Unternehmenssteuern stärker senken will als ursprünglich geplant, platzt ihm der Kragen: "So kann man keine Regierung führen." 

    Lang ist's her: Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder (r) und der damalige SPD-Chef Oskar Lafontaine im  Wahlkampf ihrer Partei vor fast 25 Jahren.
    Lang ist's her: Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder (r) und der damalige SPD-Chef Oskar Lafontaine im Wahlkampf ihrer Partei vor fast 25 Jahren. Foto: Peer Grimm/Zentralbild, dpa

    Schröder aber kann, er findet mit dem gerade abgewählten hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel rasch einen neuen Finanzminister – und Lafontaine zieht sich schmollend in sein Haus in Saarbrücken zurück. Zu sprechen ist er anfangs für niemanden, aus dem kurzen Brief an die Partei, mit dem er seinen zeitgleichen Rückzug vom SPD-Vorsitz bekannt gibt, lässt sich aber auf seine Motive schließen: Er wünsche der Partei, schreibt er da, für die Zukunft "eine erfolgreiche Arbeit für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität". Im Umkehrschluss heißt das: Unter Schröder ging es ihm nicht mehr gerecht und solidarisch genug zu. 

    Mit Gerhard Schröder hat er sich ausgesprochen

    Im vergangenen Jahr haben die beiden sich nach Jahrzehnten des wechselseitigen Ignorierens ausgesprochen – das Ende einer epischen Männerfeindschaft, die die politische Landschaft in Deutschland nachhaltig verändert hat. 2005 tritt Lafontaine aus der SPD aus und dem neuen Linksbündnis bei, das aus der alten Ost-PDS die gesamtdeutsche Linkspartei macht. Er wird neben Lothar Bisky ihr Vorsitzender, kehrt im März 2022 aber auch der zweiten Partei wieder den Rücken, die er geführt hat. Heute ist er Mitglied der neuen Partei BSW, die seine vierte Ehefrau Sahra Wagenknecht gerade gegründet hat, und dort schon so etwas wie der heimliche Star. Beim Gründungsparteitag im Januar wurde er für seine Rede mit "Oskar, Oskar"-Rufen gefeiert wie in besten SPD-Zeiten. 

    Als er 1999 alles hinwirft, hört sich unsere Zeitung auch an der Basis der SPD um. Einer der Texte von damals ist mit "Überrascht, betroffen, sprachlos" überschrieben". Lafontaine, unter den vielen politischen Enkeln von Willy Brandt vielleicht der, der dem Übervater am nächsten stand, ein Fahnenflüchtling? Daran hat die Sozialdemokratie lange zu knabbern. Gerhard Schröder aber hält es mit einem alten Dichterwort, als er Lafontaine im September zum 80. Geburtstag gratuliert: "Im Laufe der Jahre gab es 'Irrungen und Wirrungen', um Theodor Fontane zu zitieren", schreibt er ihm. Nun aber sei es an der Zeit, "alte Reibereien Geschichte werden zu lassen".

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