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"Pflegesystem vor Kollaps": Branche kritisiert Lauterbach

Pflege

"Pflegesystem vor Kollaps": Branche kritisiert Lauterbach

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    Eine Pflegerin schiebt eine ältere Frau im Rollstuhl in einem Seniorenzentrum. Für viele Menschen könnte ein Heimplatz bald unbezahlbar sein.
    Eine Pflegerin schiebt eine ältere Frau im Rollstuhl in einem Seniorenzentrum. Für viele Menschen könnte ein Heimplatz bald unbezahlbar sein. Foto: Christophe Gateau, dpa (Archivbild)

    Bernhard Schneider ist verschnupft. Das liegt einerseits am Wetter, andererseits an der Regierung. Schneider ist Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstätten, die in Baden-Württemberg mehr als 13.000 Menschen betreuen, und er kommt beim Thema Pflege ganz schnell auf den Punkt. „Die Pflege unter unserem Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist in der Sackgasse angekommen“, sagt er. Gerade würden viele Entlastungspakete geschnürt, doch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen habe niemand auf dem Schirm.

    Schneider steht mit dieser Einschätzung nicht allein da. In ganz Deutschland ächzen Pflegeheime unter exorbitant steigenden Kosten. Gleichzeitig schießt der Eigenanteil der Pflegebedürftigen in die Höhe, obwohl die Koalition Besserung versprochen hat. Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, sagt: „Ohne eine Reform steht das Pflegesystem vor dem Kollaps.“

    Wie gefährlich die Entwicklung ist, weiß Heinz Rothgang. Dem Professor vom Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen zufolge lag der Gesamteigenanteil im Juli 2022 bundesweit im Schnitt bei mehr als 2.350 Euro. Tarifsteigerungen beim Personal sind darin noch nicht enthalten. Bernhard Schneiders Zahlen wiederum zeigen, wohin die Entwicklung geht. „In unseren 90 Pflegeheimen liegt der Eigenanteil aktuell bei 3.250 Euro durchschnittlich. In der Spitze sind es über 3.700 Euro“, sagt er. Für 2023 werden Kostensteigerungen die Eigenanteile um 300 Euro auf teilweise über 4.000 Euro im Monat erhöhen.

    Pflegesystem: Zuschüsse der Pflegekasse reichen nicht

    Die Politik hat zwar das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) auf den Weg gebracht, doch das taugt offenbar nur wenig. Von 100 Pflegebedürftigen, die neu in ein Pflegeheim einziehen, werden Professor Rothgang zufolge mehr als 90 durch das GVWG in der Anfangszeit sogar schlechter gestellt. Der Zuschuss der Pflegekasse steigt mit der Pflegedauer und beträgt im zweiten Jahr 25 Prozent. Doch erst die folgenden Stufen würden eine Entlastung bedeuten – die meisten Pflegebedürftigen sterben vorher. 

    „Demografie und Inflation setzen die Pflege zurzeit massiv unter Druck“, hat auch der CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge beobachtet. Ein ungebremster Anstieg der Eigenanteile müsse unbedingt verhindert werden. „Es braucht noch in diesem Winter Entlastungen für Pflegebedürftige und Angehörige, die von besonderen Härten betroffen sind“, sagte Sorge unserer Redaktion. Bodo de Vries vom Deutschen Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflege weist darauf hin, dass mittlerweile 30 Prozent der Heimbewohner einen lebenden Partner haben und das Bild von der alten Frau, die allein ins Heim zieht, nicht mehr stimmt. Wenn aber bei Normalverdienern eine Seite tausende Euro Eigenanteil bezahlen muss, bleibt für die andere nichts mehr zum Leben übrig.

    Gesundheitsminister Lauterbach hat laut Umfrage keine Kompetenz

    Seit 2016 setzt sich die „Initiative Pro-Pflegereform“ für Verbesserungen ein. Das Bündnis wird von Caritas, Diakonie, Pflegeeinrichtungen und anderen getragen. Auch Schneiders Evangelische Heimstätten gehören dazu, der Hauptgeschäftsführer hat zahlreiche Enttäuschungen durch die Politik erlebt. Das gilt auch für die Ampel, ihr Koalitionsvertrag enthalte „viele Versprechungen, passiert ist bisher nichts“, sagt er. „Das Risiko für die Pflegeleistung verbleibt beim Bewohner.“ Gesundheitspolitiker Sorge schlägt vor, staatlich geförderte Vorsorgepläne einzuführen, „die den neuen finanziellen und demografischen Notwendigkeiten gerecht werden. Sie müssten auch Bürgern im höheren Alter noch eine Möglichkeit geben, privat für das Alter Rücklagen zu schaffen.“

    Doch zunächst braucht es schnelle Hilfen, wie Diakonie-Vorständin Loheide betont. Danach sei eine grundlegende Pflegereform fällig, die auch auf Defizite bei der häuslichen Pflege sowie den Fachkräftemangel reagieren müsse. Vielleicht könnte auch ein neuer Gesundheitsminister nicht schaden? Schneider zitiert eine Umfrage, nach der nur 13 Prozent der Führungskräfte mit Lauterbachs Altenpflegepolitik auf Bundesebene zufrieden sind. Fast 60 Prozent sagen, der SPD-Politiker habe beim Thema Pflege keine Kompetenz.

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