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Pager-Angriff auf Hisbollah: Was steckt dahinter und was sind die Folgen?

Nahost

Was steckt hinter dem Pager-Angriff auf die Hisbollah und welche Folgen hat er?

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    Soldaten der libanesischen Armee sichern die Zufahrt eines Krankenwagens zum Gelände des Krankenhauses der American University in Beirut, nachdem viele hundert Notrufe infolge der Explosionswelle eingegangen waren.
    Soldaten der libanesischen Armee sichern die Zufahrt eines Krankenwagens zum Gelände des Krankenhauses der American University in Beirut, nachdem viele hundert Notrufe infolge der Explosionswelle eingegangen waren. Foto: Marwan Naamani, dpa

    Die Videosequenz aus dem Libanon zeigt die Gemüseabteilung eines Supermarkts, ein Kunde steckt Zucchini in eine Plastiktüte – da explodiert etwas direkt neben ihm. Ein Mann fällt zu Boden, schreit vor Schmerz. Ähnliche Szenen spielten sich am Dienstag unzählige Male im Libanon ab: In Vororten von Beirut sowie im Süden des Landes explodierten Hunderte Pager – kleine Sendegeräte, auch „Piepser“ genannt, die von der schiitisch-islamistischen Hisbollah verwendet werden. Mindestens zwölf Menschen kamen ums Leben, rund 3000 wurden verletzt, darunter auch der iranische Botschafter im Libanon.

    Die Hisbollah und ihr Unterstützer, das iranische Regime, machten Israel für die offensichtlich zentral ausgelöste Explosionswelle verantwortlich. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilt die Anschläge: „Auch wenn die Angriffe offenbar gezielt erfolgten, hatten sie schwere, wahllose Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung zur Folge, auch Kinder sind unter den Opfern.“ Auch in Israel gehen die meisten Analysten davon aus, dass der Auslandsgeheimdienst Mossad dahintersteckt. Offizielle Stellen hüllen sich in Schweigen. „Das war eine extrem ungewöhnliche Aktion“, sagte die israelische Sicherheitsexpertin Orna Mizrachi bei einer Pressekonferenz. „Sie zeugt von sehr hohen geheimdienstlichen und operativen Fähigkeiten.“

    Explosionen im Libanon: Unklar ist, wer die Pager hergestellt hat

    Das sieht Gerhard Conrad, der als einer der erfolgreichsten Mitarbeiter in der Geschichte des Bundesnachrichtendienst (BND) und als Nahostexperte gilt, genauso. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat die Aufklärung des Mossad erfahren, dass die Hisbollah von Smartphones, die man orten kann, auf die vermeintlich sicheren Pager umsteigen wollten. Dann werden sich Mitarbeiter des Dienstes auf die Suche gemacht und sich gefragt haben: Wo gibt’s denn die Geräte, wo wurden sie gekauft?“, sagte Conrad im Gespräch mit unserer Redaktion. Die detonierten Pager trugen Medienberichten zufolge das Logo der taiwanesischen Firma Gold Apollo. Das Unternehmen teilte mit, eine in Ungarn ansässige Firma habe die Geräte gefertigt - aus Ungarn kam am Mittwoch postwendend ein Dementi. Conrads Analyse folgend, muss der Mossad einen Weg gefunden haben, dafür zu sorgen, dass jedes einzelne dieser Geräte mit einer Zündvorrichtung und Sprengstoff versehen wurde. „Das ist bei mehr als 3000 Pagern eine beachtliche Leistung.“

    Die Frage ist, warum Israel eine so effektive Waffe gerade jetzt eingesetzt hat - am Mittwochnachmittag wurde zudem gemeldet, dass nun durch explodierende Walkie-Talkies mindestens neun Hisbollah-Mitglieder getötet und mehr als 300 verletzt wurden. Der israelische Journalist und Sicherheitsexperte Barak Ravid gab eine Antwort auf dem Nachrichtenportal Axios: Israel habe ursprünglich geplant, die Pager als Einleitung eines größeren Krieges gegen die Hisbollah explodieren zu lassen. Aus Furcht, die Hisbollah könnte die Manipulation der Geräte entdeckt haben, ließ es diese jedoch vorzeitig hochgehen.

    Sicherheitsexpertin: Für die Hisbollah sind die Anschläge eine „große Demütigung“

    „Für die Hisbollah war diese Aktion eine große Demütigung, sie kann so eine dramatische Aktion nicht hinnehmen,“ sagte Sicherheitsexpertin Mizrachi. „Wir sind dem Szenario eines umfassenden Krieges näher als zuvor.“ Seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober feuert die Hisbollah Drohnen und Raketen über die Grenze nach Israel. Im Gegenzug bombardieren israelische Einheiten Stellungen der Gruppe im Libanon. So war es auch am Mittwoch. Bereits am Montag hatte Israels Sicherheitskabinett ein neues Kriegsziel beschlossen: Die rund 60.000 Bewohner der Dörfer und Städte im Norden des Landes, die infolge der Angriffe der Hisbollah evakuiert worden waren, sollen nach Hause zurückkehren können. Das würde eine Intensivierung der Kämpfe bedeuten.

    Gerhard Conrad ist vorsichtig, wenn es darum geht, die Auswirkungen dieser beispiellosen Attacke zu taxieren. „Klar ist, dass es Ziel des Mossad war, gezielt die Führungsebenen der Hisbollah zu treffen und zum Teil auszuschalten. Es ist aber noch zu früh, zu beurteilen, inwieweit das gelungen ist. Eine belastbare Schadenbewertung ist ja noch nicht da.“ Jetzt müsse man abwarten, wie resilient die Hisbollah wirklich ist, ob und wie schnell sie ihre Einsatz- und Kampfbereitschaft wiederherstellen kann, denn „das war schon ein ganz schöner Hammer.“ Die Hisbollah beeilte sich denn auch, mit Vergeltung zu drohen. „Dieser verräterische und kriminelle Feind wird mit Sicherheit seine gerechte Strafe für diese sündige Aggression erhalten“, hieß es in einer Mitteilung. Für Donnerstag hat Hisbollah-Chef Nasrallah eine Rede angekündigt.

    Der Mossad gerät weltweit in den Blickpunkt

    Weltweit in den Blickpunkt rückt nun die Rolle des Mossad, mit dessen Führungskräften Gerhard Conrad es in seiner Laufbahn oft zu tun hatte. Für den Ex-BND-Mann ist es einer der schlagkräftigsten Geheimdienste der Welt, der – und das sei der entscheidende Punkt – „ausgezeichnet vernetzt ist“. Dabei habe der Mossad den Startvorteil gehabt, dass kluge Köpfe der weltweiten jüdischen Community in den 30er und 40er Jahren in den Nahen Osten gekommen waren, gleichzeitig aber ihre Kontakte aus den Herkunftsländern weiter gepflegt hätten. Die daraus resultierenden Kontakte bilden die Grundlage für die Erfolge des legendären Dienstes. Conrad: „Wenn beim Mossad die Frage auftaucht, ob es in diesem oder jenen Land jemanden gibt, der eine spezielle Operation durchführen kann, dann lautet die Antwort fast immer ,ja’.“

    Seinen Ruf „als bester Geheimdienst der Welt“ erlangte der Mossad nicht zuletzt 1960 durch die Entführung des Naziverbrechers Adolf Eichmann aus Argentinien. Die Liste der Coups ist lang. Ohne Rücksicht auf Verluste verhinderten Mossad-Agenten 1962 den Bau ägyptischer Raketen. Die Waffe sollte mithilfe deutscher Experten gefertigt werden. Ein Beteiligter verschwand in München spurlos, in der Raketenfabrik in Kairo explodierten Pakete und eine Briefbombe. In den 70er Jahren tötete der Dienst mit einer Serie von Anschlägen tatsächlich oder mutmaßlich an dem Olympia-Attentat von 1972 in München beteiligte Männer und Frauen. Immer wieder gab es Anschläge gegen das iranische Atomprogramm, wurden Führer der Terrorgruppen Hamas oder Hisbollah gezielt getötet. Das Signal ist klar: Mit dem israelischen Geheimdienst ist weiter zu rechnen.

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