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Bürger im Gespräch mit Kanzler: Scholz ruft zu mehr Zivilcourage auf

Olaf Scholz im Gespräch

Kanzler ruft zu mehr Zivilcourage auf 

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    Drei Tage nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen stellt sich der Kanzler den Fragen der Bürger.
    Drei Tage nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen stellt sich der Kanzler den Fragen der Bürger. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    In hektischen Zeiten sind ruhige Orte selten. Für seine Reihe „Kanzlergespräch“, die ihn schon quer durchs ganze Land führte, hat sich Olaf Scholz diesmal die Ufa-Fabrik in Berlin-Tempelhof ausgesucht. Das ehemalige Film-Kopierwerk ist „ein Ort für friedliebende, große und kleine Menschen aller Nationalitäten, Religionen und Berufe“, wie es in der Selbstbeschreibung heißt. Auf dem 18.500 Quadratmeter großen Gelände haben Vereine, Initiativen und Betriebe eine Heimat, die „gemeinsam an der Vision eines offenen, toleranten und vielfältigen Lebens miteinander wirken“. Die Toilettenspülung funktioniert mit Regenwasser, es gibt viele Pflanzen in dieser Oase im Süden der Stadt, nahe des Teltowkanals. Es ist ein guter Ort, um Punkte bei den Wählerinnen und Wählern gutzumachen.

    Scholz kommt pünktlich um 19 Uhr, den Tag über war er noch bei der Bundeswehr in Todendorf, vor dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern steht ein Interview auf dem Plan. Der SPD-Politiker wird mit Applaus empfangen. Ein paar Dutzend Gäste haben sich unter einem Zeltdach eingefunden, es ist mehr als 30 Grad warm, Wasser wird verteilt, damit hier bloß niemand umkippt. Scholz, weißes Hemd, keine Krawatte, muss erst einmal seine Fantasie spielen lassen. Was er denn machen würde, wenn er unerkannt durch Berlin gehen könnte? „Ich würde sagen: Currywurst-Bude“, lächelt er.

    Olaf Scholz bei Kanzlergespräch: Rückführung von Straftätern Thema

    Danach geht es aber gleich in die harte Politik. Was er seit seiner Bundestagsrede von Anfang Juni getan habe, in der er die Rückführung von Straftätern nach Afghanistan und Syrien ankündigte, will eine Frau aus dem Publikum wissen. Der Kanzler kann auf die Abschiebung von 28 Afghanen in der vergangenen Woche verweisen und darauf, dass seine Regierung fleißig sei. „Und da kommt auch noch mehr“, sagt er. Der 66-Jährige lässt allerdings offen, was das sein könnte. Mehr Abschiebungen vielleicht? 

    Die hohen Flüchtlingszahlen, meint ein Gast, würden auf den Wohnungsmarkt drücken und hätten dazu geführt, dass sich die Mieten von den Reallöhnen entkoppelten. Scholz guckt ernst. „Leider muss ich Sie in einer Hinsicht enttäuschen“, sagt er, „die großen Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt sind schon länger da und haben auch nichts zu tun mit den Flüchtlingsbewegungen“. Der Regierungschef bekommt dafür viel Beifall.

    SPD nach Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen angeschlagen

    Scholz kann den Zuspruch gebrauchen. Seine Sozialdemokraten schafften es bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Seine Koalitionspartner Grüne und FDP traf es noch schlimmer, die Stimmung in der Ampel ist gedrückt. Er hätte sich schon mehr Stimmen für seine SPD gewünscht, sagt Scholz, der drei Gründe für eine Verunsicherung im Land ausmacht: Zukunftsängste, den Flüchtlingszuzug und den Krieg in der Ukraine. 

    Viele Fragen drehen sich an diesem Abend um die Alternative für Deutschland. „Das Wahlergebnis für die AfD bedrückt mich sehr. Dass jetzt Populismus so viel Unterstützung bekommt, das ist nicht gut“, sagt Scholz. Er ruft zu mehr Zivilcourage auf, macht das aber so dezent, dass viele es vermutlich gar nicht mitbekommen. Wichtig sei, dass sich die Bürgerinnen und Bürger „das nicht nur im Fernsehen angucken“, sondern, dass „man auch mal widerspricht“. Scholz vermisst diese Debatte, er wünscht sie sich im Land, bei den Gewerkschaften, in den Sportvereinen, bei den Medien. Vielleicht müsste er es deutlicher artikulieren, von dem ebenso legendären wie umstrittenen Ausspruch „Wir schaffen das“ seiner Vorgängerin Angela Merkel ist er ein Stück entfernt.

    Auch Rolle der FDP in der Ampel-Regierung beim Kanzlergespräch Thema

    Und was ist mit dem Erscheinungsbild seiner Regierung? Warum tritt die nicht einheitlich auf? Die Ampel wirke auf ihn wie ein „kleiner Haufen von Kindern“, sagt einer im Publikum. Scholz schlage was vor, FDP-Chef Christian Lindner behaupte anschließend „genau das Gegenteil“. Der Kanzler stutzt, holt kurz Luft, lächelt und antwortet grinsend: „Das ist bisher selten vorgekommen.“ Was er denn vorschlage, will Scholz vom Fragesteller wissen und schiebt schmunzelnd nach: „Ich meine, ich frage für einen Freund“. Der Dialog setzt sich noch ein wenig fort, es geht auch um die Rolle der Medien, die an diesem Abend zahlreich vertreten sind. „Ich lasse mich da jetzt mal nicht drauf ein“, bleibt Scholz cool und grinst wieder: „Ich wollte nur sagen: Sie haben recht.“

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