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Österreich-Besuch: Viktor Orbán nutzt Wiener Bühne für weitere Angriffe gegen Brüssel

Österreich-Besuch

Viktor Orbán nutzt Wiener Bühne für weitere Angriffe gegen Brüssel

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    Viktor Orbán (links) mit Karl Nehmammer.
    Viktor Orbán (links) mit Karl Nehmammer. Foto: Georg Hochmuth, APA/dpa

    Die höchsten militärischen Ehren, die Österreichs Hauptstadt zu bieten hat – für einen, der EU-weit als Nationalist im Abseits steht. Eine Garde-Kompanie des österreichischen Bundesheers ist am Donnerstagvormittag auf dem Wiener Ballhausplatz aufmarschiert, mit klingendem Spiel wird Viktor Orbán empfangen, dann schreitet er an der Seite von ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer zum gemeinsamen Gespräch ins Kanzleramt. Buhrufe und Pfiffe sind zu hören, in der Nähe hat sich eine kleine Gruppe von Demonstranten eingefunden.

    Drinnen ist kaum ein freier Platz zu finden, zahlreiche internationale Medien sind gekommen: Wer allerdings vom österreichischen Kanzler direkte und scharfe Kritik an Orbán erwartet hatte, wurde enttäuscht. Zwar bemühte sich Nehammer, bezüglich der rassistischen und antisemitischen Äußerungen des ungarischen Premiers vom vergangenen Wochenende "Österreichs Position klarzustellen" und "Verharmlosung und Relativierung klar zu verurteilen", viel Zeit verwendete er aber in seinem Statement nach dem Treffen mit Orbán darauf nicht. Schließlich habe man "die letzten Vorkommnisse in aller Offenheit und Klarheit ausgeräumt", sagte Nehammer. Auch das bedeute und ermögliche die Freundschaft, die Österreich und Ungarn miteinander verbinden würde. Er habe den Kanzler gebeten, seine Aussagen "im kulturellen Kontext zu bewerten", sagte Orbán. Es sei ja bekannt, dass er des Öfteren "missverständlich formuliere".

    Kanzler Nehammer: Ungarn ist der wichtigste Partner in Sicherheitsfragen

    Orbáns rassistische und antisemitische Provokationen, die seit dem Wochenende in ganz Europa für Empörung und heftige Kritik auch von Holocaust-Überlebenden gesorgt hatten und sogar einer langjährigen engen Vertrauten Orbáns zu viel gewesen waren – in Wien sind sie eher eine Randnotiz. Für Nehammer und Orbán gab es schließlich Wichtigeres zu besprechen. Ungarn sei Österreichs wichtigster Partner in Sicherheitsfragen, Migration sei "besonders betroffen gewesen" von den ersten Fluchtbewegungen 2015, sagte Nehammer.

    Jetzt seien beide Länder wieder mit einer "Welle der irregulären Migration" konfrontiert. "Hunderttausende Migranten werden kommen", behauptete Orbán und kündigte ein trilaterales Treffen Ungarns mit Österreich und Serbien an, das er "initiiert" habe – dem etwas überraschten Österreicher blieb nichts übrig, als den Vorstoß zu begrüßen. Die "Balkanroute", von der Sebastian Kurz so regelmäßig wie faktenwidrig behauptete, er habe sie geschlossen – sie lässt erneut grüßen.

    Dass Nehammer den umstrittenen Besuch aus Ungarn für eine neue Initiative zu seinem Lieblingsthema Migration nutzt, ist wenig verwunderlich. Schließlich ist der Kurz-Nachfolger nach einem halben Jahr im Kanzleramt von allen Seiten unter Druck: Die Zustimmungswerte seiner ÖVP sind im Keller, die FPÖ von Herbert Kickl liegt in manchen Umfragen bereits auf Platz zwei hinter den Sozialdemokraten. Nehammers spärliche Initiativen bei der Bekämpfung von Teuerung und Energiekrise, wie etwa sein Vorschlag einer Gewinnabschöpfung bei Energieversorgern, wurden von der eigenen Partei vereitelt.

    Stattdessen benutzt die niederösterreichische ÖVP – eigentlich Nehammers politische Heimat – den Kanzler als Reibebaum im Vorfeld der anstehenden niederösterreichischen Landtagswahlen und setzte im Alleingang landesweite Hilfen für die enorm hohen Energiepreise durch. Ein zuerst abgelehnter Strompreisdeckel wird im Wiener Regierungsviertel erst jetzt und auf massiven Druck in Form eines Preiszuschusses diskutiert. "Wir schauen uns das an", das scheint die Devise zu sein.

    Österreichischer Kanzler Nehammer will bei der Migration Hardliner sein

    Nehammers Koalition mit den Grünen mäandert ohne klares Konzept durch die Krise, der Kanzler ist dabei nicht viel mehr als ein Erfüllungsgehilfe der ÖVP-Bundesländer. Mit Ausrutschern auf offener Bühne macht sich Nehammer zudem zum Gespött in den Medien: "So viele in so einem kleinen Raum heißt auch, so viele Viren! Aber jetzt kümmert es uns nicht mehr – schön, dass ihr da seid!", tönte der Kanzler auf dem Parteitag in Graz. Vor Parteifreunden in Tirol redete Nehammer über die Inflation: "Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen nachher: Alkohol oder Psychopharmaka."

    Es sind ohne Not produzierte Negativ-Schlagzeilen und das Gegenteil dessen, was Nehammer nach seinem erratischen Besuch bei Putin in Moskau innenpolitisch brauchen kann. Das Migrationsthema ist nun Nehammers letzter Ausweg: Der Kanzler will wieder Hardliner sein, will verhindern, dass seine Wählerschaft in noch größerem Ausmaß zu den extrem rechten Freiheitlichen abwandert.

    Ukraine-Krieg ist nicht zu gewinnen, sagt Premierminister Viktor Orbán

    Für den Ehrenempfang Orbáns aber zahlt er auch einen Preis: Europa wird nun noch genauer nach Wien sehen und genau beobachten, ob Österreich ein verlässlicher Partner des Westens bleibt – oder an der Seite Ungarns den gemeinsamen Kurs verlässt.

    "Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen", machte der Ungar am Donnerstag seine Ablehnung der Sanktionen gegen Putins Russland klar. Die "Strategie der Nato" werde der Ukraine keinen Sieg bringen. Orbán redete von "Kriegswirtschaft", in der sich die EU bereits befinde, und malte ein Szenario einer düsteren Zukunft, kurz: Er nutzte die Wiener Bühne für weitere Angriffe gegen Brüssel und den Versuch der

    Österreich und sein Kanzler wirkte dabei allerdings eher wie ein Komplize des ungarischen Parias. "Nicht jede Diskussion bedeutet Uneinigkeit", versuchte Nehammer diesen Eindruck vor den Journalisten eilig wieder einzufangen. "Sie sehen, wir haben viele Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten."

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