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Norbert Röttgen fordert Umdenken in der deutschen Außenpolitik

Zeitgeschichte

Norbert Röttgen: Deutschland steht vor Aufgaben von historischem Ausmaß

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    Norbert Röttgen schreibt in seiner Analyse über die deutsche Außenpolitik.
    Norbert Röttgen schreibt in seiner Analyse über die deutsche Außenpolitik. Foto: Imago Images

    Der russische Krieg gegen die Ukraine, das Blutvergießen in Nahost, die Bedrohungen durch den aggressiven Machtanspruch Pekings. Weltweite Entwicklungen, die von Populisten verschiedener Couleur aufgegriffen werden. Der CDU-Experte für Außen- und Sicherheitspolitik Norbert Röttgen beklagt eine in dieser Lage fehlende Führung der Bundesregierung und zeigt in seiner Analyse „Demokratie und Krieg“ Alternativen auf. Auszüge aus dem Buch, das am 24. September im Verlag dtv (240 Seiten) erscheint:

    Deutsche Außenpolitik und der Krieg in der Ukraine

    Der Krieg in der Ukraine ist eine der großen außenpolitischen Krisen.
    Der Krieg in der Ukraine ist eine der großen außenpolitischen Krisen. Foto: Aris Messinis, AFP

    Die Aufgabe, die vor den Deutschen, den Europäern und dem Westen insgesamt liegt, hat historische Größe: den Krieg wieder aus Europa zu verbannen, eine europäische Sicherheitsordnung zu begründen, die über die bisherigen Staaten der EU und der Nato hinausgehen muss, sowie an der Vision einer Europäischen Friedensordnung festzuhalten, die nur dann Wirklichkeit wird, wenn ein post-imperialistisches Russland ein Teil von ihr geworden ist. Diese moralisch-historische Aufgabe anzunehmen ist mehr als Politik und geht erst recht weit hinaus über technische Einzelaspekte militärischer oder finanzieller Natur. Es geht um die Bestimmung unserer Identität, die wir als solche nicht an Regierungen delegieren können, sondern die wir als Gesellschaft, als Nation demokratisch entscheiden müssen. Wer und was wollen wir sein als Akteure unserer Zeit, in der es um alles geht - um Sicherheit, Freiheit und Frieden?

    (...) Die Verbindung von politischer Führung und gesellschaftlicher Meinungsbildung hatte einen Start, der kaum besser hätte sein können. Am Sonntag, dem 27. Februar 2022, lediglich drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, gab Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung ab. Im In- und Ausland ist diese Regierungserklärung als die Zeitenwende-Rede des Bundeskanzlers bekannt geworden. (...) In dieser Rede hat Scholz die historische, politische und moralische Dimension des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine beschrieben, die eindeutige Haltung Deutschlands als Teil des Westens definiert und erste weitreichende politische Konsequenzen angekündigt.

    Auf Deutschland warten harte Entscheidungen.

    Norbert Röttgen, in seinem Buch „Demokratie und Krieg“

    (...) Leider hat es die Regierungspolitik, wie sie mit der Zeitenwende grundgelegt und angekündigt wurde, nie gegeben. Vielmehr wurden schon kurz nach der Rede im Bundestag enorme Schwächen sichtbar, die bis heute Bestand haben. Mehr als zweieinhalb Jahre nach der Rede muss man konstatieren, dass es eine konsequente Umsetzung ihrer Ankündigungen und eine Politik, die den Ansprüchen der eigenen Rede genügt, weder in der Person des Bundeskanzlers noch von der ganzen Bundesregierung gegeben hat. (...)

    Nach der Formel des Bundeskanzlers besteht das Ziel darin, dass „die Ukraine diesen Krieg nicht verliert und Russland ihn nicht gewinnt“. Diese Formulierung beinhaltet nichts anderes als die Beschreibung eines militärischen Patts. Der schon viele Monate andauernde fürchterliche Stellungskrieg, der asymmetrisch auf ukrainischem Territorium stattfindet, ist ein solches Patt. Diese Situation, die mit so viel Sterben, Leid und Zerstörung verbunden ist, kann ganz offenkundig nicht das Ziel deutscher Politik sein. Der Bundeskanzler deutet der deutschen Öffentlichkeit gegenüber aber keinen Weg an, wie aus dieser Lage, die militärisch über den Faktor Zeit tendenziell Russland begünstigt, eine politische Lösung folgen soll. Wenn der deutsche Regierungschef diese Frage nicht beantworten kann, gefährdet er im Laufe der Zeit die Akzeptanz für seine eigene Politik.

    (...) Auf Deutschland warten harte Entscheidungen. Zuvor verspielte Glaubwürdigkeit ist die maximale Belastung für das, was unsere Gesellschaft und unsere Demokratie dann leisten müssen.

    Deutsche Außenpolitik und der Terror der Hamas

    Am 7. Oktober 2023 hat die Hamas Israel angegriffen.
    Am 7. Oktober 2023 hat die Hamas Israel angegriffen. Foto: AFP

    So wie im Jahr 2022 der 24. Februar ein weltgeschichtliches Ereignis markiert, gilt dies 2023 für den 7. Oktober. In Israel wird dieser Tag niemals vergessen werden. Für die meisten Israelis ist der 7. Oktober ein bis heute nicht endender Tag. Er wird in die Geschichte des Staates Israel ebenso eingehen, wie er ein Datum in der Geschichte der Verfolgung der Jüdinnen und Juden über die Jahrhunderte hinweg bilden wird. (...)

    Der Krieg der Hamas gegen Israel und die Kriegsziele Israels haben in Deutschland, dem Land der Shoa, aber auch in allen anderen westlichen Demokratien ganz andere gesellschaftliche Reaktionen und Positionierungen ausgelöst, als sie im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu verzeichnen gewesen sind. Dafür dürften zwei Umstände maßgeblich sein. Der eine ist die Tatsache, dass es um Israel und um Jüdinnen und Juden geht. Es kann nicht bestritten werden, dass der Krieg zu einer neuen weltweiten Welle des Antisemitismus geführt hat. Auch in Deutschland ist das etwa in dem signifikanten Anstieg antisemitischer Straftaten in der amtlichen Kriminalstatistik abzulesen.

    (...) Der zweite Umstand, warum die öffentlichen Reaktionen auf den Krieg Russlands und den Nahostkrieg in Deutschland und im Westen so unterschiedlich sind, besteht darin, dass in dem Nahostkrieg auf beiden Seiten unschuldige Opfer zu beklagen sind, zuerst auf israelischer Seite mit einer unglaublichen Brutalität, dann auf palästinensischer Seite mit zahlenmäßig weit mehr Opfern.

    (...) Nach dem Ende des Krieges wird es für Israel unvermeidlich sein, eine militärische Präsenz im Gazastreifen aufrechtzuerhalten sowie gewisse Versorgungsstrukturen zu etablieren oder zuzulassen und zu überwachen. Weil dies eine Phase relativ hoher Verwundbarkeit für Israel bedeutet, besteht das Interesse, diese Phase so lang wie nötig, aber so kurz wie möglich zu halten.

    (...) Was die langfristige Perspektive anbelangt, ist auch meiner Meinung nach die Zweistaatenlösung die unverzichtbare Basis einer dauerhaft friedlichen Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern. Aber ich halte es für unverantwortlich, die Realität auszublenden, dass wir von einer Zweistaatenlösung weiter entfernt sind als jemals zuvor in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts.

    Jetzt eine Zweistaatenlösung zu propagieren, schafft nur abgrundtiefes Misstrauen auf israelischer Seite und völligen Unglauben auf palästinensischer Seite. Wie oben ausgeführt, ist meine Auffassung, dass die arabischen Staaten den Schlüssel in der Hand halten, einen politischen Lösungsprozess einzuleiten. Sie werden das Risiko, das darin liegt, damit abwägen, den Konflikt weiter ungelöst zu lassen und auf die nächste gewaltsame Eruption zu warten.

    Deutsche Außenpolitik, China und die Taiwan-Frage

    Auf einem Smartphone wird eine von Chinas Eastern Theater Command veröffentlichte Karte mit Standorten der Militärübungen rund um Taiwan angezeigt.
    Auf einem Smartphone wird eine von Chinas Eastern Theater Command veröffentlichte Karte mit Standorten der Militärübungen rund um Taiwan angezeigt. Foto: dpa

    Nach dem Ende des Kalten Krieges schien die liberale internationale Ordnung als globale Ordnung unangefochten. Der Systemkonflikt zwischen Ost und West war überwunden, die Ideologie des Kommunismus an den Menschen, über die sie herrschte und die sie unterdrückte, gescheitert. (...) Die normativen Ordnungsideen des Westens schienen sich zur allgemein akzeptierten Völkerrechtsordnung entwickelt zu haben. Welch ein Triumph - und welch ein Irrtum, wie sich bereits rund 25 Jahre später herausstellte.

    (...) Im Laufe der Zeit erkannten die USA, dass diese ungeheure Machtposition sich nicht nur zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus eignet, sondern auch dazu, ein Land auf Abstand zu halten, das sich immer mehr anschickte, die unilaterale Rolle der USA umfassend infrage zu stellen und herauszufordern: China.

    (...) China sieht sich heute gegenüber den USA auf Augenhöhe und allen anderen als weit überlegen an. China besteht darauf, dass beides - Gleichrangigkeit und Überlegenheit - international respektiert wird. Welche Ansprüche im Einzelnen China zustehen, definiert China natürlich selbst. (...) Falls es zu einer militärischen Aktion Chinas gegen Taiwan käme - sei es auf dem Wege der Strangulierung der Insel durch eine maritime Blockade oder auf dem Wege des direkten Angriffs -, hätte dies dramatische weltwirtschaftliche und geopolitische Konsequenzen. Die USA haben schon vor langer Zeit eine Beistandserklärung zugunsten von Taiwan abgegeben. Präsident Joe Biden hat in mehreren Aussagen dieser Beistandserklärung auch eine militärische Note beigefügt.

    (...) Deutschland wäre von den weltwirtschaftlichen Auswirkungen eines Krieges oder einer Blockade gegen Taiwan in besonderer Weise betroffen, weil die deutsche Volkswirtschaft wie kaum eine andere exportorientiert und verflochten ist. (...) Zum anderen erzeugt eine Politik gegenüber China, die im Wesentlichen gegen die Entwicklung des Landes gerichtet ist, den Grund für immer mehr Aggression und Konfrontation. Das Ziel einer gemeinsamen transatlantischen China-Politik muss daher vielmehr die Entwicklung gemeinsamer Stärken von Amerika und Europa sein. Gemeinsame Stärke ist das, was konstruktiv für die Gestaltung des Verhältnisses zu China eingesetzt werden kann. Es gilt, eine friedliche und stabile Weltordnung mit China zu entwickeln und nicht gegen China.

    Deutsche Außenpolitik, Moral und Demokratie

    Plakate verschiedener Parteien hängen an Straßenlaternen vor dem Potsdamer Rathaus. Die Bürger in Brandenburg sind in diesem Jahr zur Europa- und zur Kommunalwahl aufgerufen.
    Plakate verschiedener Parteien hängen an Straßenlaternen vor dem Potsdamer Rathaus. Die Bürger in Brandenburg sind in diesem Jahr zur Europa- und zur Kommunalwahl aufgerufen. Foto: dpa

    Der Krieg Putins in Europa, der globale anti-westliche, revisionistische Machtanspruch Xi Jinpings, der Krieg im Nahen Osten und die lauernde Präsidentschaft Trumps - das sind die Ingredienzien der Gegenwart für uns Deutsche und Europäer. Bei aller Offenheit der Entwicklung kündigen sie an, dass die Gegenwart ein Abschied ist und dass Deutschland und Europa nicht das bleiben, was sie in den vergangenen dreißig Jahren waren. Diese Feststellung wird nicht wenige Menschen ängstigen, obwohl es wahrscheinlich der Einschätzung und dem Gefühl von sehr vielen entspricht. Schon aus diesem inneren Ringen, das sich bei vielen Menschen abspielt, ergibt sich eine Bewährungsprobe für unsere Demokratie. Ängste bilden das Grundkapital des politischen Geschäftsmodells der Populisten und Extremen.

    Ängste bilden das Grundkapital des politischen Geschäftsmodells der Populisten und Extremen.

    Norbert Röttgen, in seinem Buch „Demokratie und Krieg“

    (...) Der verantwortliche Umgang mit den Ängsten und Sorgen vieler Menschen in unserem Land besteht darin, mit ihnen darüber zu sprechen, was Deutschland kann - und was nicht -, und was an uns hängt. Der verantwortliche Umgang verlangt also nicht nur die intellektuelle Analyse, sondern auch die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. Die ehrliche Analyse der Lage und das Gespräch mit den Menschen sind die notwendigen Elemente von politischer Führung, die Vertrauen begründen können.

    Vertrauen muss in diesem Fall nicht nur in die Regierung oder in die politisch Verantwortlichen bestehen. Entscheidend ist das Vertrauen, das wir Deutsche als Nation in uns selbst haben. Das Vertrauen, dass wir über die Kraft verfügen, eine große Aufgabe zu bewältigen, die vor uns liegt, und dass es sich lohnt, sich dieser Aufgabe zu stellen.

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    4 Kommentare
    Helmut Eimiller

    Röttgen ist Transatlantiker, trotzdem habe ich ihn mir vor Jahren als CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten gewünscht. Wenn ich aber seine jetzigen „Weisheiten“ lese, dann denke ich mir, gut, dass es nicht so gekommen ist. Wie bei Kamala Harris stört mich auch bei ihm die Überbetonung des Militärischen sehr. Denn so aus dem Stegreif wüsste ich jetzt keinen Krieg, der die ihm zugrundeliegenden Probleme gelöst hat. Viel Unheil angerichtet haben jedoch alle Kriege. Klar, es gab immer für jede Kriegspartei einleuchtende Gründe, warum sie den Krieg unbedingt gewinnen musste. Beispielsweise wäre die Spekulation von Rothschild vermutlich nicht aufgegangen, hätten die Briten die Schlacht um Waterloo verloren. Und auch den Nationalökonomen David Ricardo machte diese gewonnene Schlacht zu einem der reichsten Briten. – vgl. de.wikipedia.org/wiki/Staatsanleihe

    Maria Reichenauer

    Ich frage mich, warum man Röttgen und seinem Buch derart viel Raum gibt. Man kann ihn dazu interviewen, man kann eine Rezension schreiben, man kann das Buch vorstellen, aber unkommentiert einen Vorabdruck eines Politikers veröffentlichen – das hat nicht nur ein Gschmäckle, das stinkt zum Himmel. Ist das Wahlkampf für die CDU oder einfach Füllstoff egal von wem? Parteipolitik als "Zeitgeschichte" einzuordnen – das ist schon ein ziemlicher Fehlgriff.

    Richard Merk

    Es gibt wesentlich wichtigere Dinge wie unsere Außenpolitik zu ändern, gerade weil die Außenpolitik der Ampel bei weitem nicht so schlecht ist wie im Vorabdruck von Norbert Röttgen dargestellt. Wie lange muss man noch warten bis eine Augsburger Allgemeine sich viel mehr für Klima- und Umweltschutz einsetzt, denn das sind weltweit die größten Probleme nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. Als Lückenfüller jedenfalls besser geeignet als ein Vorabdruck von Norbert Röttgen, denn in der Bevölkerung geht Klima- und Umweltschutz mittlerweile unter.

    Maria Reichenauer

    Mir wird jetzt schon Angst, wenn der George Clooney der CDU Außenminister werden sollte. Mit Theorien wird in der Welt kein Blumentopf zu gewinnen sein, wer künftig das Außenministerium betreut, wird schon etwas mehr mitbringen müssen.

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