Rund acht Wochen lang wurde verhandelt – nun stehen sowohl Programm als auch Personal der Ampel-Koalition. Als letzte der Koalitionsparteien stellte am Montag die SPD ihre sieben Ministerinnen und Minister vor. Größte Überraschung: Corona-Experte Karl Lauterbach wird Gesundheitsminister.
Unter den 17 Kabinettsmitgliedern sind neun Männer und acht Frauen. Neue Bundesinnenministerin soll als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik die hessische SPD-Landtagsfraktionschefin Nancy Faeser werden. Das Verteidigungsressort soll die bisherige Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht übernehmen. "Sicherheit wird in dieser Regierung in den Händen starker Frauen liegen", sagte Scholz.
Die Ministerinnen und Minister der SPD:
Innen und Heimat: Innenministerin und damit für die Sicherheit der Bundesbürgerinnen und -bürger verantwortlich ist künftig Nancy Faeser (51). Geboren im Taunus, studierte sie Jura in Frankfurt, seit 2003 ist sie Abgeordnete im hessischen Landtag. Als langjährige innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und Obfrau im NSU-Ausschuss kennt sie die Arbeit der Sicherheitsbehörden genau. Sie kündigte an, sich für eine gut ausgebildete und ausgestattete Polizei und den Kampf gegen Rechtsextremismus einzusetzen. Faeser ist verheiratet und hat einen Sohn.
Verteidigung: In der Regierung Merkel dient sie noch als Bundesjustizministerin, seit dem Rückzug von Franziska Giffey verantwortete sie zudem das Ressort Frauen und Familie: Christine Lambrecht wird nun neue Verteidigungsministerin. Die 56-jährige gebürtige Mannheimerin war von 1998 bis 2021 Mitglied des Bundestags, eingezogen zuletzt viermal über die hessische Landesliste. Bei den jüngsten Wahlen trat sie nicht mehr an. Als Nachfolgerin von Annergret Kramp-Karrenbauer (CDU) wolle sie vor allem das Beschaffungswesen modernisieren, sagte sie.
Arbeit und Soziales: Bundesminister für Arbeit und Soziales bleibt Hubertus Heil. Der 49-Jährige aus dem niedersächsischen Hildesheim hat Soziologie und Politikwissenschaft studiert und sitzt seit 1998 im Bundestag. Zweimal war er Generalsekretär seiner Partei. Als Arbeitsminister setzte er die Einführung der Grundrente durch, nun will er sich um die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro und die Stabilisierung des Rentensystems kümmern. Zudem müsse Deutschland eine „Weiterbildungsrepublik“ werden, sagte er. Heil ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Bauen: Zuletzt lag der Bereich Bauen beim Innenministerium von Horst Seehofer (CSU), nun gibt es wieder ein eigenes Bauressort. Übernehmen wird es Klara Geywitz. Die 45-jährige Potsdamerin ist verheiratet, einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie bekannt, als sie 2019 als Tandempartnerin von Olaf Scholz für den SPD-Parteivorsitz kandidierte. Das klappte damals nicht. Nun wird Scholz Kanzler und überträgt der langjährigen brandenburgischen Landtagsabgeordneten den Auftrag, flächendeckend für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Dies solle klimaschonend geschehen, so Geywitz.
Gesundheit: Er wird es doch: Karl Lauterbach ist mit Abstand der bekannteste Gesundheitspolitiker der SPD. In der Corona-Pandemie wurde der 58-jährige Medizinprofessor zum allseits gefragten Ratgeber, doch hinter der Frage, ob er auch Gesundheitsminister wird, stand zuletzt ein Fragezeichen. Jetzt ist klar, dass er auf Jens Spahn (CDU) folgt. Der Mann, der statt Krawatte stets Fliege trägt, stammt aus Düren in Nordrhein-Westfalen. „Die Pandemie wird länger dauern, als erwartet. Aber wir werden den Kampf gegen Corona gewinnen“, sagte er.
Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit: Den Bereich Entwicklung und Wirtschaftliche Zusammenarbeit wird künftig Svenja Schulze, bisher Umweltministerin, verantworten. Damit wird sie Nachfolgerin von Gerd Müller (CSU). Dass ihr das internationale Parkett nicht fremd ist, hat sie zuletzt bei der Klimaschutzkonferenz in Glasgow gezeigt. Dem Kampf gegen die Erderwärmung werde auch im neuen Bereich eine wichtige Rolle zukommen, kündigte die 53-jährige Düsseldorferin an. Schulze ist verheiratet und hat Germanistik und Politikwissenschaft studiert.
Chef des Bundeskanzleramts: Dass Wolfgang Schmidt Kanzleramtsminister wird, ist keine Überraschung, er diente Olaf Scholz schon in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister und zuletzt als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Der 51-jährige Jurist ist verheirateter Vater von zwei Kindern und künftig dafür verantwortlich, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerinnen und Ministern aller drei Ampel-Fraktionen reibungslos klappt. Er wirkt zudem als Bindeglied zwischen Kanzleramt und Bundestag sowie Bundesrat.
Die Ministerinnen und Minister der Grünen:
Klima: Der 52-Jährige Grünen-Parteichef Robert Habeck hat bereits Regierungserfahrung: Er war von 2012 bis 2018 Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Der Vater von vier erwachsenen Söhne ist Schriftsteller, veröffentlichte immer wieder gemeinsame Bücher mit seiner Ehefrau Andrea Paluch. Er gilt als volksnah und als Politiker, der auch Menschen, die nicht zur Partei-Kernklientel gehören, für grüne Themen begeistern kann. Er ist mehr Pragmatiker als Ideologe. Mitglied bei den Grünen ist der promovierte Philosoph seit 2002, schon 2004 wurde er Landeschef in Schleswig-Holstein.
Auswärtiges: Die 40-Jährige hat in den vergangenen Jahren eine steile Karriere hingelegt bei den Grünen. Schon mit 28 Jahren wurde Annalena Baerbock zur Vorsitzenden des brandenburgischen Landesverbandes gewählt. Seit 2013 sitzt die Tochter einer Sozialpädagogin und eines Maschinenbau-Ingenieurs im Bundestag, seit 2018 steht sie mit Robert Habeck an der Grünen Doppelspitze. Baerbock ist verheiratet, hat zwei Töchter. Sie gilt als ehrgeizig und gewissenhaft, traute sich sogar das Kanzleramt zu. Vor allem durch plagiierte Stellen in ihrem Buch wurde ihr Ruf allerdings angeknackst. Wie auch Habeck ist die studierte Völkerrechtlerin eine Vertreterin des Realo-Flügels ihrer Partei.
Familien: Im neuen Kabinett ist die 40-jährige Anne Spiegel eine der jüngsten Ministerinnen. Trotzdem hat sie bereits Regierungserfahrung. Die Mutter von vier Kindern war von 2016 bis 2021 Familienministerin in Rheinland-Pfalz, seit Mai diesen Jahres Umweltministerin unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Dort hat sie auch Erfahrung gesammelt, wie es sich in einer Ampel-Regierung arbeitet. In ihrem neuen Amt möchte sie das Familienbild modernisieren, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorantreiben. Als erste Ministerin in Rheinland-Pfalz ging sie in Mutterschutz. Sich selbst bezeichnet sie als Feministin. Die studierte Psychologin hat italienische Wurzeln, ist mit einem Schotten verheiratet.
Agrar: Die Eltern von Cem Özdemir kamen als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland, sich selbst bezeichnet der 55-Jährige als anatolischer Schwabe. Der Baden-Württemberger ist bereits seit 1994 Mitglied des Bundestags, errang sogar ein Direktmandat in Stuttgart. Der Vater von zwei Kindern galt eigentlich als kommender Außenminister. Der Sozialpädagoge war fast zehn Jahre Vorsitzender der Grünen, wurde aber auch von den Parteilinken immer wieder ausgebremst. Bei den Landwirten kam die Personalentscheidung nicht gut an. Özdemir ist studierter Sozialpädagoge.
Umwelt: Aktuell ist Steffi Lemke, 53, Sprecherin ihrer Partei für Naturschutz. Die gelernte Agrarwissenschaftlerin ist eine von zwei Ostdeutschen im Kabinett. Sie gilt als Parteilinke. Die Mutter eines Kindes gehörte 1989 zu den Mitbegründern der Grünen im Osten. Die gebürtige Dessauerin wird gemeinsam mit Habeck eines der Schlüsselressorts im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen. Sie gilt als harte Verhandlerin. Seit 2013 ist Steffi Lemke eine von vier parlamentarischen Geschäftsführerinnen der Bundestagsfraktion der Grünen.
Die Ministerin und Minister der FDP:
Finanzen: Mit 42 Jahren greift sich Christian Lindner das zweitmächtigste Amt der Bundesregierung. All seine Kabinettskollegen müssen an ihm, dem Bundesfinanzminister, vorbei, wenn sie ihre Projekte umsetzen wollen. Lindner hat also Blockademacht. Und er hat eine Gestaltungsmacht, die im bundespolitischen Regierungs-Kleinklein gerne vergessen wird. In Europa steht die Neuordnung der Finanzregeln für Staaten an. Italien, Frankreich und Spanien wollen die Sparvorgaben lockern, um sich mehr Geld leihen zu können. Lindner lehnt das ab, genau wie er versprochen hat, dass der deutsche Staat ohne viel neue Schulden auskommen soll.
Verkehr: Der Ampelmann der Liberalen: Volker Wissing war neben Lindner der Chefverhandler der FDP in den Koalitionsverhandlungen, hatte vor seinem Wechsel nach Berlin als Wirtschaftsminister eines rot-grün-gelben Bündnis in Rheinland-Pfalz kennengelernt, wie eine Dreierkoalition zusammenwirken kann. Als neuer Verkehrsminister muss der 51-Jährige dafür sorgen, dass sein Sektor viel weniger CO2 in die Luft bläst. Das heißt mehr E-Autos aber vor allem mehr Bahn, was der schwierige Teil der Übung ist. Der Konzern ist schwerfällig, unpünktlich, Fahrscheine sind teuer und der Streckenausbau wird noch Jahre für verspätete Züge sorgen. Wissing ist der Minister mit einem ungewöhnlichen Hobby: Er spielt Orgel. Ob das hilft, dass die Pfeifen der Schaffner künftig pünktlich ertönen, muss hier offen bleiben.
Justiz: Als Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP übersetzte Marco Buschmann die Ideen Lindners in den Maschinenraum der Fraktion. Der promovierte Jurist bringt für seine Aufgabe als Justizminister die nötige Qualifikation mit. Dass dennoch Fehler passieren, zeigte sich bei der vor wenigen Wochen beschlossenen Reform des Infektionsschutzgesetzes. Auf Bestreben Buschmanns wurden die schärfsten Einschränkungen aus dem Gesetz gestrichen, zum Beispiel die flächendeckende Schließung von Restaurants und Kneipen. Nun arbeitet die Ampel-Koalition daran, das Gestrichene wieder in das Gesetz aufzunehmen. Nach dem Fehlstart wartet auf den 44-Jährigen eine schwierige Mission. Als Verfassungsminister muss er die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Corona-Virus inhaltlich vorbereiten. Gerade in seiner Partei galt sie noch vor Wochen als absolutes Unding.
Bildung: Anders als ihre Vorgängerin kennt die künftige Bundesbildungsministerin die Welt der Hochschule. Bevor sie 2017 in den Bundestag einzig, arbeitete Bettina Stark-Watzinger im Wissenschaftsmanagement an der Universität in Frankfurt am Main. Die 53-Jährige hat aber das Problem aller Bildungsminister im Bund: Schule und Unis sind weitgehend Ländersache. Der Bund kann den Ländern nur Geld vor die Tür stellen, das sie gerne nehmen, ohne sich großartig inhaltlich hineinreden zu lassen. Die studierte Ökonomin wird in den kommenden Monaten viele Fragen zu Corona und Schule beantworten müssen, ohne dabei wirklich etwas zu sagen zu haben.