„Liebe Freunde, wir haben es geschafft!“, ruft die Moderatorin ins Mikrofon. Auf der kleinen Bühne im Lokal „Stiegl Ambulanz“, auf einem Campus der Wiener Universität gelegen, hat sich eine kleine Gruppe junger Leute im Spalier aufgestellt. „Danke“ steht auf den Schildern, die sie in die Luft halten. „Wir haben es heute der rot-schwarz-grün-pinken Einheitspartei so richtig gezeigt!“, findet die Einpeitscherin.
Dann betritt der Mann das Podium, der es geschafft hat, die extrem rechte FPÖ erstmals in der Geschichte bei einer Nationalratswahl auf Platz eins zu bringen. „Wir haben österreichische Geschichte geschrieben!“, jubelt Herbert Kickl. Er sei selten um Worte verlegen, sagt er, aber „heute tu ich mich ein bisserl schwer. Das, was wir erreicht haben, das übertrifft meine kühnsten Träume!“ 29,2 Prozent Stimmenanteil, ein sattes Plus von 13 Punkten, deutlich vor der Kanzler-Partei ÖVP und den Sozialdemokraten. Rund eine Viertelstunde spricht der Mann, über den seit Sonntag ganz Europa diskutiert.
Lachend posiert Kickl auf seiner Party mit der neofaschistischen „Identitären Bewegung“
Nun kommt die Feier so richtig in Fahrt. Was in Deutschland vor Monaten, rund um das AfD-Treffen in Potsdam, noch für einen Aufstand der Zivilgesellschaft inklusive Großdemonstrationen gesorgt hat, ist für den FPÖ-Chef kein Problem und löst in Österreich auch kaum mehr Aufregung aus. Lachend posiert Kickl auf seiner Party mit Kadern der neofaschistischen „Identitären Bewegung“ und lässt sich mit ihnen für die sozialen Medien fotografieren.
Die extreme Rechte ist in der Alpenrepublik auf dem Zenit ihres stetigen Aufstiegs der letzten Jahrzehnte angekommen, und erreicht hat dies ausgerechnet einer, der während dieses Aufstiegs stets eher im Hintergrund blieb, der keiner für die große Bühne war und nur dann, wenn es besonders schwierig und brenzlig wurde, ans Ruder musste. „Ich will Sie nicht in der Regierung haben“, sagt Beate Meinl-Reisinger, die Spitzenkandidatin der liberalen Neos, später in einer kurzen Runde der Spitzenkandidaten im ORF, Kickl auf den Kopf zu – und damit ist sie nicht alleine. Der Angesprochene wirkt leicht düpiert, aber keineswegs verlegen. Er weiß: Dass keine der anderen Parteien ihn zum Kanzler machen will, kann sich ändern. Und wenn nicht – dann bleibt er eben dort, von wo es sich am leichtesten Politik machen lässt: in der Opposition.
Am nächsten Morgen, am Tag eins nach der Wahl, ist das Land dabei, den Sieg der extremen Rechten zu verdauen, und wie es nun weitergehen wird, bleibt für die Österreicher unklar. Zu viele ungeklärte Fragen gibt es, es gilt das Pokerspiel abzuwarten, das hinter den Kulissen der drei stärksten Parteien längst im Gange ist. Die Entscheidung, wer das Land künftig regieren wird, trifft jene Partei, die die letzten fünf Jahre den Kanzler stellte: die ÖVP unter ihrem Parteichef Karl Nehammer. Er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter hatten es nicht leicht, das historische Minus von rund zehn Prozentpunkten auf 26,5 Prozent und den Verlust von Platz eins als Erfolg zu verkaufen. Immerhin, so die Parteispitzen, habe man eine Aufholjagd hingelegt, es habe eben nicht ganz gereicht.
Die ÖVP möchte und wird wohl auch weiter regieren
Klar ist: Die ÖVP möchte und wird wohl auch weiter regieren. In welcher Form, darüber herrscht in den Reihen der Konservativen Uneinigkeit. Eine Koalition mit der FPÖ, der eben auch Herbert Kickl angehört, schließe man kategorisch aus, heißt es auch am Montag aus der Partei. Für den Wahlsieger FPÖ ist dies ein Dilemma: Man will regieren, dass Kickl dafür in die zweite Reihe tritt, schließen wiederum die Blauen aus. Für den Fall, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen von der bisherigen Praxis abrücken wird, den Spitzenkandidaten der stimmenstärksten Partei mit der Bildung einer neuen Regierung zu betrauen, hat die FPÖ bereits vorgesorgt: Schlussendlich würden sich die Mehrheiten im Parlament bilden, heißt es aus der Partei, und eine solche werde man versuchen zu finden. Die Freiheitlichen wissen: Nicht alle in der ÖVP lehnen die FPÖ als Koalitionspartner ab, zu groß ist dafür die inhaltliche Schnittmenge.
Tatsächlich sieht die Verfassung keine aktive Rolle des Präsidenten vor, wenn es um Koalitionsverhandlungen geht. Noch am Wahlabend meldet sich Van der Bellen in einer kurzen Fernsehansprache zu Wort. Was er sagt, klingt nicht danach, als sei der Präsident willens, Kickl mit Verhandlungen zu betrauen. Die Verfassung sehe vor, dass der Präsident den Kanzler und die Regierungsmitglieder ernenne, aber dies setze „ein gewisses Vertrauen in die handelnden Personen“ voraus, sagt Van der Bellen. Und er werde sicherstellen, dass die „Fundamente, auf die Wohlstand und Sicherheit“ in Österreich gebaut seien, gewahrt bleiben: „Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft.“ Schon in der Vergangenheit hatte der Präsident durchklingen lassen, Kickl nicht zum Kanzler machen zu wollen.
Ob des Kickl-Dilemmas, in dem sich FPÖ und ÖVP befinden, halten viele Politikexperten in Österreich eine Dreierkoalition für eher wahrscheinlich. Die ÖVP könnte zwar, so wie früher, eine auf ein Minimum geschrumpfte Große Koalition mit den Sozialdemokraten bilden. Diese hätte allerdings – Stand Montagabend – gerade einmal die unbedingt nötige Mandatszahl im Parlament, um eine Regierung zu stützen, also müsste ein dritter Partner her.
Die SPÖ fuhr das historisch schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein
Die Liberalen wollen regieren, sie wollen aber keine bloßen Mehrheitsbeschaffer sein, wie Parteichefin Meinl-Reisinger noch am Wahlabend klarstellt. Für viele Beobachter gilt als wahrscheinlich, dass die Neos auf das Justizressort bestehen könnten – schließlich hatte sich die Partei nach der „Ibiza Affäre“ und dem Aus für Ex-Kanzler Sebastian Kurz mit parlamentarischer Aufklärungsarbeit zu den zahlreichen ÖVP-Skandalen hervorgetan. Mit der Juristin Stephanie Krisper hätten die Liberalen auch eine passende Ministerkandidatin zur Hand – mehr als fraglich ist aber, ob die von Korruptionsverfahren gebeutelte ÖVP sie als Ministerin akzeptieren würde. Und das wäre nicht die einzige Baustelle, die Verhandlungen über ein solches Bündnis schwierig machen könnte.
Vor allem die Sozialdemokraten geben aktuell alles andere als einen stabilen Juniorpartner für Nehammers ÖVP ab. Schon kurz nach Schließung der Wahllokale beginnen zahlreiche innerparteiliche Gegner, das mediale Feuer gegen den linken Parteichef Andreas Babler aufs Neue zu eröffnen. Am Montag tritt dann Bablers Intimfeind, der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, vor die Presse – um der FPÖ zu ihrem Wahlsieg zu gratulieren und Babler auszurichten, dass er keinen Regierungsauftrag für die SPÖ sehe. Doskozil gilt als Zentrum einer eher rechts tickenden Seilschaft innerhalb der Partei und ist wiederum mit dem mächtigen Wiener Bürgermeister Michael Ludwig verfeindet. Dieser will, das lässt er bereits wissen, sehr wohl regieren.
Abgesehen von den zu erwartenden Dauerintrigen in der SPÖ kann ÖVP-Chef Nehammer auch wenig mit Bablers dezidiert progressivem Kurs anfangen: Vermögenssteuern und Umverteilung, eine Reparatur des Gesundheitssystems und zahlreiche andere sozialpolitischen Maßnahmen widersprechen der konservativen Ansage, keinerlei neue Steuern einführen zu wollen. Zudem droht Österreich aufgrund hoher Staatsverschuldung ein Sparpaket. Und so dürfte Nehammer darauf hoffen, dass Babler, entnervt von den permanenten Angriffen aus den eigenen Reihen, das Handtuch werfen wird. Babler von der SPÖ-Spitze zu verdrängen, ist allerdings nicht leicht – schließlich hat der Parteichef eine Statutenänderung erwirkt, er kann nur per Mitgliedervotum abgewählt werden. Der Vorsitzende, der mit 21 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis für die SPÖ eingefahren hat, könnte sich dennoch gleichsam in die Regierung flüchten.
Herbert Kickl fühlt sich wohl in der Opferrolle
All das sind Vorzeichen, die Herbert Kickl dazu bringen, sich keineswegs um eine Regierungsbeteiligung zu streiten. Der Mann, der an der Spitze des neuen Machtfaktors in der Alpenrepublik steht, gilt als Taktiker. „Alle gegen uns“, „Schwarz-rot-grün-pinke Einheitspartei“ – der FPÖ-Chef weiß, wie er, sollte er auf der Oppositionsbank landen, eine mögliche Dreierkoalition vor sich hertreiben kann. Noch im Herbst wird in Vorarlberg und in der Steiermark ein neuer Landtag gewählt, im kommenden Jahr folgen Kommunal- und weitere Landtagswahlen. Würde Kickl in den kommenden Tagen vom Staatsoberhaupt bei den Koalitionsverhandlungen übergangen, würde ihm das ebenso bei seiner Erzählung des angeblich betrogenen „Volks“ helfen.
Kickl fühlt sich wohl in der Opferrolle. Dass der amtierende grüne Vizekanzler Werner Kogler noch am Sonntag fordert, einen FPÖ-Nationalratspräsidenten zu verhindern, dürfte ihm ebenso entgegenkommen. Schon geht in Wien die Sorge um, dass sich im Parlament bald ähnliche Szenen abspielen könnten wie jüngst im Thüringer Landtag. Bisher wählten die Abgeordneten stets einen Vertreter der stimmenstärksten Partei in das Amt, das die Geschäftsordnung im Nationalrat umsetzt. Einen gesetzlichen Anspruch für die stärkste Partei gibt es allerdings nicht.
Auf Zeit zu spielen, abzuwarten, bis die wohl schwierigen Verhandlungen für ein Dreierbündnis beendet sind, das könnte keineswegs nur die Taktik von Präsident Van der Bellen sein. Herbert Kickl weiß: Die Zeit spielt für ihn.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden