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Nachruf: Edzard Reuter: Visionen und Werte waren seine Richtschnur

Nachruf

Edzard Reuter: Visionen und Werte waren seine Richtschnur

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    Edzard Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG,  ist am 27. Oktober 2024 im Alter von 96 Jahren in Stuttgart gestorben.
    Edzard Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG, ist am 27. Oktober 2024 im Alter von 96 Jahren in Stuttgart gestorben. Foto: Marijan Murat, dpa

    Wer Edzard Reuter in seinem Haus am grünen Rand von Stuttgart besuchte, ließ sich fasziniert mitnehmen auf eine Zeitreise, kaum, dass die Gartentür hinter einem verschlossen war. Es ging in eine Ära, die schon optisch in so großen Kontrast zum modernen Manager-Habitus mit all seinem Status-Geprotze stand, dass es getrost als Statement verstanden werden durfte. Viel Sichtbeton, viel Glas, im Zentrum des Erdgeschosses sein Schreibtisch, dahinter große Regale voller Bücher, im Badezimmer die braunen Fliesen der 70er. Kein Schnörkel, keine Selbstbeweihräucherung, stattdessen echte Kunst und klare Kante. Reuter selbst stand genau für diese Haltung: Obwohl er als Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG einer der Top-Manager dieser Republik war, blieb er zeit seines Lebens Mitglied der SPD. Er geißelte den Drang zur Profit-Maximierung, er forderte Rücksicht auf Umwelt und nachfolgende Generationen. Werte galten ihm als Leitplanken des eigenen Lebens, aber waren auch der Maßstab, den er an andere anlegte. Bis ins hohe Alter mischte er sich immer wieder in aktuelle Debatten ein, nun starb er im Alter von 96 Jahren in seiner Heimat Stuttgart.

    In einem Interview mit unserer Redaktion mahnte er die Parteien. „In unseren demokratischen Systemen muss die Politik wieder den Mut zur Führung finden“, sagte Reuter damals, die Ampel-Regierung war erst kurz im Amt. „Sie muss klipp und klar sagen, wofür sie steht und durch ihre Taten davon überzeugen. Als es uns zu gut ging, ist uns das leider verloren gegangen. Die Politik hat sich angewöhnt, ihre eigenen Vorteile zu suchen und folglich ihre Entscheidungen von Tag zu Tag zu treffen.“

    Bei Daimler hatte sich Edzard Reuter verkalkuliert

    Doch auch Reuter selbst ist nicht alles gelungen, was er sich zur Vision gemacht hat. Der gescheiterte Versuch, aus dem Autobauer einen Technologiekonzern zu machen, wird wohl immer mit seinem Namen verbunden bleiben. Den früheren klassischen Daimler-Konzern gibt es heute nicht mehr. Er hatte sich 2021 aufgespalten. Die bisherige Lastwagensparte wurde zu Daimler Truck. Und die Autos sind nun in der Mercedes-Benz Group AG gebündelt. Reuter hatte in seiner Ära versucht, den Autokonzern zu einem viel breiter aufgestellten Technologie-Imperium zu machen.

    Der Manager verhalf den Stuttgartern zu einer eigenen Luft- und Raumfahrttochter, der DASA. Auch AEG, Dornier und MTU gehörten dazu. Das brachte dem Chef viel Aufmerksamkeit, doch am Ende scheiterte die Vision. Daimler kehrte zurück zum Kerngeschäft. Was blieb, war ein Milliardenverlust - und ausgerechnet Reuter wurde den von Kritikern aufgedrückten Stempel des größten Kapitalvernichters aller Zeiten nie mehr los.

    Er selbst hat seinen Kurs immer verteidigt. „Wir haben im Einzelnen bei unserem Versuch, einen Technologiekonzern aufzubauen, gewaltige Fehler gemacht - gar kein Zweifel“, sagte er einmal. „Aber der grundsätzliche Weg ist nach meiner festen Überzeugung absolut richtig gewesen.“ Man habe schon damals überlegt, wie die Zukunft der Autoindustrie aussehen könne und wie das Unternehmen sich darauf einstellen solle.

    Seine Familiengeschiche prägte ihn zeitlebens

    Der studierte Mathematiker und Jurist war 1965 zu Daimler-Benz gekommen und wurde dort 1976 Vorstandsmitglied. Zweimal war er als Chef schon im Gespräch gewesen, 1987 klappte es dann. Einen glanzvollen Abschied bekam Reuter nicht - im Gegenteil. Die Reaktionen nach seinem Ausscheiden bei Daimler seien eine schwere, böse Demütigung gewesen, hat er einmal dem Zeit-Magazin gesagt. Aber, das habe ihm seine Mutter vermittelt, so etwas müsse man ertragen, wenn man von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt sei. Seine Familiengeschichte hat ihn geprägt.

    Der Sohn des legendären Berliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter trat nicht nur als Streiter für mehr Anstand und Moral in der Wirtschaft, sondern auch als sozial- und gesellschaftspolitischer Mahner auf. Von seinem Haus am Rande Stuttgarts aus führte Reuter selbst die nach ihm und seiner Frau Helga benannte Stiftung, die sich für ein friedliches Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen einsetzt.

    „Wir müssen lernen, dass Fremde, die zu uns kommen und mit uns leben, auch unser Leben bereichern können, auch ändern können“, sagte Reuter einst. Er selbst wuchs in der Türkei auf, nachdem seine Familie 1935 vor den Nazis dorthin geflüchtet war. Die Lage dort hielt er ebenso aufmerksam im Blick wie die nationalistischen Tendenzen in der Europäischen Union. Dass die gemeinsamen Wertvorstellungen, auf denen Europa basiere, einmal derart erodieren könnten, habe er sich nie vorstellen können, kritisierte er.

    Darüber in Verzweiflung zu verfallen, all die Zeitungen und Bücher wegzulegen und sich abzuwenden, kam trotzdem nie infrage. So wie er an seine Vision glaubte, glaubte Reuter auch an das Gute im Menschen. „Ich glaube, dass wir Menschen die Fähigkeit haben, mit den größten Problemen fertig zu werden, auch wenn sie noch so schlimm sind.“ (huf/dpa)

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