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Münchner Sicherheitskonferenz: Das Beben von München: Die Gräben zwischen Europa und den USA werden tiefer

Münchner Sicherheitskonferenz

Das Beben von München: Die Gräben zwischen Europa und den USA werden tiefer

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    „In Washington ist ein neuer Sheriff in der Stadt“, sagte US-Vizepräsident zum Auftakt der Sicherheitskonferenz in München.
    „In Washington ist ein neuer Sheriff in der Stadt“, sagte US-Vizepräsident zum Auftakt der Sicherheitskonferenz in München. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Die Temperaturen sind eisig an diesem Freitagvormittag, fast als ob sich Petrus der politischen Stimmung anpassen wollte. Mit hochgeklappten Mantelkrägen und verschränkten Armen huschen die Mächtigen dieser Welt aus ihren beheizten Limousinen in den Bayerischen Hof. Kanzlerkandidat Friedrich Merz verschwindet gemeinsam mit dem neuen amerikanischen Vizepräsidenten J.D. Vance und dem CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im benachbarten Gebäude der Hypovereinsbank, wo es Raum für vertrauliche Gespräche gibt.

    Der deutsche Verteidigungsminister hat sich für ein Statement auf dem Gehsteig aufgebaut, eine Traube Journalisten umringt ihn. Er sagt die gleichen Parolen, die er einen Tag vorher schon in Brüssel in die Mikrofone gesprochen hat. „Es gibt keinen Frieden in Europa ohne die Europäer“, erklärt Boris Pistorius. „Deshalb müssen die Europäer mitverhandeln.“ Es ist mehr Wunsch als Forderung. Denn wer das Sagen hat in dieser Welt, das wurde den Europäern gut 48 Stunden vorher mit dem politischen Vorschlaghammer klargemacht: Nicht in Brüssel, nicht in Berlin wird über den Weg bestimmt, sondern in Washington und Moskau. Mit dem Deal, den US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin für die Ukraine einfädeln wollen, haben sie den Westen in Schnappatmung versetzt.

    Lange nicht mehr wurde die Münchner Sicherheitskonferenz mit so großer Spannung erwartet. Lange nicht mehr waren die Gespräche, die hier geführt wurden, so entscheidend. 2007 hatte der russische Präsident Wladimir Putin genau an diesem Ort sein Großmachtstreben in einer Rede dargelegt, deren Dimension sich vielen erst später erschloss. In diesem Jahr war es US-Vize Vance, der klarmachte, dass die Welt an einer Gabelung stehen könnte. Dass womöglich sogar das Ende des Westens und seiner Gewissheiten eingeläutet wird. „In Washington ist ein neuer Sheriff in der Stadt“, sagte er - und offenbar sollen auch die Gesetze des Wilden Westens gelten.

    Wie tief die Gräben sind, wie hart der Blick ist auf die, die sich stets auf den Schutz der Amerikaner verlassen hatten, konnten auch die freundlichen Floskeln, die Vance an den Beginn seiner Rede stellte, nicht verdecken. Die Botschaft des Republikaners war so unversöhnlich, dass vielen Zuhörern noch nicht einmal höflicher Applaus möglich schien.

    Die politischen Gewissheiten verschieben sich

    Die vergangenen Tage, sie könnten daher im Rückblick als so etwas wie ein zartes Vorbeben in die Geschichte eingehen — denn das, was der Welt bevorstehen könnte, ist nichts anderes als eine tektonische Verschiebung der politischen Platten. Nicht mehr die USA und Europa stehen Seite an Seite, sondern Washington dealt einen schmutzigen Frieden mit dem Kreml aus, der nicht nur auf Kosten der Ukraine geht, sondern auch auf Kosten der Europäer. Nicht mehr wie Partner, sondern wie Konkurrenten sprechen Europäer und Amerikaner übereinander. Sogar der sonst so staatstragende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird erstaunlich deutlich. „Ich frage uns: Wie wird diese Atemlosigkeit den Charakter internationaler Politik verändern? Wird die internationale Gemeinschaft als Ganzes Schaden nehmen?“, sagt er in bestimmtem Ton. „Meine Antwort: Das liegt an uns! Wir sind Subjekte, nicht Objekte der internationalen Ordnung. Wir dürfen uns von der Flut der Ankündigungen nicht lähmen lassen. Wir dürfen nicht aus Angst erstarren.“

    Wir müssen, wir müssen, wir müssen… — wie ein Mantra erschallt es an diesem Freitag durch die Hallen der Konferenz. Wir müssen eigenständiger werden, wir müssen mehr Geld ausgeben, wir müssen die Nato stärken. Doch klar wird auch: Europa wurde, allen Warnungen zum Trotz, kalt erwischt. Immerhin jetzt, in der Stunde der Not scheint man den Ernst der Lage zu begreifen. „Autoritäre Regime auf der ganzen Welt beobachten genau, ob man ungestraft davonkommt, wenn man Nachbarn überfällt und internationale Grenzen verletzt oder ob es eine echte Abschreckung gibt“, sagt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. An die Adresse von Putin gerichtet, ergänzt sie: „Es ist an ihm zu beweisen, dass er den Krieg nicht verlängern will. Es ist an ihm zu zeigen, dass er sein Ziel aufgegeben hat, die Ukraine zu vernichten.“ 

    EU will mehr Geld für Verteidigung ausgeben

    An der EU wiederum wird es nun sein, zu beweisen, dass die Worte diesmal ernster gemeint sind als in den vergangenen drei Jahren. Von der Leyen will deshalb über die Aktivierung einer Sonderklausel zu den europäischen Schuldenregeln höhere Verteidigungsausgaben ermöglichen. „Ich werde vorschlagen, die Ausweichklausel für Verteidigungsinvestitionen zu aktivieren. Dies wird es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre Verteidigungsausgaben erheblich zu erhöhen.“ Denn klar ist an diesem Tag allen Rednern in München: An das 2-Prozent-Ziel der Nato wird man sich bald mit großer Wehmut erinnern. 3 Prozent, 3,5 Prozent – die Zahlen, die nun diskutiert werden, kennen nur eine Richtung: steigend. Was sich hinter Kommastellen verbirgt, hat das Institut für Wirtschaft in Kiel ausgerechnet: „Eine Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben von knapp 2 Prozent des BIP auf 3,5 Prozent würde derzeit rund 300 Milliarden Euro pro Jahr kosten.“ Schätzungen der EU-Kommission zufolge sind in den nächsten zehn Jahren zusätzliche Verteidigungsinvestitionen in Höhe von rund 500 Milliarden Euro erforderlich.

    Wer hofft, dass die Europäer endlich aufwachen, das ist die Delegation aus der Ukraine. Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, richtet fast flehentliche Worte an seine Partner, dass es keinen Frieden um jeden Preis geben dürfe. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bemüht sich glaubhaft zu betonen, dass er zu „echten Gesprächen“ bereit sei. „Wir sind bereit für jede Konstruktion, um Putin zu stoppen.“ Was der russische Präsident von seinem ukrainischen Gegenüber hält, macht er wenige Stunden vorher deutlich: Eine russische Drohne beschädigte die Schutzhülle des vor fast 40 Jahren havarierten Atomkraftwerks Tschernobyl.

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    2 Kommentare
    Jochen Hoeflein

    Wie ein verunsicherter Hühnerhaufen stehen die Europäer nun mit ihrer Vorstellung einer regelbasierten Weltordnung da. Die USA legen keinen großen Wert darauf die Stimme der EU in die UA Verhandlungen zu integrieren. Die Definition von Frieden für die UA wird von Washington definiert und nicht mehr in endlosen Konferenzrunden diskutiert und ventiliert.

    Wolfgang Boeldt

    Ach Gott - die Amerikaner haben uns 80 Jahre mit ihrer militärischen Potenz geschützt. Das wird sich grundsätzlich nicht ändern, vielleicht werden die Bedingungen hierfür ein wenig stringenter. Die USA brauchen nämlich auf Teile Europas, nicht unbedingt aus militärischer Sicht.

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