Mit Betroffenheit haben deutsche Politiker und Hilfsorganisationen auf die Bilder aus dem brennenden Flüchtlingslager Moria reagiert. Doch bei der Frage nach den Konsequenzen gibt es noch Gesprächsbedarf. Ein Überblick.
Die Reaktion der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat Griechenland Hilfe angeboten. Wie diese Hilfe konkret aussehen wird, soll die griechische Regierung entscheiden. "Unsere Priorität ist jetzt die, dass wir vor Ort Hilfe leisten, im Rahmen dessen, was Griechenland braucht", sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, am Mittwoch in Berlin. Zunächst müsse dafür gesorgt werden, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf hätten. Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz, erklärte, im Kabinett sei man sich einig, dass die Unterstützung von den europäischen Staaten gemeinsam geleistet werden solle.
Auf die Frage, ob Innenminister Horst Seehofer (CSU) jetzt bereit sei, Ländern und Kommunen, die sich schon länger zur Aufnahme von Geflüchteten aus Moria bereiterklärt hatten, dies zu gestatten, antwortete sein Sprecher: "Die aktuelle Situation stellt uns vor Herausforderungen, aber das ist kein Grund, unsere bisherige Rechtsordnung infrage zu stellen."
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte im Bundestag, es sei notwendig, dass Deutschland und Europa nun helfen. Es solle eine europäische Lösung geben. Die will auch Außenminister Heiko Maas (SPD): "Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU."
Allein Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) forderte, 2000 Migranten aufzunehmen. Deutschland solle mit einem entsprechenden "Zeichen der Humanität" vorangehen, sagte er in der ARD. "Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Angebote der deutschen Länder annehmen sollten." Müller appellierte an andere EU-Länder, sich ebenfalls zur Aufnahme bereitzuerklären und nicht auf eine EU-weite Lösung zu setzen. "Ich fordere Frankreich und andere Länder auf: Wir können nicht auf die Letzten warten, es gibt hier keine Einstimmigkeit."
Auch die Stadt Augsburg bietet Hilfe an
Auch die Stadt Augsburg hat Bereitschaft signalisiert, Menschen, die in dem Flüchtlingslager gelebt haben, aufzunehmen. Oberbürgermeisterin Eva Weber wendete sich in einem Schreiben an Bundesinnenminister Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder. Sie schrieb von einer "humane Katastrophe, vor der niemand die Augen verschließen darf", heißt es in einer Mitteilung der Stadt. In dem Schreiben habe sie darum gebeten, erneut zu prüfen, ob die Geflüchteten bald einreisen könnten. "Als Friedensstadt Augsburg wollen wir unseren kommunalen Beitrag leisten, indem wir bereit sind, Schutzbedürftige aufzunehmen."
Die Reaktionen der Parteien
SPD-Chefin Saskia Esken forderte, die Bundesregierung müsse nun den Weg für eine Aufnahme der Geflüchteten von Moria in deutschen Kommunen freimachen. "Wir müssen umgehend Hilfe vor Ort leisten und die Menschen, darunter viele Familien und Kinder, da rausholen", schrieb sie auf Twitter. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte: "Wir dringen auch gegenüber der Bundeskanzlerin auf eine schnelle Lösung."
Die CDU sprach sich gegen eine rein nationale Hilfsaktion für die Menschen in Moria aus. "Die neueste Entwicklung auf Lesbos macht deutlich, wie dringend eine europäische Antwort auf die Flüchtlingsentwicklung ist", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg.
Eine Evakuierung aller griechischen Lager forderte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Der Funke-Mediengruppe sagte sie: "Deutschland muss handeln - nicht erst seit heute, sondern schon seit Jahren. Aber die Bundesregierung bremst Hilfe aus, wo sie nur kann."
FDP-Chef Christian Linder fordert angesichts der Brände eine Priorisierung der Flüchtlingsfrage während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. "Die Bilder aus Moria sind erschütternd. Seit fünf Jahren scheitert EU an einer europäische Lösung der Flüchtlingsfrage", twitterte Lindner. Das Thema müsse auf der Agenda "ganz nach oben."
"Es ist eine Schande, dass Europa Zustände wie in Moria jahrelang duldete. Wir brauchen unverzüglich einen Sondergipfel der EU zur Lösung dieser humanitären Katastrophe", sagte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch.
Die AfD forderte, die Asylverfahren der Menschen in Moria möglichst schnell abzuschließen und diejenigen, die keinen Anspruch auf Schutz haben, in ihre Heimatländer zurückzubringen. "Das sind immer noch die Folgen der falschen Anreize, die Frau Merkel 2015 gesetzt hat", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. Fraktionschefin Alice Weidel schrieb bei Twitter: "Mutmaßlich selbst gelegte Brände dürfen kein Ticket nach Deutschland sein!"
Mehrere Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Thüringen boten indes an, Migranten von den Inseln aufzunehmen und appellierten an Innenminister Seehofer, den Weg zur Aufnahme von mehr Flüchtlingen frei zu machen.
So reagiert die EU
Sie sei tief traurig, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter. "Wir stehen mit den Mitgliedstaaten bereit, zu helfen." Priorität habe die Sicherheit jener, die ohne Obdach seien.
Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson schrieb auf Twitter, sie sei in Kontakt mit den griechischen Behörden und habe zugestimmt, den raschen Transfer und die Unterbringung der verbleibenden 400 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen auf dem Festland zu finanzieren. Zudem werde ein Schiff gebracht, auf dem besonders verletzliche Migranten - etwa Schwangere und Kinder - untergebracht werden sollten.
Migrationskommissar Margaritis Schinas kündigte für Freitag an, man werde sich mit den griechischen Behörden und UN-Organisationen zusammensetzen, um zu sehen, was die EU-Staaten tun könnten, um die Situation zu mildern. "In ein paar Wochen" werde die Kommission ihren - seit längerem geplanten - Vorschlag für eine neue Asylpolitik vorlegen, sagte der Grieche im ZDF.
Der Grünen-Abgeordnete im Europaparlament Erik Marquardt sagte: "Wenn ich die Bilder sehe, dann glaube ich auch, dass dort das Fundament brennt, auf dem wir zusammenleben." Die Menschen müssten nun dringend von den griechischen Inseln gebracht werden.
Frankreich bot am Mittwoch seine Unterstützung an. Das Land sei bereit, sich an der Solidarität zu beteiligen, sagte Regierungssprecher Gabriel Attal in Paris. "Frankreich hat sich nie seiner Verantwortung entzogen", sagte Attal. Nähere Angaben zu der möglichen Unterstützung machte er zunächst nicht. Das britische Innenministerium teilte zunächst mit, man beobachte die Situation in Griechenland und verwies auf die regulären Asyl- und Einreisebestimmungen Großbritanniens.
Österreichs Regierung lehnte eine Aufnahme von Migranten nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria strikt ab. Die griechischen Behörden gingen davon aus, dass Feuer gelegt und Rettungskräfte angegriffen worden seien, sagte Innenminister Karl Nehammer. "Die geschilderten Berichte lassen nur einen Schluss zu: Gewaltbereite Migranten haben kein Recht auf Asyl in Europa." Die Verantwortlichen hätten bewusst in Kauf genommen, dass Menschenleben gefährdet worden seien.
Reaktionen aus der Zivilgesellschaft
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl macht die Bundesregierung und die EU für den Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria verantwortlich. "Die Katastrophe von Moria ist eine Folge der skandalösen und menschenverachtenden deutschen und europäischen Politik", sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Dort seien Tausende Menschen "psychisch zermürbt" worden.
Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) bezeichnete die Brände im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos als "Katastrophe mit Ansage". In die Betroffenheit über das Elend der Schutzsuchenden mische sich "Bestürzung über das politische Versagen", kritisierte der Sonderbeauftragte der DBK für Flüchtlingsfragen, Stefan Heße.
Bei Demonstrationen in mehreren Städten forderten mehrere Tausend Menschen, Migranten aus Moria und von anderen Inseln der Ägäis in der EU und Deutschland aufzunehmen. In Berlin beteiligten sich am Mittwochabend laut Polizei rund 3000 Menschen, in Hamburg mehr als 1200 und in Frankfurt am Main 300. Neben anderen hatte die Internationale Liga für Menschenrechte zu den Kundgebungen unter dem Motto "Wir haben Platz!" aufgerufen.
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