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Michael Kretschmer im Interview: „Wir machen nicht rechts oder links, wir gehen unseren sächsischen Weg.“

Interview

Michael Kretschmer: „Wir lassen uns in Sachsen nicht reinreden“

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    Der sächsische Ministerpräsident Michel Kretschmer (CDU) reagiert bisweilen allergisch auf Ratschläge von außen – auch aus der eigenen Partei.
    Der sächsische Ministerpräsident Michel Kretschmer (CDU) reagiert bisweilen allergisch auf Ratschläge von außen – auch aus der eigenen Partei. Foto: Robert Michael, dpa

    Herr Kretschmer, noch drei Wochen sind es bis zur Landtagswahl in Sachsen. Zuletzt hat ihre CDU in den Umfragen zugelegt, die AfD liegt nur noch knapp vor Ihnen auf Platz 1. Werden Sie sich wie 2019 am Ende wieder vor die AfD schieben?

    Michael Kretschmer: Ich arbeite ganz intensiv dafür und merke, dass ganz viele Menschen das Gefühl haben, dass das eine sehr wichtige Wahl ist. Hier geht es jetzt wirklich um die Frage, wer wird stärkste Kraft, wer hat die Chance, eine stabile Regierung zu bilden. Und der Wunsch der Sachsen, sich nicht irgendwie durch eine Protestwahl in den Strudel ziehen zu lassen, der ist sehr, sehr stark. Und deswegen gibt es sehr viele Menschen, die mir sagen, ich habe in den vergangenen Jahren noch andere Parteien gewählt, aber dieses Mal wähle ich die CDU. Weil es wichtig ist, dass Sie auf Platz eins sind.

    Ihr Amtskollege aus Brandenburg, Dietmar Woidke (SPD), hat neulich erklärt, dass er aufhört, sollte er bei der Landtagswahl nicht als Nummer 1 vom Platz gehen. Wie halten Sie es?

    Kretschmer: Dietmar Woidke ist ein klasse Mensch. Es wäre schade, würde er gehen. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet, bei wichtigen Standortfragen wie der Zukunft der Lausitz stimmen wir uns eng ab. Er würde der Politik in Brandenburg und Deutschland fehlen.

    Die Frage bezog sich auf Sie. Was machen Sie, sollten Sie Platz 1 verfehlen?

    Kretschmer: Ich arbeite dafür, dass das nicht passiert.

    Michael Kretschmer hat sich zum Ziel gesetzt, die AfD mit ihrem Vorsitzenden Jörg Urban (rechts) in Sachsen bei den Landtagswahlen auf den zweiten Rang zu verweisen.
    Michael Kretschmer hat sich zum Ziel gesetzt, die AfD mit ihrem Vorsitzenden Jörg Urban (rechts) in Sachsen bei den Landtagswahlen auf den zweiten Rang zu verweisen. Foto: Robert Michael, dpa

    Ihr Hauptgegner bei der Wahl ist die AfD. Der Verfassungsschutz stuft den sächsischen Landesverband als gesichert rechtsextrem ein. Wie gefährlich ist sie wirklich?

    Kretschmer: Wenn man genau hinschaut, sich die Reden anhört, die Beschlüsse im AfD-Bundesvorstand ansieht, dann hat sich diese Partei zunehmend rechtsextrem radikalisiert. Das gilt auch für die Führungsebene. Von der wirtschaftsliberalen, nationalen Partei der Gründerjahre ist nichts mehr übrig. Das ist gescheitert und da gibt es kein Zurück mehr.

    Trotz dieser Radikalisierung wollen laut Umfragen etwa 30 Prozent der Wähler in Sachsen ihr Kreuz bei der AfD machen. Wir erklären Sie sich das?

    Kretschmer: Die Nachwahlbefragungen zeigen, dass der Frust über die großen ungelösten Probleme der Nährboden für die AfD ist. Die Themen sind Migration, das Heizungsgesetz, die Übergriffigkeit des Staates, teure Energie. Die Leute haben nicht darüber abgestimmt, wer Landrat wird oder im EU-Parlament sitzt, sondern über diese Themen. Und deswegen ist das so unverantwortlich, dass die Bundesregierung die ausgestreckte Hand der 16 Ministerpräsidenten und der Opposition im Deutschen Bundestag nicht ergreift und sagt, jetzt lasst uns doch mal dieses Thema Migration oder das Thema Energie klären in einem großen, breiten Konsens. Das hätte natürlich eine große Wirkung auf die Bevölkerung.

    Stichwort Energie. Sie sind mehrfach mit Robert Habeck zusammengetroffen, haben auch im Wirtschaftsministerium in Berlin mit ihm diskutiert. Sie haben ihn hart attackiert für seine Energiepolitik und einen Neustart gefordert. Wie könnten Strom und Gas tatsächlich günstiger werden?

    Kretschmer: Zunächst einmal muss es gelingen, Energie günstiger zu machen. Wir haben das Drei- bis Vierfache des Strompreises von Amerika und damit sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig. Das können wir uns nicht erlauben. Man muss die Energiewende neu aufsetzen. Es gibt das energiepolitische Dreieck. Das besteht aus Ökonomie, Ökologie und dem Sozialen. Das sind drei gleichberechtigte Ziele. Wenn man die gleichberechtigt sieht und keine ideologischen Scheuklappen hat, kann die Energiewende aufgehen. Dazu kommt es, wenn man sagt, Atomkraft ist möglich, Braunkohle soll bis 2038 zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Wir nehmen heimisches Gas. Wir sind für Verpressung von CO2 unter die Erde. Wir gehen den Weg, dass wir nach Ende des Ukraine-Krieges auch wieder russisches Gas nehmen.

    Habeck wollte einen Brückenstrompreis und hat die CO2-Verpressung erlaubt...

    Kretschmer: Aber das ist zu wenig. Die Grünen hatten die historische Aufgabe, Ökonomie und Ökologie miteinander zu versöhnen. Und wenn man es so gemacht hätte wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, hätte es auch gelingen können. Aber spätestens seit dem Abschalten der drei letzten Atomkraftwerke wider besseren Wissen, wider den Rat von Ökonomen, sind sie an ihrer großen Aufgabe gescheitert. Die Grünen sind keine pragmatische Partei, sondern einseitig auf ihr politischen Ziele fokussiert.

    Die große Wundertüte bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist das Bündnis Sahra Wagenknecht. Womöglich müssen Sie mit dem BSW koalieren, obwohl die Neulinge programmatisch und personell noch in den Kinderschuhen stecken. Könnte daraus etwas Gutes werden?

    Kretschmer: Die Frage kann ich heute nicht beantworten. Ich würde Ihnen zustimmen, dass wir bei dem BSW über eine Blackbox reden. Wir müssen im Wahlkampf über die Frage sprechen, woher die Stärke dieses Landes kommt. Wir sollten nicht über Konstellationen unken, die sich vielleicht einstellen oder auch nicht.

    Die Wähler könnten Ihnen vielleicht keine andere Chance lassen, als mit dem BSW zu koalieren. Wo würde darüber entschieden – im Konrad-Adenauer-Haus oder in Sachsen?

    Kretschmer: Solche Fragen werden ausschließlich in Sachsen entschieden. Eine der Grundprämissen ist: Wir lassen uns hier in Sachsen nicht reinreden – weder von Brüssel noch von Berlin. Wir machen auch nicht rechts oder links, sondern wir gehen unseren sächsischen Weg. Das ist immer die Stärke dieses Landes gewesen und daran wird sich auch nichts ändern.

    Wenn Sie für fünf weitere Jahre Ministerpräsident bleiben sollten, was sind Ihre drei Kernprojekte für Sachsen?

    Kretschmer: Mein Ziel ist es, dass wir die wirtschaftlichen Erfolge, auf die wir in den 90er Jahren so sehr gehofft hatten und jetzt haben, fortschreiben. Ich will dieses Land auf Wachstumskurs bringen, auch bei der demographischen Entwicklung. Wir brauchen Zuwanderung in Sachsen, aber die Leute, die zu uns kommen, müssen arbeiten wollen. In ganz Deutschland ist die Zahl der Flüchtlinge zu hoch. Wir müssen von 300.000 auf 30.000 bis max. 50.000 pro Jahr herunter. Wir werden in Sachsen wie in Bayern eine Grenzpolizei einführen. Die Bundesregierung meint es immer noch nicht ernst mit ihrem Versprechen, Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen.

    Wirtschaft und Migration sind zwei Themen, welches ist Top-Thema Nummer drei für Sie?

    Kretschmer: Wir arbeiten weiter daran, dass ländliche Regionen und die großen Städte gleichermaßen gestärkt werden. Alle Regionen im Freistaat müssen von positiven Entwicklungen profitieren. Es braucht überall faire Lebenschancen, um den Zusammenhalt zu stärken. Dazu gehören zum Beispiel eine gute medizinische Versorgung im ländlichen Raum oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Außerdem müssen wir wieder zu einer politischen Debattenkultur kommen, die nicht nur Menschen akzeptiert, die die eigene Meinung haben, sondern die eine Neugier an der Debatte über unterschiedliche Auffassungen hat.

    Ist das alles mit dem engen Finanzkorsett der Schuldenbremse überhaupt zu bezahlen?

    Kretschmer: Deutschland hat kein Finanzproblem. Vor Corona hatten wir im Bundeshaushalt ein Ausgabenvolumen von rund 340 Milliarden Euro, jetzt sind 480 Milliarden für 2025 geplant. Diese Bundesregierung gibt das Geld für alle möglichen Dinge aus, setzt aber keine Prioritäten. Das Einzige, was ihr dann einfällt, ist, neue Schulden zu machen. Also, so geht das doch nicht. Sie selbst verursacht eine Rezession in diesem Land und setzt dann das Geld, was sie hat, auch noch falsch ein. Diese Rezession, in der wir sind, ist übrigens extrem gefährlich. Sie nimmt Deutschland die Kraft, die wir brauchen. Russland und China verstehen nur das Prinzip der Stärke. Und die Stärke Deutschlands war und muss die ökonomische sein.

    Mittlerweile sagen auch einige namhafte Ökonomen verschiedener Denkschulen, dass sich Deutschland bei den Staatsfinanzen zu stark binde. Die Wirtschaftswissenschaftler sprechen sich für Ausnahmen bei der Schuldenregel für Investitionen aus. Das würde doch auch Ihnen als Landeschef das Leben leichter machen.

    Kretschmer: Wenn wir uns darüber verständigen, was die Ursachen der schwachen Entwicklung sind und wir diese beseitigen, dann finde ich, könnten wir mit neuen Sondervermögen die Dinge beschleunigen. Eines brauchen wir für die Kommunen in ganz Deutschland dringend, um daraus die Investitionen in Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten und in die Sportstätten zu finanzieren. Davon würde ein Wachstumsschub ausgelöst. Das zweite Sondervermögen muss für die Deutsche Bahn sein, damit die Chance besteht, über den Zeitraum von zehn bis 15 Jahren strategisch auszubauen und zu erneuern. Damit wir wegkommen davon, von Bundeshaushalt zu Bundeshaushalt zu springen.

    Wie groß sollen die beiden Sondertöpfe ausfallen?

    Kretschmer: Jeweils 100 Milliarden Euro.

    Zur Person Michael Kretschmer ist seit dem 13. Dezember 2017 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Er wurde am 7. Mai 1975 in Görlitz geboren, ist evangelisch und Vater von zwei Söhnen. Der CDU-Politiker machte eine Ausbildung zum Büroinformationselektroniker und erwarb auf dem zweiten Bildungsweg die Fachhochschulreife. Sein Studium schloss er als Diplom-Wirtschaftsingenieur ab. Kretschmer startete seine Karriere bei der Jungen Union, er saß unter anderem von 2002 bis 2017 für die CDU im Bundestag und ist seit 2017 Chef des CDU-Landesverbandes Sachsen.

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    2 Kommentare
    Marianne Böhm

    Ich mag Michael Kretschmer sehr, ich finde er ist ein sehr guter Ministerpräsident für Sachsen.. Leider kommt aus Berlin für die Landes Ministerpräsidenten wenig bis keine Unterstützung.. die müssen sich mit all den Problemen rumschlagen was die Ampel in ihrer ideologischen Art sich ausdenkt.. Die Politik in Berlin wirkt immer unglaubwürdiger.. weil sie nicht nur ihre Ministerpräsidenten im Stich lässt, sondern auch ihre Bürger.. und das ist der AFD ihr Trumpf.. Aber Scholz und Co. das merken das in ihrem Ego nicht mehr.. !!

    Rainer Kraus

    Marianne Böhm, hat vollkommen recht, dass Scholz & Co. Michael Kretschmer im Kampf gegen die AfD mehr boykottierten als unterstützten . Darum muss Merz oder Söder nach Berlin, damit die AfD hoffentlich nicht noch stärker wird, oder?

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