Laut und wütend schreien sie gegen die Unterdrückung und gegen das Vergessen an. Die Demonstrantinnen, die einander am Weltfrauentag in Berlin unterhaken, stammen aus dem Iran und aus Afghanistan - zwei Länder, in denen Frauen aktuell verfolgt, entrechtet und aus dem öffentlichen Raum gedrängt werden.
Eine von ihnen ist Frozan Darwish. Die 38-jährige Menschenrechtsaktivistin war kurz nach der Machtübernahme durch die militant-islamistischen Taliban im August 2021 aus der afghanischen Hauptstadt Kabul geflohen. Zunächst ging es für drei Wochen nach Pakistan, Anfang Dezember kam sie mit Hilfe der Bundesregierung zusammen mit ihrem Ehemann und den vier Kindern nach Deutschland.
"Am Anfang war es in Deutschland sehr schwierig, wir lebten in einem Wohnheim und jeden Tag kamen schlechte Nachrichten aus der Heimat", sagt die Frauenrechtlerin. Vor allem der Gedanke an die Situation ihrer Eltern und der beiden Brüder, die keine Chance auf Ausreise gehabt hätten, plage sie bis heute. Auch die Situation der verzweifelten jungen Frauen in Afghanistan, von denen viele Suizidgedanken hätten, lasse sie nicht los.
Unterstützung aus dem Ausland
Dennoch habe sie es mit ärztlicher Hilfe geschafft, aus der Depression herauszufinden, einen Deutschkurs zu besuchen und ihren Plan, im Ausland "eine Stimme für mein Volk zu sein", in die Tat umzusetzen, sagt die Juristin, die zur ethnischen Minderheit der Hazara gehört.
Mit ihrer Familie lebt die ernste Frau mit dem locker sitzenden Kopftuch inzwischen in Niedersachsen. Nach Berlin ist sie an diesem trüben Märztag gekommen, um an einer von Pro Asyl und anderen Nichtregierungsorganisationen organisierten Veranstaltung mit dem Titel "Verraten und vergessen? Frauen in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban" teilzunehmen.
Sajia Behgam ist aus Frankfurt am Main angereist. Sie ist seit Oktober 2021 in Deutschland und setzt sich dafür ein, dass auch Afghaninnen und Afghanen, die in Nachbarstaaten oder in die Türkei geflohen sind, über das von der Bundesregierung aufgelegte Aufnahmeprogramm Afghanistan nach Deutschland kommen dürfen. Vor allem im Iran und in der Türkei gerieten die Flüchtlinge aus Afghanistan immer mehr unter Druck.
Die Teilnehmerinnen der Konferenz sind sich einig, dass die desolate Situation der Frauen und Mädchen, die aus dem Erwerbsleben gedrängt und in ihren Bildungschancen beschnitten werden, nicht durch verstärkte Kontakte oder gar eine Anerkennung der Taliban-Regierung besser würde. Dass mehrere Staaten, darunter der Iran, inzwischen die dort ansässigen diplomatischen Vertretungen Afghanistans an die Taliban übergeben haben, empfinden sie deshalb als weiteren Schlag ins Gesicht.
"Keine Solidarität zwischen Männern und Frauen"
Nachdenklich macht die Afghaninnen, dass Männer im Iran Frauenrechtlerinnen bei ihren Straßenprotesten aktiv unterstützt haben. Etwas Vergleichbares habe es in Afghanistan nie gegeben, sagen sie. "Afghanische Frauen waren immer unter Druck", sagt Frozan Darwish. Dieser Druck gehe auch von männlichen Familienmitgliedern aus. "Wir haben keine Solidarität zwischen Männern und Frauen in Afghanistan", pflichtet ihr Sajia Behgam bei. "Wenn die Frauen bei uns auf die Straße gehen, um für ihre Rechte zu kämpfen, dann befürchten die Männer, dass sie selbst ihre Autorität verlieren könnten, wenn die Frauen stärker werden."
Mehrfach geht es in den Gesprächen der Frauen um das deutsche Bundesaufnahmeprogramm. Die Unzufriedenheit ist groß. Der Prozess, den das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium gemeinsam mit in Afghanistan vernetzten Nichtregierungsorganisationen im vergangenen Herbst aufgesetzt haben, gestaltet sich kompliziert und zäh. "Da werden die Antragsteller aufgefordert, einen Nachweis hochzuladen, dass sie von den Taliban verfolgt werden, so als würden die einem das schriftlich geben", empört sich Fereshta Hussein, die 2000 aus Afghanistan nach Deutschland kam und aktuell Vorsitzende des Migrantenbeirats der Stadt Potsdam ist.
Sicher, es sei keine Lösung, alle demokratisch und fortschrittlich denkenden Menschen aus Afghanistan außer Landes zu bringen, meint Alema Alema, Afghanistanreferentin bei Pro Asyl. Doch manchmal gebe es keinen anderen Weg wie etwa bei einer jungen Aktivistin aus der Provinz Ghor, der die Taliban mit Zwangsverheiratung gedroht hätten und die nun in Deutschland lebe. Dass Afghaninnen und Iranerinnen in Berlin am Weltfrauentag gemeinsam demonstrieren, findet sie nur folgerichtig. Sie sagt: "Letzten Endes ist es die gleiche Denkweise, gegen die sich die Frauen in beiden Ländern wehren müssen."
(Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa)