Die Vorwürfe aus der Union gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wiegen schwer. Der SPD-Politiker sei mitverantwortlich für eine verzögerte Umsetzung der neuen Regeln zur Organspende. Dies könne sogar Menschenleben gefährden.
Unserer Redaktion sagte der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger: "Man könnte den Verdacht hegen, dass Bundesminister Lauterbach wichtige Maßnahmen zur Umsetzung der vom Bundestag mehrheitlich beschlossenen Entscheidungslösung nur halbherzig vorantreibt." Dabei, so mutmaßt der Arzt und Abgeordnete aus München, gehe es Lauterbach darum, "bei einem Scheitern der Reform bei weiterhin geringen Organspendezahlen wieder Argumente zur Durchsetzung der von ihm favorisierten Widerspruchslösung zu haben".
Hintergrund des neuen Streits ist ein altes Problem. Seit Jahren bleibt die Zahl der Organspenden hinter dem Bedarf an Spenderorganen zurück. Um für mehr Spenden zu sorgen, wollte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine sogenannte Widerspruchslösung einführen. Danach würden alle Menschen in Deutschland grundsätzlich als Organspender gelten, denen Organe entnommen werden könnten, wenn sie tödlich verunglücken.
Der seinerzeitige SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach hatte Spahn bei seinem Vorstoß engagiert unterstützt. Wie üblich, wenn es um ethische Grundsatzfragen von Leben und Tod geht, war im Bundestag rein nach Gewissen abgestimmt worden. So kam es zu Allianzen über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Einer Gruppe um die damalige Grünen-Vorsitzende und heutige Außenministerin Annalena Baerbock und CSU-Mann Pilsinger ging die Widerspruchslösung deutlich zu weit. Sie setzte sich für eine sogenannte Entscheidungslösung ein, die vor zwei Jahren dann von einer Mehrheit im Bundestag beschlossen wurde.
Ministerium verweist auf technische Schwierigkeiten im Organspende-Verfahren
Im Rahmen der Entscheidungslösung gelten nur diejenigen als Organspenderinnen und -spender, die sich zu Lebzeiten bewusst dafür entscheiden und das entsprechend kundtun – und sich ins Organspenderegister eintragen lassen. Um mehr Organspenden zu erreichen, sollen die Menschen aber deutlich häufiger nach ihrer Spendebereitschaft gefragt werden, als bisher – etwa routinemäßig, wenn sie einen neuen Ausweis beantragen. Doch das Gesundheitsministerium hatte schon vor Monaten von "technischen Schwierigkeiten" bei der Umsetzung der Entscheidungslösung berichtet. So gebe es Probleme im Zusammenspiel des federführenden Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und der mit der Entwicklung des Registers beauftragten Bundesdruckerei.
Es ist ein neuer Sachstandsbericht aus dem Gesundheitsministerium, der Pilsinger nun empört. In dem Schreiben an den Gesundheitsausschuss des Bundestags vom 11. Juli, das unserer Redaktion vorliegt, ist die Rede von einer "weiteren Verzögerung bei der Inbetriebnahme des Registers". Im Ergebnis sei mit einem Start erst Ende 2023, Anfang 2024 zu rechnen. Zudem gebe es weitere Schwierigkeiten, etwa bei der Finanzierung. Auch ein Konzept zum praktischen Betrieb des Registers sei noch nicht in Sicht. Stephan Pilsinger kritisiert: "Das Missmanagement bei der Erstellung des Organspenderegisters, das zu einer massiven Verzögerung der Fertigstellung führt, kann am Ende Menschenleben kosten. Karl Lauterbach trägt als zuständiger Minister dafür eine Mitverantwortung".
Karl Lauterbach will neuen Anlauf nehmen
Dass Lauterbach im Bundestag einen neuen Anlauf für die Widerspruchslösung nehmen will, ist kein Geheimnis. Das hatte er bereits im Juni in der ARD angekündigt: "Die Spenden gehen zurück, weil die Bereitschaft zur Spende zwar da ist – aber es wird nicht registriert. Eine Widerspruchslösung würde das beheben."
Pilsinger sieht den Grund für die weiterhin nicht ausreichende Zahl an Organspenden dagegen in der Zögerlichkeit des Ministers: „Ich fordere Karl Lauterbach dazu auf, sich vollumfänglich zu den demokratisch getroffenen Beschlüssen zur Entscheidungslösung zu bekennen und die dafür notwendigen Maßnahmen endlich umzusetzen." Eine erneute Debatte über eine Widerspruchslösung sei, so der CSU-Politiker, "erst redlich, wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen und die Organspendezahlen konstant niedrig bleiben sollten.“