In der Debatte um eine mögliche Lieferung weitreichender Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine steigt der Druck auf Kanzler Olaf Scholz (SPD). Politiker aus den Regierungsparteien und der Opposition forderten in Berlin, den ukrainischen Streitkräften das für die Zerstörung von Bunkern und geschützten Gefechtsständen auf bis zu 500 Kilometern Entfernung geeignete Waffensystem zu überlassen.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte dazu der "Thüringer Allgemeinen": "Es gibt in dieser Frage keinen neuen Sachstand mitzuteilen." Das Verteidigungsministerium machte auf Anfrage deutlich, es gebe keinen geänderten Kurs hin zu einer möglichen Abgabe. Eine Sprecherin sagte: "Eine politische Entscheidung zur Abgabe wurde nicht getroffen."
Der "Spiegel" berichtete, die Bundesregierung prüfe, wie Deutschland die Ukraine in den kommenden Monaten mit Taurus aus Beständen der Bundeswehr versorgen könne. Dazu liefen Gespräche zwischen dem Verteidigungsministerium und der Rüstungsindustrie. Das Nachrichtenportal "t-online" hatte am Donnerstag unter Berufung auf SPD-Kreise berichtet, die Regierung wolle "in Kürze" die Lieferung verkünden.
Die Ukraine will die erbetenen Marschflugkörper nach Zusicherung von Außenminister Dmytro Kuleba nicht gegen russisches Territorium einsetzen. Die Waffen mit ihrer großen Reichweite seien dringend nötig, schrieb Kuleba im sozialen Netzwerk X, das früher Twitter hieß. Er fügte hinzu: "Je größer die Reichweite, desto kürzer der Krieg."
"Spiegel": Technische Modifikationen an deutschen Taurus
Beim "Spiegel" hieß es, das Verteidigungsministerium habe den Taurus-Hersteller gebeten, eine Limitierung für die Ziel-Programmierung in die Marschflugkörper zu integrieren. Scholz wolle durch technische Modifikationen ausschließen, dass die Ukraine mit den weitreichenden Waffensystemen Angriffe auf russischem Territorium ausführen kann. In Industriekreisen hieß es dem Bericht zufolge, eine solche Einschränkung des Systems sei durchaus möglich, werde aber einige Wochen in Anspruch nehmen.
Die Ukraine fordert von Berlin die Taurus-Marschflugkörper, um auch Stellungen russischer Streitkräfte weit hinter der Frontlinie angreifen zu können. Die Bundeswehr schreibt, der Taurus KEPD-350 ("Kinetic Energy Penetrator and Destroyer") werde zur Bekämpfung von wichtigen Zielen über große Entfernung verwendet. Der Luft-Boden-Lenkflugkörper wird von Flugzeugen aus gestartet und erreiche sein Ziel sehr zuverlässig, "auch bei gegnerischen Störmaßnahmen". Der Gefechtskopf durchschlage "selbst stark gehärtete Zielstrukturen, beispielsweise Bunkeranlagen oder Führungsgefechtsstände".
Scholz sagte der "Thüringer Allgemeinen", der Schwerpunkt liege unverändert darauf, Waffen zur Luftverteidigung zu schicken, schwere Artillerie und auch Panzer. "Das ist unser Kurs, auf dem wir uns weiter bewegen werden, in enger Absprache mit unseren internationalen Partnern."
SPD-Chefin schließt Lieferung ncht aus
Das Verteidigungsministerium verwies auf letzte Äußerungen von Minister Boris Pistorius (SPD), wonach der Zeitpunkt für eine Entscheidung noch nicht gekommen sei. Pistorius hatte auch erklärt: "Wir sind nicht die Einzigen, die nicht liefern. Auch unsere amerikanischen Verbündeten liefern diese Marschflugkörper nicht."
SPD-Chefin Saskia Esken schloss eine Lieferung aber nicht aus. "Solche roten Linien haben wir als SPD noch in keiner Debatte um Waffenlieferungen gehabt. Es bleibt beim besonnenen Kurs, der sich eng an der Abstimmung mit unseren westlichen Partnern orientiert", sagte Esken der "Rheinischen Post". Allerdings haben Großbritannien und Frankreich bereits vergleichbare Waffen geliefert.
Kriitk aus Ampel und Opposition: "Problem sitzt erneut im Kanzleramt"
Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sprach sich energisch dafür aus. "Wir haben genug Taurus. Ein guter Teil ist sofort einsatzbereit. Die Ukraine braucht sie dringend. Und es wäre an der Zeit, grünes Licht zu geben", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses schon am Donnerstag dem Fernsehsender Phoenix. Und: "Ich glaube, das Problem sitzt erneut im Kanzleramt, wo man versucht, das Thema nicht hochploppen zu lassen. Ich finde es sehr ärgerlich, dass wir wieder eine Diskussion führen, die mich sehr an die Diskussion erinnert, Panzer zu liefern."
Sicherheitspolitiker der Union forderten Scholz auf, Klarheit zu schaffen. In dieser Frage dürfe es kein "weiteres Ampel-Theater" geben, sagte Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. "Für uns ist wichtig, dass eine Entscheidung zur Lieferung von Taurus-Flugkörpern gut abgewogen werden muss. Es muss klar sein, dass es keine Mitwirkung deutscher Soldaten geben darf und die Nachlieferung für die Luftwaffe gleichzeitig mit der Abgabe eingeleitet werden muss."
Der CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn erinnerte zudem an die Debatten in der Koalition um Panzerlieferungen an die Ukraine. Weder Scholz noch Pistorius hätten aus Fehlern gelernt. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt sagte: "Wenn die Ampel einen ukrainischen Sieg möchte, sollte sie die Lieferung unverzüglich veranlassen."
(Von Carsten Hoffmann, dpa)