Es ist Mittwochvormittag, als Erinnerungen wach werden. Zwei Wochen zuvor waren Ermittler der Generalstaatsanwaltschaft München an 13 Objekten in Bayern, Berlin, Hessen und Liechtenstein angerückt und haben die Büros und Wohnungen des Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein und eines 53-jährigen Unternehmers aus dem Raum München durchsucht. Es sollte der Startschuss der Masken-Affäre sein, die seither die deutsche Politik durcheinanderwirbelt. Am Mittwoch kamen im Fall Nüßlein wieder die Ermittler. Dieses Mal durchsuchten sie an drei Orten die Büros und Privaträume eines Mannes, der in München eine Beratungsfirma betreibt.
Die Affäre um den ehemaligen CSU-Politiker Nüßlein zieht damit weitere Kreise. Der nun in den Fokus der Justiz geratene Geschäftsmann gilt bei der Generalstaatsanwaltschaft als dritter Beschuldigter in dem Verfahren. Gegen ihn wird wegen des Anfangsverdachts der Bestechung von Mandatsträgern ermittelt. Nach Recherchen unserer Redaktion handelt es sich um Michael Kraess.
Nüßlein und Co: Wie die drei Beschuldigten miteinander vernetzt sind
Der 53-Jährige stammt aus Georg Nüßleins Wahlkreis Neu-Ulm und ist Gründer und Geschäftsführer der Beratungsfirma Quanticon. Vor allem aber ist er ein Vertrauter des schillernden Unternehmers, der in der Causa Nüßlein von Anfang an unter dem Verdacht der Bestechung stand: Kraess sitzt im Präsidium einer Lobbyvereinigung, die von jenem Unternehmer geführt wird, der Nüßlein über den Umweg Liechtenstein 660.000 Euro bezahlt haben soll. Offenbar handelte sich dabei um eine Provision für die Anbahnung millionenschwerer Masken-Aufträge mit dem Bundesgesundheitsministerium, den Landesgesundheitsministerien von Bayern und Mecklenburg-Vorpommern sowie der Bundespolizei.
Der Name Kraess stand nach Informationen unserer Redaktion schon auf dem ersten Durchsuchungsbeschluss, mit dem die Ermittler unter anderem bei Nüßlein und dem Geschäftsmann aufgetaucht waren. Offenkundig hat sich nach Sichtung der damals beschlagnahmten Unterlagen und Datenträger der Verdacht erhärtet, dass auch Kraess sich strafbar gemacht haben könnte.
Nun wird er bei der Generalstaatsanwaltschaft München selbst als Beschuldigter geführt. Nach unseren Recherchen half er dabei, aus den Masken-Geschäften zu Beginn der Corona-Pandemie möglichst viel Profit zu schlagen. In welcher Weise das genau geschah und ob es direkte Geldflüsse von Kraess an Nüßlein gegeben hat, ist momentan noch unklar.
Das Motto des Lobbyisten Kraess: "Freunde schafft man sich, solange man sie nicht braucht"
Kraess, der bis 2014 Vorstandschef des einflussreichen Lobby-Unternehmens Concilius war, wirbt ganz offensiv mit seinen guten Kontakten zu Abgeordneten und anderen mächtigen Entscheidungsträgern. Auf einer Internetseite mit dem Titel "Maschinenraum der Politik" beschrieb er seine Philosophie einmal so: "Freunde schafft man sich, solange man sie nicht braucht." Um für seine Mandanten möglichst viel herauszuholen, will er in den "Maschinenraum" des Politikbetriebes vordringen. An welchen Schrauben Lobbyisten dort drehen, bleibt oft unklar. Mitunter erfährt die Öffentlichkeit gar nicht, wer da alles bei neuen Gesetzen oder Verordnungen mitredet.
Erst vor wenigen Tagen haben CDU und CSU im Zwielicht der Masken-Affäre ihren Widerstand gegen ein Lobbyregister im Bundestag aufgegeben, in dem zumindest die Namen der Einflüsterer festgehalten werden müssen. Das Ziel von Lobbyisten wie Kraess ist immerhin kein Geheimnis: Die Berater sollen politische Entscheidungen zugunsten ihrer Auftraggeber beeinflussen. Wie das geht, erklärt Kraess so: "Um als Unternehmen (...) erfolgreich zu sein, benötigt man gut aufgearbeitete Inhalte, die zeigen, dass das Partikularinteresse eines Unternehmens nicht im Widerspruch zum vermeintlichen und politisch gewollten Allgemeinwohl steht, sondern dieses sogar fördert." Und was dient im Frühjahr 2020 zu Beginn der Pandemie dem Allgemeinwohl? Eine schnelle Versorgung mit dringend benötigter medizinischer Schutzausrüstung wie Atemschutzmasken.
Damit argumentiert im Übrigen auch Nüßlein, wenn es um seinen fragwürdigen Einsatz für Masken-Hersteller geht. "Aufgrund langjähriger Kontakte zu einem chinesischen Anbieter gelang es Dr. Nüßlein in schwierigen Tagen, dass qualitativ hochwertige Masken in der erforderlichen Stückzahl geliefert werden konnten", heißt es in einem Schreiben seines Anwalts. Der 51-jährige Politiker, der infolge der Ermittlungen zunächst aus der Unionsfraktion im Bundestag und dann nach 34 Jahren auch aus der CSU ausgetreten ist, weist alle Vorwürfe zurück. Sein Bundestagsmandat will er bis zum Ende der Legislaturperiode behalten.
Der Verdacht gegen Nüßlein: Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung
Gegen Nüßlein wird wegen des Verdachts der Bestechlichkeit eines Mandatsträgers ermittelt. Weil er auf der Rechnung für die Provision keine Umsatzsteuer ausgewiesen hat, wird er auch der Steuerhinterziehung verdächtigt. Nach Recherchen unserer Redaktion ist das mutmaßliche Schmiergeld über das Liechtensteiner Bankkonto einer Offshore-Firma in der Karibik geflossen. Der Verantwortliche dieser Firma ist der Geschäftsmann aus dem Raum München.
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