Das jahrzehntelang gepflegte, enge Verhältnis der SPD zu Russland gerät seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs immer stärker in die Kritik. Führende Sozialdemokraten hätten sich allzu bereitwillig vor den Karren der Moskauer Machtelite spannen lassen, so der Tenor der Vorwürfe. Im Zentrum der Debatte stand bisher Altkanzler Gerhard Schröder als Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin und oberster Lobbyist der russischen Gasindustrie in Deutschland. Sowohl SPD-Kanzler Olaf Scholz als auch die Parteispitze konterten stets mit dem Hinweis, dass Schröder ja kein politisches Amt mehr bekleide und nicht mehr für die Partei spreche. Umso brisanter ist für die Genossen das neueste Kapitel der Geschichte der "Russland-Connection" ihrer Partei. Denn jetzt steht mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig eine so prominente wie beliebte Amtsträgerin im Kreuzfeuer.
Die neuen Enthüllungen zu Schwesigs Rolle beim Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 sorgen für Rücktrittsforderungen aus der Opposition und einen handfesten Krach in der Ampel-Koalition. Grünen Parteichef Omid Nouripour sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Die Verwebung zwischen der Schweriner Landesregierung und dem russischen Staatskonzern Gazprom war stets verheerend und muss nun endlich aufgearbeitet werden."
Amerika drohte mit Sanktionen
Dass Schwesig das für ihr strukturschwaches ostdeutsches Küstenland bedeutsame Gasleitungsprojekt stets befürwortet hat, ist kein Geheimnis, erst nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine distanzierte sie sich davon. Doch neuen Berichten zufolge könnten ihre Verwicklungen in die Pipeline-Geschäfte tiefer sein als bisher angenommen. Im Kern der Vorwürfe steht abermals die umstrittene "Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern".
Gegründet Anfang 2021, sehen Kritiker in dem mit nur 200.000 Euro Landesmitteln, aber üppigen 20 Millionen Euro von der Nord-Stream-2-Betreiberfirma ausgestatteten Gebilde keinesfalls ein segensreiches Projekt zum Wohle der Natur. Sondern ein Vehikel, um drohende amerikanische Strafen gegen am Bau der Gasleitung beteiligte Firmen ins Leere laufen zu lassen. Die USA sehen wie zahlreiche europäische Länder in der Ostsee-Gasröhre ein Mittel russischen Vormachtstrebens. Schon lange warnte die Ukraine, Russland gehe es bei mit dem Projekt darum, sie von den Gasströmen abzuschneiden und ein Druckmittel zu schaffen.
Schwesig wehrt sich gegen die Vorwürfe
Die Sanktionsankündigungen aus Washington mögen auch damit zu tun gehabt haben, dass die USA gern mehr eigenes Flüssiggas verkauft hätten. Um ihr US-Geschäft nicht zu gefährden, drohten also Firmen, die am Röhrenbau mitarbeiteten, abzuspringen. So entstand bei den russischen Auftraggebern und der wohlwollenden Regierung in Schwerin eine Idee nach folgender Logik: Geschäfte mit einer Landesstiftung könnten die Amerikaner ja wohl niemandem verbieten.
Ein wirtschaftlicher Bereich wurde mit aus der Taufe gehoben, der etwa Geräte und Baumaterial kaufen kann. Unter anderem schaffte die Stiftung ein Schiff an. Bei der Gründung, so legen es rund 1000 Aktenseiten nahe, die die Stiftung auf richterlichen Druck offenlegen musste, war die Nord Stream 2 AG augenscheinlich eng eingebunden, stand im ständigen Austausch mit der Landesregierung und konnte ihre Wünsche in die Satzung einfließen lassen.
Schwesig hat zwar Gespräche mit den Pipeline-Vertretern bestätigt, Medienberichte, wonach diese die Feder geführt haben, aber zurückgewiesen. Landesregierung und Landtag hätten die Entscheidungen selbst getroffen "und niemand anderes sonst", so die Ministerpräsidentin. Doch der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, der Grüne Toni Hofreiter, nimmt ihr das nicht ab. "Wie die Regierung in Mecklenburg-Vorpommern sich zum Handlanger von Nord Stream 2 machte, muss dringend aufgeklärt werden", fordert er.
Schwesig traf sich mit Gerhard Schröder und einem Ex-Stasi-Offizier
Bei der Stiftungsgründung zum unverhohlenen Zweck der Pipeline-Fertigstellung findet sich weiteres SPD-Personal in den Hauptrollen. Da ist etwa Vorstand Erwin Sellering, Schwesigs Vorgänger im Amt, 2017 wegen einer Krebserkrankung als Ministerpräsident zurückgetreten. Natürlich ist auch Gerhard Schröder beteiligt. Als Gaslobbyist in Gazprom-Diensten verkörpert der Altkanzler wie kein anderer die Russland-Nähe der SPD, er traf sich im September 2020 im gediegen-maritimen Ambiente von Heringsdorf auf der Insel Usedom mit Schwesig.
Bei dem Abendessen soll die Idee für die Klimastiftung zur Umgehung der Sanktionen entstanden sein. Mit dabei: Matthias Warnig, Geschäftsführer der Nord Stream 2 AG, ein ehemaliger Stasi-Offizier, der eng mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befreundet ist. Zum 70. Geburtstag Schröders organisierte Warnig 2014, Russland hatte gerade die Krim annektiert, eine Gala in St. Petersburg, an der auch Putin teilnahm. Weitere Kontakte Schwesigs zu den Spitzen von Nord Stream 2 sind auch für die Zeit danach belegt. Die in nur wenigen Monaten gebildete Stiftung trug dazu bei, dass Nord Stream 2 allen Bedenken zum Trotz zu Ende gebaut werden konnte. Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine aber fließt nun kein Gas durch die Röhre, die Klimastiftung soll aufgelöst werden.
CDU fordert Schwesigs Rücktritt
Schwesig hatte bislang ihren Parteifreund und damaligen Energieminister Christian Pegel als Hauptverantwortlichen für die umstrittene Gründung benannt. Doch wie die Akten nun zeigen, hat sich Pegel in der Sache eng mit Schwesigs Staatskanzlei abgestimmt. Prompt legte der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen Schwesig den Rücktritt nahe. Wenn die in den Medien beschriebenen Sachverhalte zutreffen, könne Schwesig nicht im Amt bleiben, sagte er. Im Mai beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Schweriner Landtags mit den Vorgängen rund um die Stiftung. Die Affäre dürfte so schnell also nicht ausgestanden sein. Nicht für Schwesig und nicht für die ganze SPD, die wegen ihrer Zögerlichkeit bei Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine zunehmend mit dem Rücken zur Wand steht.