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Luisa Neubauer im Interview: „Je später wir uns der Klimakrise entgegenstellen, desto schwieriger wird es“

Interview

„Je später wir uns der Klimakrise entgegenstellen, desto schwieriger wird es“

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    Luisa Neubauer, Klimaschutzaktivistin, kritisiert, dass Klimaschutz zu häufig mit Verzicht verbunden wird.
    Luisa Neubauer, Klimaschutzaktivistin, kritisiert, dass Klimaschutz zu häufig mit Verzicht verbunden wird. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Frau Neubauer, die globale Durchschnittstemperatur steigt auf einen Höchstwert, die Ozeane erwärmen sich, die USA als größte Wirtschaftsmacht der Welt wählen einen Mann zum Präsidenten, der Ölbohrungen ausbauen will. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage? Haben wir den Punkt verpasst, an dem sich der Klimawandel noch wirklich steuern lässt?
    LUISA NEUBAUER: Diesen Punkt gibt es nicht. Das darf auch nicht die bequeme Hoffnung von Menschen werden, dass Veränderungen sich nicht mehr lohnen, weil es ohnehin zu spät ist. Das Motto darf nicht sein: Wir müssen nur lange genug weggucken. Denn es gibt kein „zu spät“, wenn es darum geht, die Klimakrise zu bekämpfen, es gibt immer Katastrophen, die sich durch unser Handeln verhindern lassen. Richtig ist, dass es besser ist, schneller zu handeln. Leider sind unsere Chancen durch die Wiederwahl von Donald Trump nicht gestiegen. Für alle, die nicht wollen, dass wir sehenden Auges in eine Menschheitskatastrophe reinlaufen, ist die Wahl von Trump also eine schlechte Nachricht. Denn je später wir uns der Klimakrise entgegenstellen, desto schwieriger wird es.

    Gerade in Jahren wie diesem wirkt unser „weiter so“ fast paradox. Wir haben die Auswirkungen des Klimawandels immer wieder vor Augen. Doch die Krisen haben sich irgendwie abgenutzt. War's das jetzt mit dem Klimaschutz?
    NEUBAUER: Überall auf der Welt findet Klimaschutz längst statt, der Ausbau der Erneuerbaren etwa erreicht jedes Jahr Rekorde. Und Umfragen zeigen immer wieder: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland und weltweit will, dass in Sachen Klimaschutz mehr gemacht wird. Selbst in den USA gibt es eine Mehrheit für den Klimaschutz, die Gesellschaft erwartet von der Regierung, dass sie handelt. Es gibt dabei ein Phänomen der pluralistischen Ignoranz: Man hält den Klimaschutz selbst für wichtig, glaubt aber, zu einer Minderheit zu gehören. Dabei ist diese Minderheit in Wahrheit eine Mehrheit.

    Ist das wirklich so? Mein Eindruck ist eher, dass der Klimaschutz an Rückhalt verloren hat, vor allem in der so wichtigen Mitte der Gesellschaft.
    NEUBAUER: Und das ist exakt die besagte pluralistische Ignoranz. Der eigene Eindruck trügt. Die Daten zeigen, dass die Menschen ungebrochen mehrheitlich Klimaschutz einfordern. Was sich verändert hat, ist, dass eine Vielzahl von Krisen zur Klimakrise hinzugekommen ist. Die Krise der Wirtschaft, die Wohnungsknappheit, die Inflation, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Die Liste ist so lang geworden. Aber was folgt daraus? Das ist doch ein politischer Auftrag, die Sorgen für Menschen in Summe runterzufahren, ohne dabei die eine Krise gegen die andere auszuspielen. Und beim Klima sind wir in einer besonderen Lage: Selbst, wenn es keine einzige Person mehr gäbe, die laut Umfragen Klimaschutz wirklich wichtig findet, ist die Regierung laut Verfassung verpflichtet, sich um dieses Thema zu kümmern. Das Bundesverfassungsgericht hat klar festgestellt, dass eine unzureichende Klimaschutzpolitik Freiheits- und Grundrechte beeinträchtigt.

    Wird Klimaschutz zum Luxus-Thema, das man schnell fallen lassen kann?
    NEUBAUER: Die Klima-Debatte hat in den letzten Jahren den Eindruck erweckt, die Regierung könne in Sachen Klima nur handeln, wenn gerade tausende Menschen dafür auf die Straße gehen. Das ist eine Ausrede, die übrigens niemals beim Schutz der Wirtschaft oder dem Kampf gegen die Inflation angeführt wird. Mehrheiten für Klimaschutz sind wichtig, aber keine Bedingung dafür, dass die Regierung sich an Klimaverträge hält.

    Nun haben wir in Deutschland eine Regierung, an der sogar eine grüne Partei beteiligt ist. Haben sich die Grünen auf zu viele Kompromisse eingelassen?
    NEUBAUER: Natürlich. Dahinter steckt aber auch ein Konstruktionsfehler der Regierung: Es kann doch nicht der Auftrag einer einzelnen Partei in der Regierung sein, sich alleine um den Schutz des Klimas zu kümmern, während die anderen Beteiligten das Klima weiter kaputt machen. Das ist, als ob man morgens zwei Stunden Diät macht und den Rest des Tages Burger isst. Eigentlich hat die Ampel zu Beginn gute Maßnahmen ergriffen: Sie hat die Ressorts Klima und Wirtschaft zusammengelegt, sie wollte den Klimaschutz zum Kern vieler Entscheidungen machen. In der Praxis ist das nicht aufgegangen, rationale Klimadebatten haben wir kaum erlebt.

    Muss man sich Klimaschutz leisten können?
    NEUBAUER: Ich halte es für eine der erfolgreichsten Lügen der fossilen Lobbys - die Idee, dass Klimaschutz eine Art Luxus sei, eine ganz, ganz trügerische Sache, zu glauben, dass Klimaschutzpolitik so etwas wie Ausnahmepolitik ist. Der einzige Luxus wäre es, das Klima nicht zu schützen, und diesen Luxus können wir uns nicht leisten. Es ist inzwischen ökonomischer Konsens, dass das teuerste, was wir machen können, ist, den Klimawandel zu ignorieren. Das muss man Robert Habeck zugutehalten: Er warnt seit Jahren davor, dass Deutschland Jobs in der Automobilindustrie verlieren wird, wenn sich die Branche nicht rechtzeitig transformiert. Fatalerweise haben auch Teile der Regierung weiterhin den Eindruck erweckt, als würden der Weltmarkt und das Klima auf uns warten. Das Ergebnis ist, dass Kosten entstehen, die wir alle übernehmen müssen. Das ist fatal für die Steuerzahler, das ist aber auch fatal für die Beschäftigten, deren Arbeitsplätze nun wegfallen. Der Preis für eine solche Politik ist hoch.

    War es ein Fehler, zu hoffen, dass Klimapolitik völlig ohne Verzicht auskommt?
    NEUBAUER: Ich halte es für eine Perversion der Klimadebatte, dass seit Jahrzehnten ein Bild gezeichnet wird, auf dem es im Lichte der Klimakrise ausschließlich um die Entscheidung zwischen Steak und Tofu geht. Als seien wir alle hauptberuflich Konsumenten! Wir sind aber vor allem Menschen, wir sind eine demokratische Öffentlichkeit, wir sind Eltern, Familienmitglieder, Vorbilder. Der fossilen Lobby ist es gelungen, den Menschen zu vermitteln, sie seien nur dort gebraucht, wo sie Konsumentscheidungen fällen. Jeder kann in irgendeiner Weise einen Beitrag leisten zum Klimaschutz. Ich weigere mich, bei dieser Form von Verzichts-Diskurs mitzumachen. Wenn wir schon über Verzicht reden, dann reden wir doch über den Verzicht mit der Klimakrise: Verzicht auf Freiheit durch immer mehr Katastrophen, Verzicht auf saubere Luft durch immer mehr Verkehr, Verzicht auf Gesundheit durch Hitzewellen, Verzicht auf eine geschützte Zukunft, Verzicht darauf zu wissen, dass es den Kindern und Enkeln weiterhin gut gehen wird. Gute und gerechte Klimapolitik hingegen hat das unglaubliche Potenzial, das Leben der Menschen ganz real zu verbessern, durch Schutz vor mehr Extremwetterereignissen, durch günstigen ÖPNV, durch saubere Luft, durch günstige, erneuerbare Energieversorgung, durch grünere Städte und so weiter. Die Wirtschaft der Zukunft wird eine grüne Wirtschaft sein, das wird auch immer mehr verstanden.

    Warum schafft es die Klimabewegung nicht mehr, zumindest die jungen Menschen aufzurütteln und zum Handeln zubewegen?
    NEUBAUER: Junge Menschen setzen sich überall ein, lassen sich immer mehr in nachhaltigen Jobs ausbilden und sind nachweislich besorgt um die Klimakrise. Aber eine Bewegung ist doch kein Babysitter einer Gesellschaft, in der in kollektiven Krisen doch wirklich alle gefragt sind. Was wir nicht mehr müssen, ist, junge Menschen auf die Straße zu holen, nur damit im Kanzleramt über das Klima gesprochen wird. Das passiert mittlerweile auch ohne uns, und ich finde, das ist ein großer Erfolg. Jetzt kann es immer mehr um die Umsetzung gehen.

    Die vergangenen Wahlen haben gezeigt, dass sich viele junge Menschen inzwischen nach rechts orientieren. Die brechen der Klimabewegung weg.
    NEUBAUER: In einem Land, in dem tausende Lehrkräfte fehlen, in dem junge Menschen während einer Pandemie alleingelassen wurden, in dem so viele Jugendliche mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, wundert es mich nicht, dass sie sich von der Politik der Mitte abwenden. Viele junge Menschen gehen inzwischen nicht mehr davon aus, dass es ihnen eines Tages besser gehen wird als ihren Eltern. Die einen gehen mit uns auf die Straße, die anderen lassen sich einreden, dass Rechtsextreme ihre Probleme lösen können. Das ist dramatisch und sollte Politik und Gesellschaft aufrütteln, jenseits der Wahlabende.

    Wie wollen Sie diese Jugendlichen wieder für „Fridays for future“ gewinnen?
    NEUBAUER: Wir arbeiten überall und mobilisieren schon im Februar wieder zum großen Klimastreik. Angesichts der vielen Krisen und Sorgen bin ich beeindruckt, wie viele junge Leute sich weiterhin engagieren und reinhängen.

    Sie waren in den vergangenen Monaten in den USA. Was hat Sie dort für Ihre eigene Arbeit inspiriert?
    NEUBAUER: Wie wichtig es ist, verschiedene Krisen zusammenzudenken. Ich habe mit Organisationen gesprochen, die beim Aufbau von Windparks immer auch über die Schaffung von Arbeitsplätzen nachgedacht haben, die Solaranlagen gerade in benachteiligten Nachbarschaften installiert haben, sodass die Stromkosten der Menschen fallen. Klimaschutz verbessert ganz konkret die Lebensqualität, das wird klar zusammen gedacht und hat in meinen Augen ein großes Potenzial. Wir sind auf der anderen Seite gut beraten, den Populismus in US-amerikanischen Debatten nicht zu übernehmen. Mittlerweile wird dort „Klimaschutz“ teilweise als sozialistisches Schimpfwort verstanden, es ist ein großer Erfolg, dass wir in Deutschland parteiübergreifend Klimadebatten führen können.

    Sie sind aktuell beim Klimagipfel in Baku. Wie ist nach dieser ersten Woche Ihr Eindruck? Bewegt sich etwas?
    NEUBAUER: Hier wird hart gekämpft, und es wird hart bleiben, solange fossile Industrien mit hunderten Lobbyisten hier die Verhandlungen bremsen.

    Zur Person

    Luisa Neubauer wurde 1996 in Hamburg geboren. Die Klimaaktivistin hat Geografie studiert und ist Mitglied der Grünen. Sie ist Mitbegründerin der deutschen Fridays for Future-Bewegung.

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