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Landtagswahl in Thüringen: Total blau – Wie Björn Höcke das Land umbauen will

Landtagswahl in Thüringen

Total blau – Wie Björn Höcke das Land umbauen will

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    Björn Höcke, Vorsitzender der AfD in Thüringen, spricht beim Sommerfest der AfD Thüringen. Am 1. September 2024 wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Die AfD könnte stärkste Partei werden.
    Björn Höcke, Vorsitzender der AfD in Thüringen, spricht beim Sommerfest der AfD Thüringen. Am 1. September 2024 wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Die AfD könnte stärkste Partei werden. Foto: Bodo Schackow, dpa

    Es ist allerbestes Sommerwetter, auf dem Platz der Völkerfreundschaft ist eine Bierbude aufgebaut. Daneben ein Grill, Thüringer Bratwurst im Brötchen mit Senf oder Ketchup für drei Euro. In einem Zelt werden Kinder geschminkt, es gibt kleine Geschenke, die Musik spielt. Der Springbrunnen plätschert vor sich hin, am Rand sind die Partnerstädte Erfurts verewigt: Györ in Ungarn, Haifa in Israel und noch ein paar andere. Nebenan lädt das monumentale Wandbild des Erfurter Künstlers Erich Enge zum Verweilen ein. „Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift“, ist der Titel, die Abwandlung eines Zitats von Karl Marx. Die Stimmung ist gut. Dann tritt Björn Höcke auf die Bühne.

    Der Co-Chef des AfD-Landesverbands Thüringen – weißes Hemd, blaue Jeans, roter Kopf - ist in Eile und bringt die Reihenfolge der als „Sommerfest“ deklarieren Wahlkampfveranstaltung durcheinander. „Ich musste mich heute mal vordrängeln, weil ich noch einen Anschlusstermin habe“, sagt er. Der Wahlkampf sei dicht „und es geht schnell und man hetzt von einem Termin zum nächsten. Ihr seid nicht böse, wenn ich heute etwas früher hier stehe und dann auch relativ schnell wegmuss.“ Schnell ist tatsächlich relativ. Eine dreiviertel Stunde redet der AfD-Spitzenkandidat, mit jedem Satz wird deutlicher, warum der Verfassungsschutz ihn als Rechtsextremisten einstuft.

    Bei seinem Auftritt nutzt Höcke wieder Formulierungen aus der Nazi-Zeit

    „Ihr kriegt mehr bunte Indoktrination in der Schule, kriegt mehr Multikulti und damit mehr Verfall der inneren Sicherheit, mehr Plünderung unserer Sozialsysteme und weniger Deutschland und weniger deutsche Zukunftsfreude“, macht Höcke den Menschen vor ihm weis. Die Kampfhunde-Dichte ist groß, tätowierte Stiernacken cruisen auf ihren E-Bikes mit Ballonreifen. „Stolzer Ossi – Lieblingsfarbe blau“ hat einer auf seinem Shirt stehen. Andere haben sich die Nationalfarben aufgemalt oder sich eine Deutschlandflagge um die Schultern gehängt. Aus den alten Bundesländern ist Verstärkung angereist, ein Teilnehmer hat ein blaues Polo-Shirt mit dem Logo des AfD-Kreisverbandes Augsburg Stadt an.

    „Ich kann mich noch gut erinnern, 2019 waren wir auch hier auf diesem Platz im Rahmen des Landtagswahlkampfes. Und es ist so wie überall, wo ich in den letzten zwei Wochen gewesen bin: Wenn ich mich umschaue, sieht es anders aus als noch vor fünf Jahren“, sagt Höcke. Damals „sind vor allen Dingen die alten weißen Männer“ gekommen. Heute seien auch Frauen da, „vor allen Dingen auch ganz viele junge Männer und mittelalte Männer. Das finde ich ganz stark“, sagt der 52-Jährige. Nach Jahren der Verschämtheit treten seine Anhänger inzwischen offen auf, reden sogar mit der verhassten „Lügenpresse“. Wobei die Vorwürfe die alten sind. „Ihr Medien berichtet an der Wirklichkeit vorbei und bezeichnet jeden Andersdenkenden als Faschisten“, sagt einer. Höcke selbst tritt anschließend den Beweis an, dass „die Medien“ nicht so falsch liegen, wie behauptet.

    „Liebe Freunde, die Jugend ist da. Immer mehr ist die Jugend da. Die Jugend wacht auf und das tut diesem Land gut, denn es geht um eure Zukunft“, skandiert Höcke, dessen Kopf in der Hitze immer noch ein Stück röter wird. Die Angesprochenen auf dem Platz der Völkerfreundschaft nicken mit dem Kopf, klatschen Beifall. Dass der Ausdruck „Jugend erwachet“ aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt und von der Hitlerjugend verwendet wurde, wissen viele von ihnen vielleicht gar nicht. Falls doch, wäre es umso schlimmer, dass da mitten auf einem Platz in Deutschland einer steht, der Nazi-Propaganda von sich geben darf.

    In Jena wird Höckes aus Sicherheitsgründen Auftritt abgesagt

    Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands hat sich vorne neben der Straßenbahnhaltestelle aufgebaut, das kleine Häuflein Menschen protestiert und fordert ein Veranstaltungsverbot, aber niemand hört auf sie. Auf der anderen Seite des von Plattenbauten umrahmten Platzes gibt es eine weitere Gegenkundgebung. „FCK NZS“ steht auf den Plakaten, „Höcke, halt‘s Maul“, rufen sie. Aber die Polizei ist angewiesen, die Protestierenden auf Abstand zu halten. Beim Anschlusstermin in Jena ist das am Abend anders. Rund 2.000 Menschen kommen nach offiziellen Angaben zur Gegendemo zusammen und blockieren die Zufahrten. Höckes Auftritt wird abgesagt, aus Sicherheitsgründen.

    Den Vormarsch der AfD kann so etwas nicht stoppen. Die Partei hat eigene Kommunikationswege geschaffen, ist offensiv in den sogenannten sozialen Netzwerken unterwegs. Wo Höcke sein Gift versprüht, spielt nicht so wirklich eine Rolle, wie die Umfragen zeigen. In Thüringen kommt seine AfD auf 30 Prozent und liegt damit auf Platz eins. Niemand im Freistaat will mit der AfD in eine Koalition gehen. Aber die Regierungsbildung für die anderen Parteien ist schwierig, und wer weiß, was der AfD alles einfällt, wenn sie am 1. September tatsächlich stärkste Kraft wird. Vor fünf Jahren hob eine Finte der Rechten den FDP-Mann Thomas Kemmerich ins Ministerpräsidentenamt. Die Sache hielt nicht lange, aber der Vorgang wird von der AfD heute noch gefeiert.

    Unter bestimmten Umständen kann die AfD in Thüringen tatsächlich den Ministerpräsidenten stellen. Sollten sich die anderen Parteien – wie 2019 und auch schon mal 2009 – nicht einig sein, könnte im dritten Wahlgang ein Bewerber oder eine Bewerberin mit weniger Ja- als Nein-Stimmen zum Zuge kommen. Eine Ja-Stimme würde reichen. Das Szenario ist wenig wahrscheinlich, weil dafür mehrere Bedingungen erfüllt sein müssten. Ausgeschlossen ist es laut Verfassung des Freistaats aber nicht, wie die Expertinnen und Experten des „Thüringen Projekts“ nachweisen. Höcke hat das im Blick. Während seiner Rede sagt er: „Ich muss meine Stimme noch schonen für meine erste Regierungserklärung. Da freue ich mich schon drauf.“ Der Beifall ist stürmisch, die vielleicht 300 Leute jubeln ihrem Anführer zu. Höcke lacht affektiert und tut so, als ob er es nicht ganz ernst meint. In Wahrheit wäre es die Krönung seiner bisherigen Karriere.

    Seit Gründung der AfD ist Lucke abgetreten; aber Höcke ist noch da

    Rückblick auf den Juli 2014. Die AfD hat in Berlin ins Haus der Bundespressekonferenz geladen, sie hat bei der Bundestagswahl im Herbst davor den Einzug ins Parlament mit 4,7 Prozent der Stimmen knapp verpasst, ist aber ins Europaparlament eingezogen. In den großen Saal traut sich die Partei noch nicht so recht, sie bucht einen der kleinen Tagungsräume mit Blick auf die Spree, das Medieninteresse ist überschaubar. Einen Ausweg und Perspektiven wolle die AfD bieten, sagt der damalige Parteichef Bernd Lucke. Die etablierten Parteien nennt er einen „Swinger-Club.“ Es ist der Auftakt für einen Siegeszug der Alternative für Deutschland, der bis heute anhält. Allerdings ohne Lucke, ohne Frauke Petry und die meisten anderen, die damals die Partei führten.

    Höcke hingegen ist noch da. Der Studienrat hat 2013 die AfD Thüringen mitgegründet und ist damals schon Spitzenkandidat für den Freistaat. Von Anfang an scheut er sich nicht, nationalsozialistisches Gedankengut fortzuschreiben. „Inklusion kann nicht funktionieren“, grenzt er Kinder mit Behinderung von anderen ab. Homosexualität geht nach AfD-Lesart gar nicht. Man dürfe die „natürliche Polarität der Menschen“ nicht auflösen, meint der ehemalige Geschichtslehrer. Unter die Erinnerung an den NS-Terror will er – der das Holocaust-Mahnmal in Berlin abfällig ein „Denkmal der Schande“ nannte - einen „Schlussstrich“ ziehen; er polemisiert oft gegen die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Buchenwald.

    Höcke rückt die AfD von Anfang an weit an den rechten Rand

    Höckes Parolen schrecken viele Wählerinnen und Wähler nicht ab, der verheiratete Vater von vier Kindern wird 2014 erstmals in den Landtag und dort von seinen Leuten zum Fraktionschef gewählt. Der spätere Mitbegründer der völkisch-nationalistischen und rechtsextremen AfD-Gruppierung Der Flügel positioniert sich ganz weit rechts außen, will sich beispielsweise nicht von NPD-Mitgliedern distanzieren. Solche und ähnliche Positionen bringen ihm Parteiausschlussverfahren ein. Höcke übersteht sie, ist 2019 erneut Spitzenkandidat und holt mit seiner Partei 23,4 Prozent.

    Der Thüringer AfD-Chef ist eng mit dem rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek verbandelt. Eine TV-Dokumentation von WDR und NDR rekonstruiert, wie eng verzahnt beide miteinander gearbeitet und immer neues völkisches Gedankengut in die AfD eingebracht haben. Falls Kubitschek vorhatte, sich als eine Art graue Eminenz im Hintergrund zu halten und Höcke als Aushängeschild an die Front zu schicken, könnte er sich verrechnet haben.

    Denn Höcke umgibt sich mit Vertrauten, sichert sich ab, spielt nach Belieben mit seiner Partei. Er lebt zwar in der thüringischen Region Eichsfeld, dort unterlag er aber bisher immer dem CDU-Konkurrenten. Aus wahltaktischen Gründen tritt er diesmal im Wahlkreis Greiz II als Direktkandidat an. Sollte er das Direktmandat holen und die AfD stärkste Kraft werden, könnte Höcke zum unangefochtenen Spitzenmann der gesamten Partei aufsteigen.

    In Erfurt wird deutlich, was diesem Land dann blüht. Die Migration sei „die Mutter aller Krisen“, hetzt er. „Migrantenkinder, die kein Deutsch sprechen, die den Unterricht dadurch belasten“, sollen so lange getrennt unterrichtet werden, „bis sie Deutsch sprechen oder bis der Asylgrund ihrer Eltern weggefallen ist und man sie zurück in ihre Heimat lässt.“ Es gebe „immer mehr Deindustrialisierung mit mehr Gendergaga“. Die Corona-Pandemie sei ein „Fake“ gewesen, behauptet er. Höcke droht unverhohlen: „Wir kennen die, die uns über Jahre verfolgt haben. Ich kenne die Richter und Staatsanwälte und die Politiker und die Geheimdienstler, die mir immer auf den Fersen waren.“

    Schuld haben immer die anderen

    Das Vorgehen hat Methode. Schuld haben immer die anderen, vor allem die, die nicht Deutsche sind. Deutschland hat das schon hinter sich, aber die Propaganda funktioniert wieder. „Freiheit“ verspricht Höcke seinen Wählerinnen und Wählern, dabei ist das, was er propagiert, wohl der Freiheit Tod. Doch seine Anhänger lesen nicht Hannah Arendt, sie informieren sich bei Dushan Wegner und seinen „Freien Denkern“. Wegner schreibt, dass die Spartaner „ihre schwächlichen oder missgebildeten Kinder in einer Schlucht der Taygetos-Berge“ ausgesetzt hätten. Von solchen Sätzen ist es nicht weit zum „Erbgesundheitsgesetz“ der Nazis, das im Juli 1933 den Deutschen Reichstag passierte und der „Rassenhygiene“ dienen sollte.

    In Erfurt formuliert Höcke seine Allmachtsphantasien offen und ungeniert. „Wir werden hier am 1. September etwas Großes bewegen. Ihr könnt Geschichte schreiben“, ruft er seinen Leuten zu und macht in die lauten „AfD, AfD“- Rufe hinein deutlich, dass das hier nur der Beginn von etwas Größerem sein soll. „Wir fangen hier in Thüringen an, wir lassen hier die blaue Sonne, die politische Sonne in den Himmel steigen, damit der Westen sie wahrnimmt.“

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    3 Kommentare
    Wolfgang Steger

    Schon seltsam, dass keiner von denen, die nichts gegen eine AfD Regierung in Thüringen haben, sich zu diesem Artikel nicht äußern.

    Maria Reichenauer

    ja, Höcke ist schon ein besonderes Herzchen. Jenoptik ist einer der wenigen börsennotierten Unternehmen in Thüringen und Höcke wünscht dem Betrieb schwierige Zeiten, weil sich der Vorstandsvorsitzede Stefan Trager für eine offenes Land ausspricht. Ist das dumm oder ist das dumm? Nachzuhören in der ZDF-Mediathek: https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/sgs-traeger-hayali-100.html Aber das sagt eigentlich alles: große Klappe und braune .... am Bein. Und 30 % des Wahlvolks in Thüringen riechen es nicht. Es ist zum Verzweifeln.

    Wolfgang Boeldt

    Ich bilde mir meine Meinung so gut wie immer, wenn etwas "gemacht" wurde, also nach Taten, nicht nach Ankündigungen oder Programmen oder ... . Bei einer Regierung von AfD zusammen mit BSW, wird es nach Stand heute nicht geben, wäre interessant wie dieses Bundesland Land nach 2-3 Jahren "da steht". Vermutlich nicht besser aber auch nicht schlechter als mit einer anderen Regierung. Denn eines wird von den Prophten immer übersehen: jede Landesregierung ist an Bundesgesetze gebunden. Landesgesetze dürfen nicht im Konflikt zu Bundesgesetzen oder gar der Verfassung stehen.

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