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Krieg in Israel und Gaza wird für Israel zum politischen Debakel

Krieg im Nahen Osten

Wie der Krieg für Israel zum politischen Debakel wird

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    Auch innerhalb Israels sind die Proteste gegen Netanjahus Regierung wieder aufgeflammt. Die Demonstranten werfen dem Ministerpräsidenten und seinen rechtsextremen Koalitionspartnern vor, Israel in den Abgrund zu treiben.
    Auch innerhalb Israels sind die Proteste gegen Netanjahus Regierung wieder aufgeflammt. Die Demonstranten werfen dem Ministerpräsidenten und seinen rechtsextremen Koalitionspartnern vor, Israel in den Abgrund zu treiben. Foto: Ilia Yefimovich, dpa

    Benjamin Netanjahu ist wütend und daraus macht er keinen Hehl. Fast zeitgleich hatten an diesem Mittwochmorgen die Länder Spanien, Irland und Norwegen angekündigt, Palästina als Staat anzuerkennen. Eine Belohnung für den Terrorismus sei es, ärgert sich der israelische Premier. „Diesem Bösen kann man keinen Staat geben.“ Tatsächlich wäre der Schritt für Netanjahu ein gigantischer diplomatischer Schlag – doch bei Weitem nicht der einzige. Erst am Wochenende wurde bekannt, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes einen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister und dessen Verteidigungsminister Joav Galant beantragt hat. 

    Der wichtigste Verbündete, die USA, stellt sich zwar grundsätzlich hinter den Kampf der Israelis gegen die Hamas – lässt an seiner Kritik am Vorgehen der Armee aber genauso wenig Zweifel. Der Hamas-Terror und der Krieg haben eine gewaltige Welle des Antisemitismus ausgelöst, die bei Juden aus aller Welt schwere Ängste verursacht. Selbst im Innern rumort es: Die Demonstrationen gegen Netanjahu vor allem von Geisel-Angehörigen auf den Straßen von Tel Aviv nehmen kein Ende, zugleich kriselt es in der Regierungskoalition. Acht Monate nach Beginn des Krieges im Gazastreifen steht der israelische Regierungschef vor einem politischen Trümmerfeld. Das Land steckt in einem Schlamassel.

    Das Paradoxe des Krieges: Die Terrororganisation Hamas profitiert

    Egal, ob man die Lage militärisch oder politisch oder nur symbolisch betrachtet: „Es scheint so, als ob die Israelis diesen Krieg verlieren“, sagt Peter Lintl, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Wer hingegen profitiert hat, ist die Hamas. Die palästinensische Sache ist wieder in aller Munde – und aus palästinensischer Sicht hat das eben nicht die Autonomiebehörde, sondern die Hamas geschafft.“ Es ist das Paradoxe dieses Krieges, der aus Sicht vieler Menschen außer Kontrolle geraten ist. Ausgerechnet eine Terrororganisation wird zum Profiteur. „Ein Stück weit ist die Situation aber auch selbst verschuldet“, sagt Lintl. „Die Art, wie Israel diesen Krieg führt, hat einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, das Land international zu isolieren.“ Die Regierung habe die humanitäre Hilfe für Zivilisten im Gazastreifen zumindest zu Beginn des Krieges nur sehr zögerlich zugelassen, rechtsextreme Regierungsmitglieder hätten ihre Fantasien von einer israelischen Besatzung des Gebiets immer wieder offen geäußert, bis zu 60 Prozent der Infrastruktur im Gazastreifen sei zerstört. 

    Israel soll seine Pläne für eine Großoffensive in Rafah aufgegeben haben.
    Israel soll seine Pläne für eine Großoffensive in Rafah aufgegeben haben. Foto: Omar Ashtawy/APA Images via ZUMA Press Wire, dpa

    „Natürlich ist dieser Krieg sehr schwer zu führen“, sagt Lintl. „Man kämpft nicht gegen eine reguläre Armee, sondern gegen Kombattanten, die sich in Tunneln und zivilen Strukturen verschanzen. Jeder Schlag gegen die Hamas führt deshalb dazu, dass auch Zivilisten oder zumindest zivile Infrastruktur getroffen werden.“ Hinzu kommt, dass Abschreckung zu den Überlebensgarantien des Staates Israel gehört: Nur wenn seine Feinde wissen, wie die Antwort ausfallen kann, werden sie – so die Strategie – von einem Angriff absehen.

    Die Solidarität mit Israel nimmt ab

    Die Folgen sind allerdings fatal: Die Solidarität mit Israel nimmt stetig ab, die Skepsis wächst. „Grundsätzlich ist das ein Phänomen, das wir auch aus anderen Kriegen kennen“, sagt Lintl. Schon im Gaza-Krieg im Jahr 2014 wurde der Rückhalt kleiner, je höher die Zahl der Opfer wurde. „Aber die Reaktionen, die wir in diesem Krieg sehen, gehen weit darüber hinaus“, sagt der Nahost-Experte. „Selbst die USA als wichtigster Verbündeter haben zum ersten Mal sogar Waffenlieferungen eingeschränkt und fordern die israelische Regierung nachdrücklich auf, ihr Vorgehen zu ändern. 

    Und auch die Deutschen werden immer kritischer, was diesen Krieg betrifft.“ Gerade für Deutschland sei der innere Zwiespalt sehr groß. Das Attentat der Hamas vom 7. Oktober habe einerseits Erinnerungen an den Holocaust wachgerufen, das, was nie wieder geschehen sollte, sei doch wieder geschehen und habe eine große Anteilnahme ausgelöst. Andererseits aber seien viele Menschen regelrecht schockiert von der Antwort Israels auf den islamistischen Terror. Auf das Grauen folgte noch mehr Grauen.

    Fehlende Fähigkeit Israels zu sehen, was in Gaza passiert

    In Israel selbst wird mittlerweile täglich darüber diskutiert, wie man den Abwärtssog überwinden kann. Viele Israelis fühlen sich ungerecht behandelt. „Das Trauma, das der 7. Oktober bei vielen Israelis verursacht hat, greift so tief, dass dem Land inzwischen die Fähigkeit fehlt, zu sehen, was in Gaza gerade passiert und schiefläuft“, sagt Lintl. „Das eigene Leid ist so groß, dass gar kein Platz ist für das Leid der anderen.“ Auch die Reaktionen Netanjahus auf den internationalen Druck wirken eher emotional-trotzig als staatsmännisch. „Wenn wir für uns alleine stehen müssen, dann werden wir für uns alleine stehen“, sagte er. Notfalls werde man sich eben „mit den Fingernägeln“ verteidigen.

    Dabei läuft vieles, was gerade schiefgeht, bei ihm als Person zusammen. „Netanjahu ist nicht in der Lage, ein klares Kriegsziel zu benennen“, sagt Lintl. „Er strebt zwar den totalen Sieg an, hat aber kein Szenario für das, was nach dem Krieg im Gazastreifen geschehen soll.“ Politische Pläne werden – so absurd es klingt – ausgerechnet von der Politik verhindert. Die innenpolitischen Zwänge sind zur Fessel mutiert: Vor allem die rechtsradikalen Kräfte in der israelischen Regierung rufen nach immer schärferen Maßnahmen, während die internationalen Partner Mäßigung anmahnen. Beiden zugleich kann Netanjahu nicht gerecht werden.

    Sorgt der Druck von außen für eine Wagenburg-Mentalität?

    Womöglich ist gerade die Krise eine Chance für ihn. Vor allem die Androhung eines Haftbefehles hat in Israel für große Empörung gesorgt. Möglich wären aus Sicht des Nahost-Experten Lintl zwei Folgen: Entweder die Kritik an Netanjahu eskaliert und zwingt ihn zum Rücktritt – oder der Druck von außen führt dazu, dass die Elemente im Inneren wieder enger zusammengeschweißt werden und sich in der israelischen Politik so etwas wie eine Wagenburg-Mentalität herausbildet. Die Gründe dafür müsse man auch in der israelischen Geschichte suchen: Das Gefühl, verfolgt zu werden und sich schützen zu müssen, sitze tief. „Im Moment sieht es jedenfalls nicht danach aus, als ob diese Regierung stürzen wird“, sagt Lintl. (mit dpa)

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