Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Krieg in der Ukraine: Drei Gipfeltreffen an einem Tag: Der Westen formiert sich gegen Putin

Krieg in der Ukraine

Drei Gipfeltreffen an einem Tag: Der Westen formiert sich gegen Putin

    • |
    Gipfel-Marathon in Brüssel: US-Präsident Joe Biden (links) mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Hintergrund Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der nun doch im Amt bleiben will.
    Gipfel-Marathon in Brüssel: US-Präsident Joe Biden (links) mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Hintergrund Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der nun doch im Amt bleiben will. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Vor der Kulisse Dutzender Fotografen begrüßten sich der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi betont herzlich, während Großbritanniens Boris Johnson etwas verloren vor seinen Amtskollegen herumstolperte. Als schon alle Staats- und Regierungschefs versammelt waren, stießen auch US-Präsident Joe Biden und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dazu. Hier Smalltalk, dort ein Schulterklopfen, man kennt sich.

    Es lief selbst an diesem historischen Tag so, wie es immer bei solchen Gipfeln läuft, bevor sich die Staatenlenker fein orchestriert zum sogenannten traditionellen Familienfoto aufstellten. Nur einer fehlte um 10 Uhr morgens im Kreis der Partner: Kanzler Olaf Scholz. Wegen der Verhandlungen um das Energie-Entlastungspaket kam er zu spät zum außerordentlichen Nato-Gipfel nach Brüssel, musste für den Schnappschuss vom deutschen Botschafter der Allianz vertreten werden

    Während die meisten Fotos solcher Gipfel eher im Tagebuch mancher Politiker landen dürften, war dies tatsächlich ein Bild für die Geschichtsbücher. Denn es ging vor allem um Symbolik an diesem Donnerstag, an dem gleich drei Spitzentermine stattfanden: Am Vormittag Nato-Gipfel, am Nachmittag Gipfel der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte (G7), danach EU-Gipfel. Das gab es noch nie.

    Sanktionen gegen Russland – militärische Unterstützung für die Ukraine

    Und auch wenn neue Sanktionen, eine Stärkung der Nato-Ostflanke sowie eine weitere militärische Unterstützung für die Ukraine beschlossen wurden. Der Westen wollte vor allem ein starkes Zeichen setzen. Hier präsentierte man sich im Schulterschluss zusammen gegen den Aggressor Wladimir Putin. Dafür reiste extra Biden an, wollte einerseits demonstrieren, dass Amerika an der Seite Europas steht. Andererseits gerät der US-Demokrat zunehmend unter Druck, die derzeitige Geschlossenheit zu bewahren. „Das Wichtigste ist, dass wir geeint bleiben“, sagte Biden denn auch und es klang wie ein Appell an die Verbündeten. Denn hinter den Kulissen beginnt die Geschlossenheit zu bröckeln.

    So fordert beispielsweise Estland, dass das Bündnis dem Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Panzern und Kampfflugzeugen nachkommt. Doch die überwältigende Mehrheit der Nato-Partner lehnt die Lieferung schwerer Waffen ab. Sie  befürchten, Putin könnte das als Kriegsbeteiligung der Nato werten. Einen Flächenbrand will der Westen vermeiden. „Es gibt eine Grenze, die darin besteht, nicht Kriegspartei zu werden“, so Macron. Immerhin: Nachdem die Bündnisvertreter laut Biden das „Privileg“ hatten, mit Selenskyj per Videoschalte zu sprechen, habe man sich auf weitere Hilfe verständigt, damit die Ukraine ihr Grundrecht auf Selbstverteidigung ausüben könne, so Stoltenberg.

    Der Nato-Gipfel fand exakt einen Monat nach der Invasion Russlands statt. Und die Antwort der 30 Bündnisstaaten auf Putins Gewalt lautet massive Aufrüstung. So wurden an der Ostflanke 40.000 Soldaten sowie Luft- und Seefähigkeiten dem direkten Kommando der Nato unterstellt. Außerdem richtet die Allianz vier zusätzliche multinationale Gefechtsverbände in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Ungarn ein.

    Greift Putin in der Ukraine zu noch verheerenderen Waffen?

    Während westliche Militärexperten zu Beginn noch von einer zügigen Niederlage der Ukraine ausgegangen waren, zweifeln sie angesichts des Verteidigungswillens der Angegriffenen, ausgestattet mit Waffenlieferungen aus dem Westen, zunehmend daran, ob es Russland überhaupt gelingen kann, die Hauptstadt Kiew einzunehmen, ohne zu noch verheerenderen Waffen zu greifen. Stockt der Vormarsch Russlands tatsächlich?

    Im Kreis der Nato nehmen die Sorgen zu, dass Putin unter falscher Flagge die Lage weiter eskalieren könnte, um dem Eindruck einer militärischen Niederlage entgegenzuwirken. Das Bündnis will deshalb der Ukraine „zusätzliche Unterstützung“ gewähren, einschließlich Hilfe bei der Cybersicherheit und Ausrüstung zum „Schutz vor chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Bedrohungen“, wie Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte.

    Baltische Staaten, Polen und Irland fordern Importstopp für Gas und Öl

    Doch wo würde die rote Linie des Westens verlaufen? Biden warnte die russische Armee vor einem Einsatz chemischer Waffen in der Ukraine. Sollte es zu solch einem kommen, werde es eine „entsprechende Antwort“ der Nato geben. Wie diese aussehen könnte, ließ der US-Präsident aber offen.

    Beim EU-Gipfel herrschten insbesondere bei der Frage, wie weit die Sanktionen gehen sollen, Spannungen. Während die baltischen Staaten, Polen oder Irland beispielsweise einen Importstopp für Gas oder Öl verlangen, lehnen Länder wie Deutschland, aber auch die Niederlande, Ungarn, Österreich und Italien einen solchen Schritt ab – noch. Denn die Rufe nach einem Embargo werden immer lauter. Kritiker bemängeln, dass die Geschäfte mit Rohstoffen jeden Tag dreistellige Millionenbeträge in Putins Kriegskasse spülen. Geeinigt haben sich die Verbündeten auf Maßnahmen, mit denen man die Schlupflöcher der bislang verhängten Sanktionen stopfen will. So soll etwa jede Transaktion mit Gold im Zusammenhang mit der russischen Zentralbank mit Sanktionen belegt werden.

    Die G7 und die EU wollen so verhindern, dass die russische Zentralbank internationale Reserven - einschließlich Gold - einsetzt, um die russische Wirtschaft zu stützen. Biden schwor seine Amtskollegen auf einen langen Atem ein. Die Maßnahmen müssten aufrechterhalten werden, „nicht nur im nächsten Monat“ oder dem folgenden, „sondern für den Rest des Jahres“. Er plädierte zudem für einen Ausschluss Russlands aus der G20, der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.

    Eine Diskussion immerhin haben die Nato-Partner auf nächstes Jahr verschoben. Stoltenberg, dessen Amtszeit eigentlich am 30. September ausgelaufen wäre, bleibt wegen des Kriegs ein weiteres Jahr an der Spitze der Nato. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden