Der Palästina-Platz im Zentrum von Gaza-Stadt ist ein Ort, wie er in vielen Ländern nicht nur des Nahen Ostens zu finden ist. Umrahmt von einer Schule, einer Gesundheitseinrichtung für Kinder, Hotels, Wohnhäusern und Regierungseinrichtungen. „Alles sieht normal aus“, sagt der stellvertretende Kommandeur der 401. Brigade der israelischen Armee. Und doch täuscht der Anschein. Denn hinter den Mauern einer Autowerkstatt verbirgt sich das, worauf die Truppen derzeit ein ganz besonderes Augenmerk legen: Hier stapeln sich Steine, Zement und Betonplatten, die dafür gedacht sind, das ausgeklügelte Tunnel-System der Hamas zu errichten. Die Gänge gelten den Streitkräften als „Terror-Stadt im Untergrund“. Vor wenigen Tagen hat die Armee das größte Tunnel-System freigelegt, nun präsentiert Israel neue Erkenntnisse zu dem unterirdischen Geflecht.
An den Wänden würden Baupläne hängen, erklärt der Soldat. Ein Loch geht in die Erde, darüber hängt ein Lastenzug. Meilenlang seien die Tunnel. Regelmäßig veröffentlichen die IDF (Israel Defence Forces) inzwischen solche Videos in den sozialen Netzwerken, um die eigene Strategie zu erklären und Beweise für das Vorgehen der Hamas im Gazastreifen zu präsentieren. „Das ist der Ort, an dem Tunnel gebaut werden“, sagt der Kommandeur. „Sie nutzen zivile Infrastruktur, um den Terror aufzubauen.“ Dutzende solcher Orte dürfte es im Gazastreifen geben, lange wurde über sie spekuliert, nun liegen Video- und Foto-Aufnahmen vor. Unabhängig prüfen lassen die sich nicht.
Größter bislang gefundener Tunnel ist vier Kilometer lang
Eine Anlage ist nahe dem Grenzübergang Erez zu finden, eine andere unter dem Haus von Jihia Sinwar, einem der mutmaßlichen Hamas-Anführer. Er ist teils ausgelegt mit Teppichen, ein Koran ist zu sehen, genauso eine große Anzahl an Waffen und Munition. Offenbar war einer der Räume eine Art Saal mit einem Durchmesser von 150 Metern. Sicherheitskameras nehmen mögliche Eindringlinge auf, es ist für Strom gesorgt. Belüftungs- und Abwassersysteme sind vorhanden. Der Tunnel nahe Erez ist vier Kilometer lang und 50 Meter tief, ausgekleidet mit Stahlbeton, ausgerüstet mit Sicherheitstüren, er spaltet sich auf in ein weites Geflecht an unterirdischen Gängen. Fahrzeuge können darin fahren, Menschen haben bequem Platz. Medienberichten zufolge endet die rund drei Meter breite Tunnelroute in Dschabalia. Das Flüchtlingsviertel im Norden des Gazastreifens gilt als Hamas-Hochburg.
Die IDF geht davon aus, dass es Jahre gedauert haben muss, einen Tunnel dieser Größe fertigzustellen. Die Ausrüstung, die dafür notwendig ist, sei über die Grenzen geschmuggelt worden. „Jahre, die man dafür hätte nutzen können, Schulen, Krankenhäuser, Unterkünfte zu bauen“, so die israelische Armee. „Aber Israel anzugreifen ist für die Hamas weitaus wichtiger, als den Lebensunterhalt von Zivilisten in Gaza sicherzustellen.“ Armeesprecher Daniel Hagari spricht von „Millionen Dollar“, die in die „terroristische Stadt im Untergrund“ geflossen seien. Immer wieder wird auch die Frage aufgeworfen, inwieweit die Hamas Spendengelder aus dem Westen nutzt, um sie in ihr Tunnelsystem zu investieren.
Lage für die Zivilisten in Gaza spitzt sich weiter zu
Unterdessen spitzt sich die Lage der Menschen im Gazastreifen zu. Im nördlichen Teil der Region gibt es laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) keine funktionierenden Krankenhäuser mehr. Patienten würden nicht nur wegen mangelnder medizinischer Versorgung sterben, sagte WHO-Hilfskoordinator Sean Casey am Donnerstag. „Sie verhungern und verdursten“, berichtete er in einer Videoschalte aus Rafah.
Im gesamten Gazastreifen sind laut WHO-Vertreter Richard Peeperkorn nur noch 9 der 36 Gesundheitseinrichtungen teilweise im Betrieb. Krankenhäuser im nördlichen Teil des palästinensischen Küstenstreifens seien nicht mehr in der Lage, Operationen durchzuführen und ihre Patienten zu versorgen, doch sie würden noch Tausende Menschen beherbergen - darunter auch viele Geflüchtete. Die WHO forderte erneut eine Feuerpause.
Die ist allerdings vorerst nicht zu erwarten. „Wir setzen den Krieg bis zum Ende fort. Er wird weitergehen, bis die Hamas beseitigt ist - bis zum Sieg“, sagte Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft. Der israelische Ministerpräsident bekräftigte, dass das Militär die Kampfhandlungen erst einstellen werde, wenn Israel seine Kriegsziele erreicht habe. „Wer glaubt, dass wir aufhören werden, ist fernab jeder Realität“, sagte er. Israel werde nicht aufgeben, bis alle Ziele erreicht seien. Diese seien "die Eliminierung der Hamas, die Freilassung unserer Geiseln und die Beseitigung der Bedrohung aus dem Gazastreifen“. Hamas-Terroristen hätten nur zwei Möglichkeiten: „Ergeben oder sterben“, sagte Netanjahu weiter. (mit dpa)