Bei einem historischen gemeinsamen Besuch in Kiew haben die Außenminister der EU-Staaten ein Zeichen der Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine gesetzt. Erstmals tagten Vertreter aller 27 EU-Staaten außerhalb der Europäischen Union, sagte der Außenbeauftragte Josep Borrell. Die Minister und Ministerinnen berieten über die Lage angesichts der russischen Invasion und über die Unterstützung der EU für die Ukraine.
"Unser gemeinsamer Sieg hängt direkt von unserer Zusammenarbeit ab", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj der Ministerrunde. Er forderte weitere Sanktionen gegen den Angreifer Russland. Die starken russischen Luftangriffe belegten, dass die von Europa erlassenen Strafmaßnahmen noch nicht ausreichten. Alle Lieferungen, die der russischen Rüstung zugutekommen können, müssten gestoppt werden. "Das ist nicht nur klar im Interesse der Ukraine, sondern auch weltweit von jedem, der so schnell wie möglich ein Ende des Krieges möchte", sagte Selenskyj.
Unterstützung der Ukraine könnte bröckeln
Auch wenn das politische Signal stark ausfiel, mussten die EU-Politiker sich doch mit Anzeichen einer bröckelnden Unterstützung für die Ukraine auseinandersetzen. In den USA sind Finanzhilfen für Kiew wegen des internen Haushaltsstreits in der Schwebe.
In der EU blockiert das russlandfreundliche Ungarn Hilfen für die Ukraine. Nach der Wahl in der Slowakei könnte es sein, dass Sieger Robert Fico einen ähnlichen Kurs einschlägt wie Viktor Orban in Ungarn. Der Streit zwischen den engen Verbündeten Polen und Ukraine hat sich vertieft. Polens Außenminister Zbigniew Rau fuhr gar nicht nach Kiew, sondern schickte einen Stellvertreter.
Baerbock machte sich in Kiew für "Winterschutzschirm" stark
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bekräftigte ihre Forderung nach einem "Winterschutzschirm" für die Ukraine. Dazu gehöre der Ausbau der Luftverteidigung, die Lieferung von Strom-Generatoren und die Stärkung der Energieversorgung, sagte die Grünen-Politikerin. Im vergangenen Winter hatte Russland mit systematischen Angriffen auf die Energieversorgung versucht, die Ukrainer niederzuzwingen. Für die Ministerin war es der zweite Besuch in wenigen Wochen in Kiew.
Baerbock bekräftigte das Versprechen der EU, die Ukraine zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt in die Staatengemeinschaft mit ihren derzeit 27 Mitgliedern aufzunehmen. "Die Zukunft der Ukraine liegt in der Europäischen Union, in dieser Gemeinschaft der Freiheit. Und die wird sich bald erstrecken von Lissabon bis Luhansk." Die Ukraine ist seit Juni 2022 offiziell Beitrittskandidat. Über die Aufnahme von Verhandlungen müssen die EU-Staaten aber noch einstimmig entscheiden.
EU-Mitgliedschaft ist eine "Frage der Zeit"
Wie EU-Chefdiplomat Borrell nannte auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba das Treffen historisch: Er finde zwar außerhalb der derzeitigen EU-Grenzen statt, "aber innerhalb der zukünftigen EU-Grenzen". Kuleba zeigte sich zuversichtlich mit Blick auf eine EU-Mitgliedschaft. "Es ist nur eine Frage der Zeit", sagte er. Die Ukraine sei dabei, alle von Brüssel geforderten Reformen umzusetzen.
Die Außenministerinnen und Außenminister kamen am Montag mit dem Nachtzug nach Kiew. Wie üblich während des russischen Angriffskriegs wurde die Reise aus Sicherheitsgründen nicht vorher angekündigt. Seit Russland im Februar 2022 in das Nachbarland einmarschiert ist, ist noch nie eine so große Gruppe ranghoher ausländischer Politikerinnen und Politiker angereist.
Borell: Drohnen und Raketen schüchtern uns nicht ein
Borrel nannte das Treffen ein starkes Signal an Russland. "Wir lassen uns von Euren Raketen oder Drohnen nicht einschüchtern", sagte er. Der EU-Außenbeauftragte hat vorgeschlagen, der Ukraine längerfristig Geld zur Rüstung zuzusagen und mit EU-Geld auch die Lieferung moderner Kampfjets und Raketen zu finanzieren. Er will von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro mobilisieren.
Der dänische Außenminister Lars Løkke Rasmussen sagte, sein Land unterstütze den Vorschlag. Mit Blick auf möglicherweise sinkende US-Hilfen für die Ukraine sagte er, Europa leiste aus seiner Sicht bereits jetzt seinen Teil. Es müsse aber bereit sein, noch mehr zu tun. Der US-Kongress hatte am Wochenende einen Übergangshaushalt verabschiedet, der kein Geld für die Ukraine vorsieht.
USA bekräftigen Unterstützung
Die Ukraine spreche mit den Republikanern und den Demokraten über die Hilfen, sagte Kuleba. "Die Vereinigten Staaten verstehen, dass in der Ukraine viel mehr auf dem Spiel steht als nur die Ukraine." Nach Angaben aus Washington telefonierte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin mit seinem ukrainischen Kollegen Rustem Umjerow, um die Unterstützung der USA für die Ukraine zu bekräftigen und Prioritäten bei der Militärhilfe zu erörtern.
Die niederländische Außenministerin Hanke Bruins Slot sagte, die Ukrainer sollten auch deswegen weiter mit guten Waffen und Munition unterstützt werden, weil sie für die Freiheit ganz Europas kämpften. "Das ist nicht nur der Krieg der Ukrainer, sondern auch ein Krieg Europas als Kontinent", betonte sie.
Nachbarstaaten Russlands betonen Solidarität mit Ukraine
Finnland wisse, wie schwierig es sei, neben einem Nachbarn wie Russland eine demokratische und offene Gesellschaft aufzubauen, sagte Außenministerin Elina Valtonen aus Helsinki. "Für uns Finnen ist es deshalb umso wichtiger, die Ukrainer und Ukrainerinnen auf ihrem Weg zur Europäischen Union und zur Nato eines Tages zu unterstützen."
Auch Ungarns Außenminister Péter Szijjártó ließ sich in Kiew vertreten. Sein Land blockiert EU-Geld, mit dem Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte finanziert werden sollen. Die Regierung in Budapest protestiert damit nach Angaben von Diplomaten dagegen, dass die Ukraine die ungarische OTP Bank auf eine Liste mit Unterstützern des russischen Angriffskriegs gesetzt hat.
Europäische Union gibt weitere 500 Millionen Euro frei
Kurz vor dem Treffen in Kiew hatte es in Brüssel die Hoffnung gegeben, dass der Streit durch einen Kompromiss gelöst und eine Freigabe der Mittel verkündet werden kann. Konkret geht es um weitere 500 Millionen Euro aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität. Diese ist ein Finanzierungsinstrument der EU, das genutzt werden kann, um Streitkräfte in Partnerländern zu stärken.
Am Rande des Ministertreffens hat Baerbock der Opfer des Massenmordes an der jüdischen Bevölkerung 1941 gedacht. Sie besuchte die Gedenkstätte Babyn Jar. In der Schlucht am früheren Stadtrand von Kiew erschossen die Nationalsozialisten am 29./30. September 1941 mehr als 33 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder.
(dpa)