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Krankenhäuser warnen: Deutschland droht Wartelistenmedizin

Interview

Krankenhaus-Gesellschafts-Chef Gaß: "Deutschland droht eine Wartelistenmedizin"

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    Protest gegen das Krankenhaussterben und die Klinikreform: „Wir erleben nicht nur bei unseren Beschäftigten, sondern auch bei den Patienten eine große Verunsicherung.“
    Protest gegen das Krankenhaussterben und die Klinikreform: „Wir erleben nicht nur bei unseren Beschäftigten, sondern auch bei den Patienten eine große Verunsicherung.“ Foto: Stefan Boness, Ipon/Imago Images

    Herr Gaß, als Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft sprechen Sie für die vielen Träger – egal ob öffentlich, privat, gemeinnützig oder kirchlich – der knapp 2000 Kliniken im Land. Es vergeht kaum eine Woche, in der irgendwo eine Klinik nicht Abteilungsschließungen bis zur Intensivstation oder gar Insolvenz ankündigt. Wie ernst ist die Lage?
    GERALD GASS: Die finanzielle Lage der deutschen Kliniken ist so ernst wie noch nie. Hochgerechnet auf alle Krankenhäuser erwarten wir ein Defizit insgesamt von sechs Milliarden Euro in diesem Jahr. Seit der hohen Inflationsphase machen die Kliniken im Schnitt jedes Jahr drei Prozent Verlust – bei solchen Zahlen wäre keine Wirtschaftsbranche lange überlebensfähig. Jede zweite Klinik plant notgedrungen eine Verschärfung der Sparmaßnahmen, die mitunter versorgungsrelevante Bereiche betreffen. Insbesondere von kirchlichen oder von sozialen Organisationen getragene Krankenhäuser müssen immer öfter ganz aufgeben, obwohl sie wichtig für die Versorgung der Bevölkerung sind.

    In Schweinfurt muss ein altes katholisches Ordenskrankenhaus mit 800 Mitarbeitern insolvent schließen, das vor 2023 nie nennenswerte Verluste schrieb. Die Schwester Oberin klagte: Die Politik hat uns einfach ausbluten lassen. Teilen Sie ihre Kritik?
    GASS: Unter der gegenwärtigen Politik der Bundesregierung haben kirchliche oder gemeinnützige Kliniken keine Chance, dauerhaft ihre Defizite auszugleichen. Die Kliniken in öffentlicher Hand haben das Glück, dass Städte und Landkreise meist mit Finanzspritzen einspringen. Man schätzt, dass die Kommunen dieses Jahr die gewaltige Summe von drei Milliarden Euro für den Defizitausgleich ihrer Kliniken ausgeben müssen. Dieses Geld fehlt ihnen natürlich an anderer Stelle. Kirchliche und gemeinnützige Träger haben diese Absicherung nicht im Rücken und bekommen dafür von den Banken keine hohen Kredite. Wenn es so weitergeht, werden mehrere hundert Jahre alte katholische und evangelische Hospitäler sang- und klanglos verschwinden. Ohne Wertschätzung für ihre Arbeit. In einer Zeit, in der christliche Werte in unserer Gesellschaft für Zusammenhalt sorgen, ist diese Entwicklung gesellschaftlich fatal.

    Warum leiden die Kliniken noch immer so unter den Folgen der Inflation der vergangenen Jahre?
    GASS: Die Krankenhäuser können nicht wie ein Unternehmen einfach die Preise für ihre Leistungen erhöhen, sondern sind von gesetzlich geregelten Erlösen abhängig, die sie über die Krankenkassen bekommen. Diese Vergütungen sind seit über zwei Jahren, nicht mehr kostendeckend, weil sie nicht entsprechend an die sprunghaft gestiegene Inflation und Lohnerhöhungen angepasst wurden. Seit den Jahren 2022 und 2023 laufen den Kliniken die Kosten davon. Ohne einen Ausgleich für diese Inflationsfolgen sind immer mehr Häuser in ihrer Existenz bedroht. Doch Gesundheitsminister Karl Lauterbach sperrt sich dagegen.

    Was bedeutet die aktuelle Entwicklung für die Patienten?
    GASS: Die Wege und Wartezeiten für Patienten werden länger. Leider gilt das sogar für Notfälle: In Nordrhein-Westfalen musste eine katholische Krankenhausgruppe wegen Insolvenz schließen, die eine wichtige Rolle in der Schlaganfallversorgung gespielt hat. Solche Aufgaben können andere Kliniken ohne entsprechende Abteilungen nicht einfach mitübernehmen. Rettungsdienste beklagen, dass sie mit ihren Patienten immer weitere Strecken fahren müssen. Die Versorgung leidet nicht nur unter dem Aus ganzer Kliniken. Mal schließt eine Geburtsstation, mal die Chirurgie, oder eine Neurologieabteilung aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Die Patienten aber verschwinden nicht, sondern müssen anderswo versorgt werden.

    Drohen auch in Deutschland lange Wartelisten bei Operationen?
    GASS: Wenn die Politik nicht endlich etwas gegen den kalten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft unternimmt, droht auch in Deutschland eine Wartelistenmedizin wie in anderen Ländern. Das deutsche Gesundheitssystem droht sein Markenzeichen zu verlieren, dass Patienten – egal ob gesetzlich oder privat versichert – einen schnellen Zugang zu Krankenhäusern mit einer guten Auswahl haben. Dafür haben uns bislang viele Länder der Welt beneidet. Der Weg in eine Wartelistenmedizin bei planbaren Operationen ist eine logische Konsequenz der Politik von Minister Lauterbach. Denn seine These, dass 20 bis 30 Prozent der Klinikbehandlungen überflüssig seien und nur aus wirtschaftlichen Gründen erfolgten, ist Unsinn. Das hätten die Krankenkassen auch nie bezahlt.

    Minister Lauterbach will mit der Krankenhausreform die Versorgung langfristig sichern. Wichtige Häuser sollen eine sogenannte Vorhaltefinanzierung für ihr Angebot bekommen. Hält die Reform dieses Versprechen?
    GASS: Nein. Die Idee war, dass Kliniken 60 Prozent ihrer Erlöse unabhängig von der Zahl tatsächlich behandelter Patienten bekommen sollten. Dieses Versprechen wird schlicht und ergreifend nicht gehalten. Die Vorhaltefinanzierung bleibt fallbezogen jeweils an die behandelten Patienten der Vorjahre geknüpft. Behandelt eine Klinik in einem Jahr weniger Patienten, bekommt sie später in den folgenden Jahren weniger Geld. Das heißt, für viele Kliniken bleibt der ökonomische Druck, hohe Fallzahlen zu erreichen, genauso wie bisher bei den Fallpauschalen bestehen. Die von Minister Lauterbach versprochene Entökonomisierung ist ein Etikettenschwindel. Das neue System bringt keine echte Verbesserung. Das wird ein böses Erwachen für alle, die diesen Versprechungen Glauben schenken.

    Hoffen Sie, dass der Bundesrat die Reform noch korrigiert?
    GASS: Auch die Kliniken und die Länder sind sich einig, dass es grundsätzlich eine große Reform braucht. Aber wenn dieses Gesetz unverändert durchgedrückt würde, befürchten wir, dass es zu chaotischen Veränderungsprozessen in der Kliniklandschaft kommt. Dieses komplexe Gesetz kann man wohl nur in einem Vermittlungsverfahren zwischen Bund und Ländern verbessern. Krankenhausplanung ist Ländersache. Deshalb ist es wichtig, dass die Länder die Lauterbach-Reform im Bundesrat mit einer breiten Mehrheit zurückweisen, sollte sie der Bundestag tatsächlich so unverändert beschließen. Wir brauchen einen Konsens über eine echte Krankenhausreform, die hilft, die Versorgungslandschaft in einem geordneten Ablauf an die Herausforderungen anzupassen. Dazu braucht es echte Kompromisse. Bliebe das Gesetz unverändert, wäre es besser, es würde nicht kommen.

    Schadet der Streit über die Reform im Klinikalltag?
    GASS: Wir erleben nicht nur bei unseren Beschäftigten, sondern auch bei den Patienten eine große Verunsicherung. In vielen Regionen fürchten die Bürgerinnen und Bürger um den Erhalt ihrer Krankenhäuser. Das kompromisslose Vorgehen führt zu einem Vertrauensverlust in die öffentlichen Institutionen. In den Wahlkämpfen im Osten spielt das Thema Krankenhaus eine große Rolle und so wie die politische Debatte derzeit läuft, spielt das auch der AfD in die Hände. Wir brauchen Veränderungen und Weiterentwicklungen in der Krankenhausversorgung. Aber das kann man nicht stur gegen alle Beteiligten und die Menschen vor Ort machen, sondern nur gemeinsam im Dialog mit ihnen.

    Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
    Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Zur Person: Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dem Dachverband der Krankenhausträger.

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