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Konflikte: Krieg gegen Krankenhäuser: Die Angriffe haben ein doppeltes Ziel

Konflikte

Krieg gegen Krankenhäuser: Die Angriffe haben ein doppeltes Ziel

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    Alltag in der Ukraine: Eine Krankenschwester deckt medizinische Geräte zum Schutz vor Angriffen im Krankenhaus der Stadt Kramatorsk ab.
    Alltag in der Ukraine: Eine Krankenschwester deckt medizinische Geräte zum Schutz vor Angriffen im Krankenhaus der Stadt Kramatorsk ab. Foto: Andriy Andriyenko, dpa

    Das letzte voll funktionsfähige Krankenhaus im Gaza-Streifen stand in der Stadt Khan Junis. Im Al Nasser-Hospital lag die 13-jährige Dina. Das Mädchen hatte in dem Nahost-Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel beide Eltern und zwei Brüder verloren. Sie selbst erlitt so schwere Verletzungen, dass ihr rechtes Bein amputiert werden musste. „Dina und weitere Menschen wurden durch Beschuss des Al-Nasser-Krankenhauses am Sonntag, den 18. Dezember, getötet“, berichtete das Kinderhilfswerk Unicef vor wenigen Tagen. 

    Der Angriff auf das Krankenhaus im Gaza-Streifen ist nur eine von insgesamt 1260 erfassten Schlägen im Jahr 2023 auf Einrichtungen des Gesundheitswesens in 19 Ländern und Territorien. Die Weltgesundheitsorganisation erstellt die Liste des Schreckens und aktualisiert die Zahlen laufend. Danach starben bei Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen in diesem Jahr bislang 724 Patienten, Mitglieder des Personals und andere Menschen, weitere 1179 erlitten Verletzungen. Das humanitäre Völkerrecht verbietet diese Attacken – es handelt sich um Kriegsverbrechen, das Gesetz kennt nur wenige Ausnahmen. 

    Hamas nutzt Krankenhäuser in Gaza als Waffenlager

    Ins Visier geraten neben Krankenhäusern auch Kliniken, Gesundheitsstationen, Praxen, Ambulanzen und medizinische Depots. Ärzte werden Opfer von Entführungen und gezielten Gewaltakten. Zu dem skrupellosen Vorgehen von bewaffneten Gruppen gehört zudem der Missbrauch von Krankenhäusern als Waffenlager und Kommandozentralen – so wie es die Hamas laut israelischen Armee-Angaben im Gaza-Streifen praktiziert. 

    Angesichts der Attacken im Nahost-Krieg und in anderen Konflikten fordert Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation: „Gesundheitseinrichtungen dürfen niemals ein Ziel sein.“ Doch die Zahl der Angriffe auf die medizinische Infrastruktur steigt seit Jahren an. Das zeigen Daten der „Safeguarding Health in Conflict Coalition“. Der Verband registrierte für das Jahr 2022 mehr als 1900 Gewaltvorfälle gegen Gesundheitsinstitutionen – den höchsten Stand, seit er 2015 seinen ersten Jahresbericht vorgelegt hat. Die Koalition wendet andere Kriterien als die WHO an und kommt auf höhere Zahlen. Beide Organisationen können aber bei Weitem nicht alle Straftaten erfassen. Der Jahresreport 2022 der Koalition umfasst düstere Kapitel: Sie berichtete von Ärzten in Myanmar und im Iran, die inhaftiert und auch getötet wurden, weil sie hilfsbedürftige Menschen behandelten. Sie erzählte von weiblichem Gesundheitspersonal in Afghanistan, das geschlagen wurde, weil es Frauen und Kinder medizinisch versorgen wollte. Sie schrieb von Helfern, die in Pakistan und anderswo ermordet wurden, weil sie Kinder gegen Infektionskrankheiten impfen.

    Russland greift gezielt die ukrainische Gesundheitsversorgung an

    Und die Koalition dokumentierte die Militärschläge Russlands gegen das Gesundheitswesen in der Ukraine im Jahr 2022. „Die mehr als 700 Angriffe Russlands auf die Gesundheitsversorgung in der Ukraine sind die höchste Zahl, die in einem einzigen Jahr in einem Land verübt wurde“, bilanzierte Len Rubenstein, der Vorsitzende der Koalition. „Die Gräueltaten Russlands in der Ukraine haben die weltweite Aufmerksamkeit auf Angriffe auf die Gesundheitsversorgung im Krieg gelenkt.“

    Aufgrund der gesammelten Daten aus verschiedenen Konfliktschauplätzen stellen die WHO-Experten fest, dass Armeen, Milizen und Terrorgruppen immer systematischer die Gesundheitsversorgung ihrer Gegner attackieren. „Es wird ein Teil der Strategie und der Taktik des Krieges“, analysiert der WHO-Notfalldirektor Mike Ryan. Die WHO erkennt auch eine andere verhängnisvolle Dynamik: „Wenn Konflikte sich verschärfen, erhöhen sich auch die Attacken auf das Gesundheitswesen.“ 

    Angriffe haben ein doppeltes Ziel

    Die Angreifer verfolgen mehrere Ziele: Durch das Zerstören der Einrichtungen und das Töten des Personals schalten sie die medizinischen Kapazitäten des Gegners dauerhaft aus. Kriegsverletzte und normale Patienten aus der Zivilbevölkerung können nicht mehr behandelt werden. Darüber hinaus rauben die Angreifer den Menschen die Rückzugsräume und treiben sie in die Flucht.

    Russlands Truppen wenden diese Strategie im Konflikt in Syrien schon seit 2015 an. Dort gehen sie Seite an Seite mit Diktator Baschar al-Assad gegen Milizionäre vor. „Krankenhäuser in den von der Opposition kontrollierten Gebieten um Aleppo wurden zum Hauptziel der russischen und syrischen Regierungstruppen“, heißt es in einer Analyse von Amnesty International. „Damit wurde eine wichtige Lebensader für Zivilisten in diesen umkämpften Gebieten zerstört, sodass ihnen keine andere Wahl blieb, als zu fliehen.“ Offiziell bestreiten russische Regierungsstellen, dass ihre Einheiten gezielt zivile Einrichtungen angreifen. Auch andere Regierungen schützen die Täter in ihren Armeen. Kaum verwunderlich ist es deshalb, dass nur sehr wenige der mutmaßlichen Kriegsverbrecher „sich vor nationalen oder internationalen Strafgerichten verantworten“ mussten, wie es in einer Studie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz vom Januar 2022 heißt. Mit anderen Worten: Die meisten Verantwortlichen sind straffrei ausgegangen. Daran hat sich seitdem nichts geändert. 

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