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Kommentar: Zeitenwende in der Landwirtschaft: Es geht wieder ums Sattwerden

Kommentar

Zeitenwende in der Landwirtschaft: Es geht wieder ums Sattwerden

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    Ein Ende der Preiserhöhungswelle in Supermärkten und bei Discountern ist nicht in Sicht.
    Ein Ende der Preiserhöhungswelle in Supermärkten und bei Discountern ist nicht in Sicht. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Ohne Landwirte wärt ihr hungrig, nackt und nüchtern – der Spruch, der sich auf Aufklebern an manchem Traktor findet, den selbstbewusste Jungbäuerinnen und -bauern auf T-Shirts tragen, bringt es auf den Punkt. Vom Frühstück übers Mittagessen bis zum Feierabendbier geht nichts ohne die Erzeugnisse der heimischen Höfe. Hier entstehen wertvolle Lebensmittel und andere wichtige Rohstoffe, darum geht es. Doch wer in den vergangenen Jahren die agrarpolitische Diskussion verfolgt hat, konnte einen ganz anderen Eindruck gewinnen. Da war zumeist von Natur-, Umwelt-, Klima-, Tier- und Artenschutz die Rede, nicht zu Unrecht, aber vielleicht zu einseitig. Dabei braucht auch die Landwirtschaft selbst Schutz, wie das massenhafte Höfesterben zeigt.

    Während die Preise für Milch, Getreide oder Fleisch immer weiter in den Keller rutschten, wurden die Landwirte mit Ansprüchen überfrachtet, sollten immer mehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben übernehmen. Damit wurden sie von der Politik nicht nur alleingelassen, sondern auch noch mit überbordender Bürokratie belastet. Die Debatte drehte sich nicht um gesunde Lebensmittel, sondern um das kranke Brüsseler Subventionswesen, Auswüchse in "Agrarfabriken" oder darum, dass die Zukunft angeblich nur noch in der Energieproduktion liege oder in der Landschaftspflege.

    Manche schienen anzunehmen, die Lebensmittelversorgung sei kein Thema mehr

    Das Wesentliche geriet darüber in Vergessenheit. So, wie viele Politiker glaubten, die Bundeswehr werde für die nationale Sicherheit heute eigentlich nicht mehr gebraucht, schienen manche anzunehmen, auf einem durchglobalisierten Markt sei eine zuverlässige Lebensmittelversorgung kein Thema mehr. So bedeutet der Krieg in der Ukraine auch für die deutsche Landwirtschaft eine Zeitenwende. Plötzlich werden Nahrungsmittel immer teurer. Manche Waren werden knapp, einige sind zeitweise ausverkauft. Im ärmeren Teil der Welt drohen ungeheure humanitäre Katastrophen, weil Getreidelieferungen aus der Kornkammer Ukraine ausbleiben. Russland blockiert gnadenlos die Ausfuhren und betreibt Machtpolitik mit dem Hunger von Abermillionen Menschen.

    Vom gestiegenen Bewusstsein für den Wert gesunder Lebensmittel hat die Mehrzahl der deutschen Höfe zunächst einmal wenig. Das bisschen, das, wenn überhaupt, von den höheren Preisen im Supermarkt dort ankommt, wird durch die ebenfalls explodierten Kosten für Treibstoff oder Dünger aufgefressen. Die großen Handelsketten diktieren weiter gnadenlos die Preise, landwirtschaftliche Güter sind gerade jetzt auch Gegenstand von Spekulation. Ein grüner Agrarminister stellt neue Ansprüche an Tierwohl und Umweltschutz, Ökoflächen werden trotz der Lebensmittelknappheit nur für Tierfutter freigegeben, nicht für Getreide.

    Bundesagrarminister Cem Özdemir im Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Mykola Solskyj (links).
    Bundesagrarminister Cem Özdemir im Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Mykola Solskyj (links). Foto: Leon Kügeler, BMEL/Photothek, dpa

    Doch beim Deutschen Bauerntag in Lübeck an diesem Dienstag hat Cem Özdemir die Chance, der Landwirtschaft aufzuzeigen, wie ein Weg aus dieser epochalen Krise aussieht und künftige Krisen besser gemeistert werden. Er muss klarmachen, wie die Bundesregierung den Weg zu einer natur- und klimafreundlicheren Landwirtschaft gerade in diesen schweren Zeiten begleiten und unterstützen will.

    Es geht ums Sattwerden: Die Regierung muss die Chancen der Landwirtschaft nutzen

    Es ist ohne Alternative, dass Deutschland auch künftig in der Lage ist, weltweite Lebensmittelkrisen gut zu überstehen, nicht nur die eigene Bevölkerung zu versorgen, sondern auch Menschen in notleidenden Regionen. Wir brauchen die Landwirtschaft als Rückversicherung, wenn, wie schon durch die Corona-Pandemie, globale Lieferketten unterbrochen werden. Gesunde, zukunftsfähige bäuerliche Familienbetriebe, die sorgsam mit Vieh und Feld umgehen, sind ein Wert an sich, denn es geht letztendlich ums Wesentliche: ums Sattwerden. Für die Regierung kann die Konsequenz aus der Ukraine-Krise nur eine Politik sein, die Landwirtschaft nicht länger als Problemfeld sieht. Sondern als Acker, auf dem die Lösungen und Chancen für die Zukunft gedeihen.

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