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Kommentar: Wir müssen die Corona-Jahre aufarbeiten

Kommentar

Wir müssen die Corona-Jahre aufarbeiten

Stephanie Sartor
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    In öffentlichen Verkehrsmitteln galt damals eine Maskenpflicht.
    In öffentlichen Verkehrsmitteln galt damals eine Maskenpflicht. Foto: Julian Rettig, dpa

    Dinge zu verdrängen gehört zu den bemerkenswertesten Mechanismen unseres Gehirns. Traumatisches oder Belastendes wird ins Unbewusste abgeschoben, als würde sich eine Art Vorhang senken. Vorstellung beendet. An diesem Ort liegen wohl auch die Abermillionen Bilder aus der Pandemie. Pandemie? War da was? Genau. 

    Viele Menschen verschwenden an Corona keinen Gedanken mehr. Aber wenn man mal im Gedächtnis kramt, dann findet man sie natürlich, die Szenen des Ausnahmezustands. Spuckschutzplastikpaneele, Hamsterkäufe, Maske, Abstand, Beatmung, Bergamo. Manche Psychologen sprechen von einem Kollektiv-Trauma. Trotzdem scheint ein Großteil der Bevölkerung und auch der Politik kein allzu ausgeprägtes Interesse daran zu haben, sich weiter mit dem Virus zu beschäftigen. Einen festen, jährlichen Gedenktag etwa für die mehr als 180.000 deutschen Corona-Toten gibt es nicht, mit dem Thema Long-Covid will man sich auch nicht so recht befassen, die Forderungen nach Aufarbeitung verhallen zunehmend im Sound neuer Sorgen. 

    Das Coronavirus hat den sozialen Kitt schwer beschädigt

    Dabei ist die Gesellschaft längst nicht gesund. Wenn man so will, dann leidet sie an Long-Covid, an Spätfolgen der zermürbenden Corona-Jahre. Das Virus hat, das zeigen zahlreiche Studien, den sozialen Kitt schwer beschädigt.

    Was man spürt, ist eine kollektive Erschöpfung. Bei den Kindern, die nicht mehr in die Schule, in den Sportverein durften, bei den Pflegekräften, die gehofft hatten, dass man ihnen nun endlich zuhören würde, dann aber erleben mussten, dass der Beifall längst verhallt ist und sich an den Arbeitsbedingungen nichts ändern wird. Aber auch bei den Menschen, die während der Pandemie monatelang allein zu Hause waren, teilweise verlernt haben, sich in einem sozialen Gefüge zu bewegen. Oder bei denen, die jemanden verloren haben, manchmal ohne einen richtigen Abschied.

    Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass nach den ersten 24 Pandemie-Monaten das Vertrauen sowohl in politische Institutionen als auch in die Mitmenschen stark gesunken ist. Während am Anfang der Pandemie noch Nachbarschaftshilfen gebildet wurden, nahm dieses mentale Unterhaken später drastisch ab. Der Bertelsmann-Studie zufolge waren 59 Prozent der Befragten der Meinung, die Menschen würden sich nicht umeinander kümmern, 28 Prozent sagten, man könne sich auf niemanden mehr verlassen. Beide Werte lagen erheblich höher als vor der Pandemie.

    Um die Demokratie zu schützen, braucht es ein Verständnis für die Gefahren

    Dass der Glaube an die Sicherheit sozialer Netze bröckelt, ist gefährlich. Denn das bereitet den Boden für radikales Gedankengut. In der "Mitte-Studie" 2022/23 der Friedrich-Ebert-Stiftung wird deutlich: Das Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie hat drastisch nachgelassen. Ein erheblicher Teil der Befragten – 38 Prozent – vertritt verschwörungsgläubige Positionen, populistische und völkisch-autoritär-rebellische Positionen sind ebenfalls deutlich verbreitet. Zudem stimmten mit 30 Prozent fast doppelt so viele Befragte wie noch 2020/21 der Aussage zu, dass die regierenden Parteien das Volk betrügen würden. Und ein Fünftel glaubt, dass Deutschland eher einer Diktatur gleiche als einer Demokratie. 

    Die Zahlen sind höchst beunruhigend. Denn die Demokratie ist verwundbar. Um sie zu schützen, braucht es aber ein Verständnis für die Gefahren, die ihr drohen. Und eine Aufarbeitung, eine ehrliche Kommunikation, das Eingestehen von Fehlern. Das tut weh, freilich. Aber die vergangenen Jahre einfach zu verdrängen, das hilft niemandem.

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