Aus dem wohltemperierten Badewasser der niedersächsischen Landespolitik ins eiskalte, aufgewühlte Wasser des Weltgeschehens: Für Boris Pistorius, den frischgebackenen Chef im Bendlerblock, hätte der Sprung kaum heftiger sein können. Kaum vereidigt, als manche noch diskutierten, ob der Kanzler nicht besser eine Frau genommen hätte, fand sich der 62-Jährige in der größten denkbaren Zwickmühle: Die Ukraine und die Nato-Partner forderten bei der Konferenz auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein, dass Deutschland endlich Leopard-2-Kampfpanzer an das von Russland attackierte Land liefert.
Doch Olaf Scholz, der Pistorius überraschend als Nachfolger der glücklosen Christine Lambrecht aus dem Hut gezaubert hatte, zögert weiter. Mehr Druck auf einen deutschen Verteidigungsminister ist kaum denkbar. Hinzu kommt noch, dass Pistorius im Ausland unter argwöhnischer Beobachtung steht. Denn wie es in seiner SPD einst Konsens war, ist er lange für enge Beziehungen zu Russland eingetreten. Zwar hatte sich der Klartext-Freund nach Beginn des Ukraine-Kriegs schneller und deutlicher von der russischen Aggression distanziert als viele Parteifreunde, doch im Nachbarland Polen etwa ist die Skepsis groß.
Pistorius will erst einmal Panzer zählen: Ernsthaft?
Dass Pistorius nun erst mal prüfen lassen will, wie viele dieser Panzer überhaupt verfügbar sind, ist natürlich eine politische Nebelgranate. Bei allen Problemen der Bundeswehr kann keiner ernsthaft glauben, es wäre nicht bekannt, wie viele Leos in den deutschen Kasernen und Panzerschmieden herumstehen. Doch in Bedrängnis kann ein solches Ablenkungsmanöver auch mal Zeit verschaffen. Aus einer denkbar komplizierten Affäre hat sich Pistorius gleich zum Auftakt im neuen Amt achtbar herausgezogen. Wichtiger noch: Er schaffte es dabei, abwägend, kompetent und entschlossen zugleich zu wirken. Das macht Hoffnung, dass die Bundeswehr mit ihrem neuen Kommandeur auf dem richtigen Weg ist.