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Kommentar: Recep Tayyip Erdogan: Der ewige Präsident

Kommentar

Recep Tayyip Erdogan: Der ewige Präsident

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    Seit 2014 ist er türkischer Präsident und seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor: Recep Tayyip Erdogan.
    Seit 2014 ist er türkischer Präsident und seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor: Recep Tayyip Erdogan. Foto: Markus Schreiber, dpa

    Bei der Wahl in der Türkei hat trotz Wirtschaftskrise, Korruption und Regierungsversagen bei der Erdbebenhilfe fast jeder zweite Türke für Recep Tayyip Erdogan gestimmt. Einer weitgehend geeinten Opposition gelang es nicht, den Präsidenten zu stürzen. Diese Gelegenheit wird so schnell nicht wiederkommen. Bei der Stichwahl in zwei Wochen ist Erdogan im Vorteil und wird bei einem Sieg mindestens fünf weitere Jahre regieren können. Womöglich ist er jetzt Präsident auf Lebenszeit.

    Für den Westen bedeutet Erdogans Erfolg, dass es bis auf Weiteres keinen Neuanfang in den Beziehungen zur Türkei geben wird. Der Präsident wird im Falle eines Sieges in zwei Wochen die Westbindung der Türkei weiter lockern und die Zusammenarbeit mit Wladimir Putin festigen. Erdogan dürfte zwar den Nato-Beitritt Schwedens noch vor dem Gipfel der Allianz im Juli abnicken, um die Allianz nicht noch mehr gegen die Türkei aufzubringen. Das Verhältnis zu EU und USA wird aber schwierig bleiben.

    Erdogan möchte in der Türkei über neue Verfassung abstimmen lassen

    Stärkt Erdogans Erfolg die internationale Riege der Autokraten von Russland bis Ungarn? Auf den ersten Blick scheint es so: Die Wahl war nicht fair, denn in der Türkei gibt es keine Waffengleichheit zwischen Regierung und Opposition. Erdogan kontrolliert die Medien, die Verwaltung und die Justiz und kann sich aus der Staatskasse bedienen, um Wähler bei Laune zu halten. Wenn er die Stichwahl gewinnt, wird der Präsident versuchen, verfassungsrechtliche Grenzen für seine Amtszeit zu umgehen. So will er die Türken über eine neue Verfassung abstimmen lassen – dann könnte er 2028 noch einmal antreten, was unter der derzeitigen Verfassung unmöglich wäre.

    Doch bei genauerem Hinsehen ist das Wahlergebnis vom Sonntag eher eine Folge der starken Polarisierung der türkischen Gesellschaft als von autokratischem Druck. Wahlen in der Türkei werden schon immer rechts der Mitte gewonnen. Am Sonntag ist das Land noch stärker nach rechts gerückt. Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu brachte zwar mehr Erdogan-Gegner an die Urnen als andere Herausforderer des Präsidenten vor ihm, aber es reichte trotzdem nicht zum Erfolg.

    Die türkische Opposition trägt eine Mitschuld am Ergebnis

    Die Opposition trägt eine Mitschuld am Ergebnis. Sie war in ihrer Siegesgewissheit überzeugt, auf rechte Wähler verzichten zu können. Das rächte sich am Sonntag: Der Erdogan-kritische Rechtsnationalist Sinan Ogan erhielt rund fünf Prozent. Ogan will nun Erdogan und Kilicdaroglu vor der Stichwahl dazu bringen, seine Forderungen nach einer Ächtung aller Kurdenparteien und einer Rückführung der 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge zu übernehmen. Für Kilicdaroglu ist das unmöglich, weil er ohne die Unterstützung der Kurden nicht gewinnen kann.

    Erdogan dagegen wird in den nächsten zwei Wochen alles tun, um das nationalistische Lager vollständig hinter sich zu einen. Der Präsident wird dazu einen anti-kurdischen Wahlkampf führen und die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge versprechen. Dazu wird er Gespräche mit dem syrischen Regime vorantreiben. Weil Erdogans Regierungsbündnis am Sonntag seine Mehrheit im Parlament verteidigte, kann er außerdem mit dem Argument für sich werben, dass Präsident und Volksvertretung an einem Strang ziehen sollten.

    Ein Todesstoß für die türkische Demokratie war die Wahl aber nicht. Trotz Erdogans Allmacht haben mehr als 27 Millionen Türken gegen den Präsidenten votiert. Auch wenn viele von ihnen jetzt demoralisiert sind, ist klar geworden, dass Erdogan für fast die Hälfte der Bevölkerung unwählbar ist. Sollte der 69-Jährige einmal abtreten, verlieren seine Partei AKP und viele Nationalisten ihre Integrationsfigur. Dann werden die Karten neu gemischt – vorher wahrscheinlich nicht.

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