Kriegstüchtig wird die Bundeswehr auch mit der neuen Grobstruktur noch lange nicht sein. Die vielen Mängel bei Ausrüstung und Infrastruktur, die der Wehrbericht eben erst wieder schonungslos aufgezeigt hat, lassen sich eben nicht per Federstrich des Verteidigungsministers beheben. Doch Boris Pistorius hat jetzt klar dargelegt, wie er sich die Streitkräfte der Zukunft vorstellt. Die von seinem SPD-Parteifreund Kanzler Olaf Scholz eingeforderte Zeitenwende wird damit vom bloßen Schlagwort zum echten Prozess. Bei dem liegt der Fokus ganz klar auf der Landes- und Bündnisverteidigung im Rahmen der Nato. Und die Reform trägt dem Bewusstsein Rechnung, dass Deutschland innerhalb Europas und des westlichen Bündnisses einen größeren Beitrag leisten muss. Sich wie bisher bequem auf die USA und ihren atomaren Schutzschirm zu verlassen, wird nicht mehr reichen. Die laufende Einsatzfähigkeit aller Bereiche steht im Vordergrund. Wo bisher für jeden Auslandseinsatz aus allen Truppenteilen die nötigen Kräfte zusammengezogen werden mussten, soll jetzt eine Truppe entstehen, die jederzeit und sofort auf neue Bedrohungen reagieren kann. Die größte Gefahr geht aktuell und wohl leider auch in absehbarer Zukunft, von Russland aus.
Die Truppe soll effizienter und schlanker werden, Doppelstrukturen und Zuständigkeitswirrwarr will Pistorius konsequent abbauen. Das ist dringend nötig. Weil aber die Zeit massiv drängt und es so viel Versäumtes aufzuholen gilt, setzt der Hausherr im Bendlerblock nicht auf einen langwierigen Totalumbau, sondern auf eine vergleichsweise schlanke Neuaufstellung. So wird die Kommandostruktur vereinheitlicht, denn die bisherige Aufteilung mit einem Einsatzführungskommando für Auslandseinsätze sowie dem für die Landesverteidigung zuständigen Territorialen Führungskommando ist nicht mehr zeitgemäß. Alles konzentriert sich künftig auf ein Operatives Führungskommando, das für die gesamte Planung verantwortlich ist. Auch die künftige Gliederung in die vier Teilstreitkräfte: Heer, Luftwaffe, Marine und Cyberstreitkräfte macht Sinn. Wie der Ukraine-Krieg gezeigt ist die Kriegsführung im digitalen Raum heute von entscheidender Bedeutung. Ohne die entsprechenden Daten ist künftig kein Krieg mehr zu gewinnen. Und auch gegen Desinformation und Attacken auf kritische Infrastruktur muss sich Deutschland noch besser wappnen. Ein Unterstützungskommando, das Sanitätsdienst, Logistik oder die Feldjäger zusammenfasst, ist richtig. Denn alle Teilstreitkräfte können anfordern, was sie gerade benötigen.
Die effektivsten Reformen nutzen nichts, wenn es nicht genügend Soldatinnen und Soldaten gibt, die sie mit Leben erfüllen. Für sein wohl größtes Problem, den Mangel an geeignetem Bundeswehr-Nachwuchs, hat Verteidigungsminister Boris Pistorius noch keine Patentlösung gefunden. Der allgemeine Fachkräftemangel schlägt sich auch und gerade auf die Streitkräfte nieder, in Zeiten, in der der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, wird der Soldatenberuf nicht attraktiver. An einer sehr breit angelegten gesamtgesellschaftlichen Diskussion über künftige Strategien zur Rekrutierung führt kein Weg vorbei. Braucht es eine neue Form der alten Wehrpflicht, die aus gutem Grund nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt ist? Sollen auch bestimmte Menschen ohne deutschen Pass in der Bundeswehr dienen können? Sind Arbeitsbedingungen und Vergütung in den Kasernen attraktiv genug? Mit der Strukturreform ist für die Bundeswehr nur der erste Schritt in die Zukunft gemacht. Vor ihr und dem ganzen Land liegt noch ein langer Weg.