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Kommentar: Nicht nur die Ampel drückt sich vor der Corona-Aufarbeitung

Kommentar

Nicht nur die Ampel drückt sich vor der Corona-Aufarbeitung

Michael Pohl
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    Karl Lauterbach war für die Aufarbeitung in einer Bundestagskommission, seine Fraktion aber nicht.
    Karl Lauterbach war für die Aufarbeitung in einer Bundestagskommission, seine Fraktion aber nicht. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Es war ein offenes Eingeständnis des Versagens, als Mitte dieser Woche die Koalition endgültig eines ihrer Projekte beerdigte, obwohl das Thema seit Jahren eine schlecht verheilende Narbe auf der Seele der Gesellschaft ist: „Es wird keine zusätzliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie in dieser Legislaturperiode geben“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, und räumte freimütig ein: „Es gibt nicht die Kraft in dieser Koalition.“

    Dass die geplante Aufarbeitung durch den Bundestag scheitere, sei bedauerlich. „Wir sind an zentralen Punkten nicht zusammen“, sagte Mast. Inzwischen reiche die Zeit bis zur Bundestagswahl nicht mehr für eine Aufarbeitung aus, da diese nur Sinn mache, wenn sie gemeinsam zwischen Bund und Bundesländern stattfinde.

    Die Koalition und die Corona-Aufarbeitung: Aufgeschoben und vorgeschoben

    Tatsächlich hat die Koalition das Thema solange verschoben und aufgeschoben, dass das Zeitargument nur vorgeschoben ist. Zumindest bei der SPD steckt dahinter die parteitaktische Furcht, dass die Aufklärungsarbeit am Ende der AfD helfen könnte. Die Sozialdemokraten, die in der Pandemiephase sowohl in der Großen Koalition als auch in der Ampel-Regierung politische Verantwortung trugen, blockieren das Thema seit langem mit der seltsamen Forderung, die Aufarbeitung solle ein „Bürgerrat“ übernehmen.

    Die FDP saß in der Pandemie-Hochphase im Bundestag auf den Oppositionsbänken. Nun hätte sie am liebsten einen Aufsehen erregenden Untersuchungsausschuss eingesetzt. Doch vernünftigerweise schlugen die Liberalen als Alternative vor, der Bundestag solle für die Aufarbeitung unabhängige Wissenschaftler beauftragen und eine sogenannte „Enquete-Kommission“ einrichten.

    Selbst Lauterbach und Spahn waren für die kritische Aufarbeitung

    Eine solche Kommission, die nach dem französischen Wort „enquête“ benannt ist, zu Deutsch Untersuchung, besteht neben Sachverständigen auch aus Abgeordneten aller Fraktion. Selten war dafür ein Thema besser geeignet als die Analyse und Bewertung der Corona-Politik. Selbst SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach und sein CDU-Vorgänger Jens Spahn hatten sich offen für solch eine Kommission gezeigt, auch die AfD und Linke waren dafür. Die Grünen standen dem Vorschlag eher zurückhaltend gegenüber, da sie polemischen Streit in dem Gremium fürchteten.

    Dass die Aufarbeitung nun endgültig vor der Bundeswahl platzt, wird sich genau in dieser Hinsicht rächen: Die Verweigerung liefert der AfD Wahlkampfmunition, viel gravierender erweist sich das Vorgehen aber gesellschaftspolitisch als schwerer Fehler. Viele Folgen der Coronapandemie lasten noch heute auf den Menschen: Seien es die Folgen der lange geschlossenen Schulen, seien es die psychischen Auswirkungen der Krisensituation für den Einzelnen, Long-Covid-Erkrankungen, die Machtdemonstrationen des Staats oder die prägenden Folgen für junge Menschen.

    Auch in Bayern herrscht bei der Corona-Aufarbeitung Schlusstrich-Mentalität

    Rein sachlich geht es um die wissenschaftlichen und politischen Lehren aus der Pandemie. Eine nüchterne Aufarbeitung mit dem Wissen von heute wäre keine Anklage, sondern eine Chance zum Lernen aus Fehlern und könnte am Ende gesellschaftliche Spaltungen lindern helfen. Dass dieser Prozess nicht längst begonnen wurde, zeigt, dass die Ampel auch auf dem Feld der Gesellschaftspolitik ihrem „Aufbruch“-Versprechen nicht gerecht werden kann.

    Doch nicht nur die Ampel drückt sich vor der anstrengenden Bewältigungsarbeit und unangenehmen Erkenntnissen. Auch in den Bundesländern, bis in das bei Corona-Maßnahmen besonders rigorose Bayern, herrscht bei den politisch Verantwortlichen eine Schlussstrichmentalität. Diese Denkweise verschleppt Konflikte der Gesellschaft, statt sie zu lösen.

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    1 Kommentar
    Rainer Kraus

    Zur Aufarbeitung & Analyse des Corona-Desasters müssten unabhängige Gutachter den Auftrag erhalten. Notwendig wäre es, aber die Schuldigen werden so oder so frei rumlaufen, das hat schon die Maskenbereicherungsaffäre gezeigt.

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