Dass von deutschem Boden nach der Nazibarbarei nie wieder Krieg ausgehen darf, ist seit der Gründung der Bundesrepublik Konsens. Was aber leider nicht bedeutet, dass auf deutschem Boden nie mehr Krieg stattfinden kann. Wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius also vor möglichen neuen Kriegen in Europa warnt und die Bundeswehr "kriegsbereit" machen will, spricht er nur das Offensichtliche aus. Dass das in vielen Ohren geradezu schockierend klingt, zeigt indes, wie hartnäckig sich die nach dem Ende des Kalten Krieges entstandene Überzeugung hält, dass militärische Auseinandersetzungen zumindest in Europa nicht mehr drohen.
Allzu gern wollten die Deutschen glauben, dass an die Stelle gegenseitiger Abschreckung in einer Welt, die nur aus Freunden und Geschäftspartnern besteht, eine regelbasierte Ordnung treten würde. Doch der skrupellose Einmarsch Russlands in die Ukraine, auch der mutmaßlich vom Iran unterstützte Terrorangriff auf Israel haben es bewiesen: Es gibt Kräfte, die sich um diese Regeln absolut nichts scheren. Allein ist Deutschland nicht stark genug, sich etwa gegen eine mögliche Aggression Russlands und seiner Verbündeten erfolgreich zu wehren.
Deutschland hat es sich zu bequem gemacht
Jahrzehntelang hat es sich gerade die Bundesrepublik bequem unter dem Schutzschirm der Nato eingerichtet, die angeführt von den USA mit ihrer gewaltigen Armee samt Atomraketen den Schutz garantierte. Doch diese Versicherung könnte platzen, etwa wenn im Weißen Haus wieder Donald Trump einzöge. Zumal Deutschland die besten Argumente für eine Kündigung mit seinen zurückhaltenden Beiträgen selbst geliefert hat und bis heute liefert. Gern wurde die vermeintliche "Friedensdividende" kassiert und die Bundeswehr dem Verfall preisgegeben. Mit seiner Ankündigung einer "Zeitenwende" hat Bundeskanzler Olaf Scholz das richtige gesagt. Doch die 100 Milliarden extra, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren den üblichen, keinesfalls üppigen Verteidigungshaushalt aufstocken sollen, sind nur der Anfang, auch das Richtige zu tun. Das Sondervermögen reicht bei Weitem nicht aus.
Der streitbare Niedersachse Pistorius, der der SPD mit ihrer starken pazifistischen Tradition angehört, ist um die Aufgabe nicht zu beneiden, die jahrzehntelangen Versäumnisse jetzt im Eiltempo zu korrigieren. Dazu braucht er die Unterstützung der ganzen Gesellschaft. Denn auch wenn es ein Jammer ist – das antike Sprichwort „Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg", es gilt bis heute.