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Kommentar: Joe Bidens später, bitterer Befreiungsschlag

Kommentar

Joe Bidens später, bitterer Befreiungsschlag

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    In einem dramatischen Schritt und auf großen parteiinternen Druck hin zieht sich Joe Biden aus dem Präsidentschaftsrennen zurück.
    In einem dramatischen Schritt und auf großen parteiinternen Druck hin zieht sich Joe Biden aus dem Präsidentschaftsrennen zurück. Foto: Susan Walsh, AP

    Es ist ein bitterer Abschied nach einem langen Politikerleben - in einem Post auf dem Kurznachrichtendienst X, an einem Sonntagmittag, aus der Selbstisolation seines Ferienhauses in Delaware. „Im Interesse meiner Partei und des Landes“ ziehe er seine Präsidentschaftskandidatur zurück, teilt Joe Biden den Amerikanern mit. Eine Rede soll im Laufe der Woche folgen. Die Art und der Tenor der Mitteilung lassen vermuten, wie schwer dem 81-Jährigen dieser Rückzug fällt.

    Gleichwohl ist dieser persönlich harte Schritt mehr als überfällig. Seit jener desaströsen Fernsehdebatte vor dreieinhalb Wochen zeichnete sich immer deutlicher ab: Mit Joe Biden als Kandidat hätten die Demokraten im November keine Chance. Der Präsident hat gewaltige Verdienste in seiner Amtszeit errungen. Er hat nach dem Chaos der Trump-Jahre wieder Ruhe und Verlässlichkeit ins Weiße Haus gebracht, innenpolitisch mit billionenschweren Infrastruktur- und Klimaprogrammen die Weichen weit in die Zukunft gestellt und nicht zuletzt das westliche Bündnis in Zeiten der russischen Aggression zusammengehalten.

    Der öffentliche Eindruck von Joe Biden war katastrophal

    Aber bei Wahlen werden keine Fleißkarten für die Vergangenheit verteilt. Es geht um die Frage, wem die Bevölkerung für die Zukunft mehr zutraut. Und da stand spätestens seit jenem TV-Abend, an dem Biden seine eigene Politik nicht mehr erklären konnte, ein mit narzisstischem Testosteron und mafiöser Skrupellosigkeit aufgeputschter Donald Trump einem zunehmend zerbrechlich und senil wirkenden netten Opa gegenüber. So unfair manche Ferndiagnose über Bidens Geisteszustand sein mag - was zählt, ist der öffentliche Eindruck. Und der ist katastrophal. Niemand kann ernsthaft glauben, dass der Präsident sein Amt noch weitere viereinhalb Jahre voll belastbar ausüben kann.

    Führende Demokraten - allen voran die immerhin 84-jährige, aber mental absolut klare Ex-Parlamentschefin Nancy Pelosi - haben das bald erkannt und zunächst versucht, Biden auf diskrete Art zum Rückzug zu bewegen. Doch der irischstämmige Präsident ist stolz und stur. Drei lange Wochen weigerte er sich. Inzwischen forderten mehr als 35 demokratische Kongressmitglieder offen den Abgang. Biden war dabei, sein politisches Erbe zu zerstören. In buchstäblich letzter Minute dreht er nun bei. Es ist ein Befreiungsschlag für das Land.

    Joe Biden empfiehlt Vize Kamala Harris

    Was jetzt kommt, ist vollkommen offen - und mutmaßlich ziemlich chaotisch. Einen Rücktritt eines Kandidaten vier Wochen vor dem Nominierungsparteitag und nur gut drei Monate vor den Wahlen hat es in der Geschichte der USA noch nicht gegeben. Biden empfiehlt seine Stellvertreterin Kamala Harris für den Job. Einiges spricht dafür, dass die Partei diesem Rat folgen wird. Doch auch Gegenkandidaturen sind denkbar. Dramatisch ist das nicht, solange sich die Partei im August hinter einer Kandidatin oder einem Kandidaten versammelt.

    Nach der viertägigen Heiligsprechung von Donald Trump auf dem Parteitag der Republikaner wechselt die öffentliche Aufmerksamkeit jetzt jedenfalls schlagartig auf die Seite der Demokraten. Viele Amerikaner waren nicht glücklich mit der Alternative, einem 78-Jährigen oder einem 81-Jährigen ihre Stimme geben zu können. Mit einem jüngeren und diverseren Team als die Konkurrenz können die Demokraten bei kluger Inszenierung nun punkten.

    Die wütenden Reaktionen führender Republikaner lassen keinen Zweifel zu: Ein angeschlagener, greiser Joe Biden wäre ihr Wunschgegner gewesen. Dieses Kalkül geht nun nicht auf. Im amerikanischen Wahlkampf aber wird es tatsächlich noch einmal richtig spannend. 

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