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Kommentar: Joe Bidens Geduld mit „Bibi“ ist am Ende

Kommentar

Joe Bidens Geduld mit „Bibi“ ist am Ende

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    Joe Bidens Kritik an der israelischen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu wächst.
    Joe Bidens Kritik an der israelischen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu wächst. Foto: Avi Ohayon/GPO, dpa (Archivbild)

    Sechs Monate lang hat er ihn umarmt, bekniet und ermahnt. Doch nun scheint Joe Bidens Geduld mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu aufgebraucht. Seit mehr als vierzig Jahren kennt er „Bibi“. Jetzt lässt er seinen Sprecher John Kirby nach einem halbstündigen Telefonat erklären: „Die Frustration wächst“. Wenn es „in den nächsten Stunden und Tagen“ keine echten Veränderungen der israelischen Kriegsführung im Gaza-Streifen gebe, „dann wird es Veränderungen von unserer Seite geben“.

    Israels größter Waffenlieferant, die USA, fordert eine sofortige Waffenruhe

    Das ist die bislang schärfste Kritik aus Washington seit Beginn der israelischen Bodenoffensive nach der Terror-Attacke der Hamas. Bemerkenswerterweise fehlt in der schriftlichen Erklärung des Weißen Hauses der übliche Hinweis auf das Selbstverteidigungsrecht Israels. „Inakzeptabel“ werden die tödlichen Luftschläge auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wie die gesamte humanitäre Situation im Gaza-Streifen genannt und eine „sofortige Waffenruhe“ gefordert. Erstmals wird ein direkter Zusammenhang zwischen der amerikanischen

    Zwar mochte Sprecher Kirby immer noch keine konkreten Konsequenzen für den Fall benennen, dass die Netanjahu-Regierung weiter ohne hinreichende Rücksicht auf die palästinensische Zivilbevölkerung ihre Militärmaschine durch den Gaza-Streifen walzen lässt, Lebensmittellieferungen blockiert oder gar das mit Flüchtlingen überfüllte Rafah bombardiert. Aber seine Botschaft war klar: Joe Biden will sich nicht länger von Netanjahu vorführen lassen, der keinerlei Interesse an einer Eindämmung des Krieges oder gar einer Zwei-Staaten-Lösung zu haben scheint.

    Menschen drängen sich um Pakete mit humanitärer Hilfe, die über dem nördlichen Gazastreifen abgeworfen wurden. Israel hat «sofortige Schritte» zur Erhöhung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung beschlossen.
    Menschen drängen sich um Pakete mit humanitärer Hilfe, die über dem nördlichen Gazastreifen abgeworfen wurden. Israel hat «sofortige Schritte» zur Erhöhung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung beschlossen. Foto: Mahmoud Issa, dpa

    Die Kurskorrektur ist überfällig. Washington ist der wichtigste Waffenlieferant Israels. Es unterstützt das Land jährlich mit Militärhilfen von 3,8 Milliarden Dollar. Eine klare Mehrheit der US-Bürger ist mit der Art der israelischen Kriegsführung, die nach Angaben der Gesundheitsbehörde von Gaza mehr als 30.000 Palästinensern und Palästinenserinnen das Leben gekostet hat, nicht einverstanden. Der schmale Gaza-Streifen ist komplett verwüstet, es droht eine gewaltige Hungersnot. Dass nun sieben Helfer (darunter ein US-Kanadier), die diese Katastrophe abmildern wollten, vom israelischen Militär getötet wurden, scheint Biden persönlich erschüttert zu haben.

    Joe Bidens bisherige Politik trübt seine Aussichten auf Erfolg bei der Präsidentschaftswahl

    Doch auch aus innenpolitischen Gründen ist es höchste Zeit, dass der US-Präsident den Druck auf Netanjahu massiv erhöht. Arabischstämmige und jüngere Wähler sind empört über seine bislang uneingeschränkt pro-israelische Politik. Das könnte Biden im November den Wahlsieg kosten: Im Swingstate Wisconsin, den er 2020 mit gerade mal 20.000 Stimmen Vorsprung gewann, haben ihm bei den demokratischen Vorwahlen am Dienstag 50.000 Frauen und Männer ihre Stimme verweigert. Längst fordern prominente demokratische Senatoren, weitere Waffenhilfen für Israel an strikte Bedingungen zu knüpfen. Und aus dem Umfeld von Ex-Präsident Barack Obama kommt die Warnung, Bidens folgenlose Ermahnungen ließen ihn schwach aussehen.

    Natürlich wird die Israel-Politik für jeden amerikanischen Präsidenten eine Gradwanderung bleiben. Biden kann seinem wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten, der von Feinden umzingelt ist, nicht einfach die militärische Unterstützung verweigern. Aber er sollte sich auch nicht von Donald Trump links überholen lassen. „Das kann so nicht weitergehen“, hat der Populist, der einst demonstrativ die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegte, vor wenigen Tagen mit sicherem Instinkt für die öffentliche Stimmung gesagt und Israel aufgefordert, seine Gaza-Offensive schnell zu beenden: „Wir brauchen Frieden.“

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