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Kommentar: Erdoğan macht Weg frei für Schwedens Nato-Beitritt: Gerade noch die Kurve gekriegt

Kommentar

Erdoğan macht Weg frei für Schwedens Nato-Beitritt: Gerade noch die Kurve gekriegt

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    Recep Tayyip Erdoğan (links) und der schwedische Premier Ulf Kristersson (rechts) reichen sich im Beisein von Nato-Chef Jens Stoltenberg die Hände.
    Recep Tayyip Erdoğan (links) und der schwedische Premier Ulf Kristersson (rechts) reichen sich im Beisein von Nato-Chef Jens Stoltenberg die Hände. Foto: Yves Herman/Reuters/AP, dpa

    Es war schon spät an diesem Montagabend, als weißer Rauch über der Hauptstadt Litauens aufstieg: Recep Tayyip Erdoğan wolle nun doch den Beitritt Schwedens in die Nato unterstützen, hieß es per interner Eilmeldung. Kurz danach bestätigte

    Noch am Montagmittag, also wenige Stunden vor dem Beginn des zweitägigen Nato-Gipfels am Dienstag, hatte Erdoğan die Aufnahme Schwedens in das transatlantische Bündnis an die weitere Annäherung seines Landes an die EU geknüpft. "Ebnet zunächst den Weg der Türkei in die Europäische Union, danach ebnen wir den Weg für Schweden", hatte Erdoğan getönt. Vor Ort und offenbar zwei Gesprächsrunden zwischen ihm, Stoltenberg und dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson später sah die Lage plötzlich anders aus. Damit dürfte auch Ungarn den Widerstand aufgeben.

    Türkei-Blockade: Nato-Generalsekretär Stoltenberg agiert als politischer Mediator

    Die Regierung unter Viktor Orbán in Budapest wollte nicht als Letzte im Kreis der 31 Mitglieder auf der Liste der Störenfriede stehen. Kein Wunder, hier handelt es sich um reinen Populismus, der keineswegs zu rechtfertigen ist. Alle Kriterien sind vonseiten des skandinavischen Lands erfüllt, nichts stand oder steht der Aufnahme mehr im Weg – außer dem Ego Erdoğans, der dachte, er könne die Allianz erpressen.

    Gut, dass sich am Ende die Macht der Mehrheit und die Kraft der Diplomatie durchgesetzt haben. Vorneweg ist der Umschwung Stoltenberg zu verdanken, der seit Jahren damit beschäftigt ist, die Verbündeten auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Der 64-Jährige profiliert sich insbesondere mit seiner Unaufgeregtheit als Vermittler, gerade in Aufregermomenten wie diesen. Er beherrscht unter anderem die Kommunikation mit Erdoğan, mit dem er in den vergangenen Wochen und Monaten besonders viel in Kontakt stand. Druck einerseits, Schmeicheleien andererseits – die Strategie hat sich buchstäblich in letzter Minute ausgezahlt. Und das Ergebnis zeigt, warum die Partner Stoltenberg nicht nur aus einem Mangel an Konsenskandidaten überredeten, als Chef der Allianz ein weiteres Jahr zu verlängern.

    Dieses Nato-Spitzentreffen wäre ohne den Norweger als Gipfel des Scheiterns in die Geschichtsbücher eingegangen. Denn man wollte gerade jetzt Geschlossenheit in Richtung Moskau ausstrahlen – und statt über interne Zwistigkeiten über die weitere Unterstützung für die Ukraine reden.

    Mit dem Nato-Beitritt Schwedens scheitert eine politische Taktik von Wladimir Putin

    Der Gesinnungswechsel Erdoğans ist eine gute Nachricht, denn Schweden stellt eine Bereicherung für das nordatlantische Bündnis dar. Vor noch zwei Jahren undenkbar, fand in dem skandinavischen Land angesichts des Angriffs Russlands und der geografischen Nähe zum Aggressor ein fundamentales Umdenken statt. Gleichwohl ist die Norderweiterung ein weiteres Zeichen für das Versagen der Politik von Wladimir Putin. Dieser wollte mit der Invasion in die Ukraine erreichen, weniger Nato an der russischen Grenze zu haben und neue Mitgliedschaften zu verhindern. Nach Finnland tritt jetzt auch Schweden bei. Damit bekommt Putin genau das Gegenteil von dem, was er wollte.

    Erdoğans Beweggründe für seine Hinhaltetaktik sind derweil kaum nachzuvollziehen. Er verhandelt gerne mit harter Hand, und seine Unberechenbarkeit hat er zu einer Art Markenzeichen perfektioniert. Nur, was wollte der türkische Präsident mit seinen politischen Spielchen erreichen?

    Am Ende profitierte lediglich die russische Regierung von der anhaltenden Blockadehaltung Ankaras. Nachdem der türkische Präsident monatelang die Bewerbung Schwedens um die Mitgliedschaft in der Nato mit dem Vorwurf verzögert hatte, Stockholm würde kurdischen Kämpfern Unterschlupf gewähren, machte er völlig überraschend und wenig glaubhaft den Wunsch der Türkei, der EU anzugehören, zu einer Voraussetzung für sein Ja zur Mitgliedschaft Schwedens. Diplomaten konnten – zu Recht – nur fassungslos den Kopf schütteln. Denn die beiden Fragen haben tatsächlich überhaupt nichts oder zumindest wenig miteinander zu tun. Hier der Club der 27 EU-Mitgliedstaaten, dort die Allianz der 31, hoffentlich bald 32 westlichen Verbündeten, inklusive der USA. Erdoğans Äußerung war leichtfertig und die Forderung geradezu lächerlich. Oder lief nun alles nach seinem Plan? Wollte er wie der Ritter auf dem weißen Pferd erscheinen, der im letzten Moment den Gipfel rettet?

    Ob die Türkei nun versuchte, ihr Nato-Vetorecht als Verhandlungsmasse zu nutzen, um Zugeständnisse von den Europäern oder aber den USA in Form von F-16-Jets zu erlangen – oder nicht. Die Verteidigungsallianz wird bald zum Wohle und zur Sicherheit aller Partner 32 Mitglieder haben. Das ist unterm Strich alles, was zählt.

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