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Kommentar: Für Europa muss der Krieg in der Ukraine ein heilsamer Schock sein

Kommentar

Für Europa muss der Krieg in der Ukraine ein heilsamer Schock sein

Margit Hufnagel
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    Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, hat die Wahl deutlich gewonnen.
    Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn, hat die Wahl deutlich gewonnen. Foto: Petr David Josek, dpa

    Die Glückwunschschreiben, die die europäischen Staatschefs in diesen Tagen aufsetzen, dürften sie mit zusammengebissenen Zähnen formulieren. Ihre guten Wünsche – alles andere wäre ein diplomatischer Affront – gelten einem Mann, der jahrelang das Potenzial hatte, die Europäische Union und alles, was sie ausmacht, in die Luft zu sprengen. Doch Viktor Orbán hat es geschafft: Er startet in seine vierte Amtszeit. Der Ungar gilt nicht nur als eine Bedrohung für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit, er rühmt sich auch gerne für seine engen Beziehungen zum Kreml.

    Doch weil die Zeiten so sind wie sie sind, ist es ruhig geworden mit der Kritik. Die Europäer haben erkannt, dass sie am stärksten sind, wenn sie zumindest versuchen, mit einer Stimme zu sprechen. Kaum etwas dürfte Wladimir Putin mehr überrascht haben als die plötzliche Einigkeit von EU und Nato. Für die Gemeinschaft waren die vergangenen Wochen eine echte Lehre. Ziel der Europäer sollte es sein, auch in Zukunft stärker das Verbindende zu suchen und zu betonen, anstatt das Trennende zu beschwören.

    Die EU muss ihre eigenen Werte verteidigen

    Und doch darf die EU allen Treueschwüren zum Trotz ihre Probleme nicht unter den Teppich kehren. Denn wenn die fatalen Fehler im Umgang mit Russland eines gelehrt haben: Wer seine eigenen Werte leichtfertig Kompromissen zum Opfer fallen lässt, der stärkt am Ende diejenigen, die nur ihren eigenen Gesetzen gehorchen wollen.

    Brüssel hat zahlreiche Verfahren entwickelt, die sicherstellen müssen, dass die Grundpfeiler der Gemeinschaft nicht angesägt werden dürfen. Ungarn, auch Polen müssen sich an die Regeln halten, die sich die EU selbst auferlegt hat und die aus gutem Grund als unumstößlich gelten. Die Freiheit der Presse, die Unabhängigkeit der Justiz, die Rechte der Opposition – all das sind Prinzipien, in denen es auch künftig keine Graubereiche geben darf und kann. Hier konsequent durchzugreifen ist eine der dringlichsten Aufgaben der Führungsspitze.

    Und doch hat gerade der Krieg gegen die Ukraine gezeigt, dass es auch den vermeintlich „Guten“ gut zu Gesicht stehen würde, etwas mehr Demut zu zeigen. Allen voran Deutschland hat es sich angewöhnt, aus einer Perspektive der moralischen Arroganz über andere Länder zu urteilen. Dabei ist das Selbstbild von der eigenen Unfehlbarkeit längst nicht mehr deckungsgleich mit der Realität. Die Polen haben vor dem unberechenbaren Mann im Kreml gewarnt, als Vertreter aus Berlin und Brüssel Putin noch jovial auf die Schulter klopften und an „Wandel durch Handel“ glauben wollten – nicht zuletzt, weil es den eigenen Volkswirtschaften so guttat. Dass es vor Kurzem die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien waren, die nach Kiew reisten, mag den Krieg nicht wesentlich beeinflusst haben, doch es hat gezeigt, dass die Unterscheidung zwischen „Kleinen“ und „Großen“ in der Europäischen Union ein Denkmuster von gestern ist. Von den Erfahrungen der anderen profitieren – das könnte ein Anfang sein.

    Auch Orbán könnte unter Druck geraten

    Umgekehrt könnte auch bei Regierungschefs wie Viktor Orbán ein wichtiger Denkprozess einsetzen. Ist er nicht komplett verblendet, dürften ihm die vergangenen Wochen gezeigt haben, dass es für ihn und sein Land kaum eine Alternative gibt zu einer engen Bindung an den Westen und zum Schulterschluss mit den europäischen Partnern. Polen ist in seiner Putin-Kritik noch viel vehementer als der Rest der EU und wird Ungarn kaum Rückendeckung geben. Will der Fidesz-Politiker nicht in der politischen Selbst-Isolation verschwinden, muss er ein klares Bekenntnis abgeben: für Europa und dessen Prinzipien.

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