Zwei Männer prägten den letzten EU-Gipfel des Jahres. Während mit Viktor Orbán der rechtspopulistische Störenfried bereits vor dem Treffen feststand, wurde die Rolle des Retters erst am Donnerstagabend besetzt. Olaf Scholz zeigte erstmals die Führung, die seit Beginn seiner Amtszeit aus Lissabon über Madrid bis Stockholm vom Regierungschef des wichtigsten Mitgliedstaats gefordert wird. Mit seinem Orbán-Kaffeetrick rettete der Kanzler zumindest vordergründig diesen wichtigen Gipfel.
Allein das Auftreten am Tag danach illustrierte die neue Wahrnehmung. Während Scholz früher oft geduckt in der Runde der eitlen Egos unterzutauchen schien, waren nun vonseiten der Kollegen Bewunderung und Anerkennung spürbar. Hinzu kam die Erleichterung über seinen geglückten Coup. Denn dieser Gipfel hätte leicht in einem Desaster enden können – mit unabsehbaren Folgen.
Neue Anerkennung für Kanzler Olaf Scholz
Wäre die EU mit dem Plan, die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen, gescheitert, hätte das nicht nur ihr Ansehen untergraben, die Gemeinschaft hätte auch katastrophale Konsequenzen für das kriegsgebeutelte Land riskiert. Zum einen wäre das Versprechen, die Ukraine „so lange wie nötig“ zu unterstützen, hinfällig gewesen. Zum anderen wären verständlicherweise unbequeme Fragen aus Washington gekommen. Wenn sich die Europäer, in deren unmittelbarer Nachbarschaft ein brutaler Krieg tobt, nicht einmal auf diesen symbolischen Schritt hätten einigen können, der sie noch dazu nichts kostet, warum sollten die weit entfernten US-Amerikaner dann weiter Milliarden und Militär liefern?
In EU-Kreisen erzählen sie sich gerne, dass die Union mit ihrem Wirken über ihre Grenzen hinaus Wirkung erzielt. Das Phänomen, das durch die Anziehungskraft der riesigen Staatengemeinschaft zustande kommt, hat sogar einen Namen: „Brüssel-Effekt“. Und nun spielt die EU ihren geopolitisch stärksten Trumpf aus. Sie bindet Länder näher an sich, die Putin in seinen imperialen Fantasien im Fadenkreuz hat. Das ist der richtige Schritt, auch wenn es sich zunächst um kaum mehr als eine Geste des Beistands handelt.
Ukraine und Ungarn: Eine Niederlage für die EU
Und dennoch ist dieser Gipfel eine Niederlage. Der eigentliche Sieger heißt Viktor Orbán. Zehn Milliarden Euro hat er an eingefrorenen Geldern freigepresst für sein Land. Dafür musste der Ungar nichts wirklich Bedeutendes opfern, erhielt gleichzeitig aber weiterhin alle Möglichkeiten, die EU in Zukunft vor sich herzutreiben. Die lässt es mit sich machen. Anstatt ihm rote Linien aufzuzeigen, haben die Staats- und Regierungschefs Orbán eine gesichtswahrende Lösung geboten. Warum haben sie ihm nicht ihre Instrumente gezeigt? Sie hätten ihm etwa das Stimmrecht entziehen können oder laut mit dem Gedanken spielen, Ungarn die Ratspräsidentschaft wegzunehmen. So aber werden mögliche Nachahmer geradezu animiert.
Natürlich möchte jeder Mitgliedsstaat zu Recht das beste Ergebnis für die eigene Bevölkerung erzielen. Trotzdem scheint es, als müssten die Beteiligten stets am Abgrund stehen, um dann die Rettung in tiefster Not als Triumph bejubeln zu können. Dabei bringt sich die Union stets selbst in diese Lage wie ein Feuerwehrmann, der das Haus in Brand steckt und sich im Anschluss fürs Löschen feiern lässt. Für die Bürger wirkt das verständlicherweise ermüdend. Denn das öffentliche Bild der EU ist stets geprägt von Krisen und Unordnung. Einen Gefallen tut sich die Gemeinschaft damit nicht.