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Kommentar : Die Ostpolitik der 1970er ist kein Modell für den Umgang mit Russland

Kommentar

Die Ostpolitik der 1970er ist kein Modell für den Umgang mit Russland

Simon Kaminski
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    Die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, Aase Lionaes, überreicht am 10. Dezember 1971 in Oslo Bundeskanzler Willy Brandt Urkunde und Medaille des Friedens-Nobelpreises für seine Ostpolitik.
    Die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees, Aase Lionaes, überreicht am 10. Dezember 1971 in Oslo Bundeskanzler Willy Brandt Urkunde und Medaille des Friedens-Nobelpreises für seine Ostpolitik. Foto: dpa, Archivbild

    Als Russland im Februar 2022 zum Generalangriff auf die Ukraine blies, dauerte es nicht lange, bis in Politik, Wissenschaft und Medien Vorwürfe an die Adresse der SPD laut wurden, sie sei noch immer im alten Denken einer Verständigungspolitik mit Moskau aus den späten 60er und 70er Jahren gefangen. Sträflich habe sie verdrängt, dass der russische Präsident Wladimir Putin mitnichten ein Mann des Friedens sei, sondern darauf aus sei, Russland wieder in eine mit der Machtfülle der untergegangenen Sowjetunion vergleichbare Position zu manövrieren. Ein Vorwurf, der abgeschwächt auch der langjährigen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gemacht wurde. Völlig aus der Luft gegriffen ist diese Kritik nicht.

    Doch seit einigen Monaten und insbesondere jetzt, während des Endspurts für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen sowie später in Brandenburg, wird die Ostpolitik Willy Brandts und des Strategen dahinter, Egon Bahr, als Blaupause hervorgezaubert, um Friedensverhandlungen mit Russland auf den Weg zu bringen.

    Der damalige sowjetische Präsident Breschnew war berechenbarer als Putin heute

    Dieser Ansatz ist allerdings untauglich - allein schon, weil die Diktatur in der Sowjetunion nicht viel mit der russischen Diktatur heute zu tun hat. Der damalige Präsident Leonid Breschnew war durchaus berechenbar - und vor allem zu konstruktiven Verhandlungen bereit. Das Einzige, was bei Präsident Wladimir Putin berechenbar ist, ist seine unberechenbare Aggression. Brandt reagierte übrigens seinerseits mit Härte und Widerstandsgeist, wenn er sich in seiner Zeit als Regierender Bürgermeister von Westberlin (1957 bis 1966) mit der damals noch stalinistisch geprägten Expansionspolitik Moskaus konfrontiert sah.

    Die Situation war eine andere, als Brandt 1966 in die Bundesregierung als Außenminister eintrat und drei Jahre später Kanzler der sozialliberalen Koalition wurde. Die Regierung Brandt hatte einen Trumpf, um Fortschritte im Verhältnis zu Moskau zu erreichen. Sie verzichtete darauf, die Oder-Neiße-Grenze zu Polen infrage zu stellen - innenpolitisch brach ein Sturm der Entrüstung los. Von Verrat war die Rede. Doch letztlich öffnete das Zugeständnis Verhandlungsspielräume. Zudem hatte die Bundesregierung das Glück, dass ihre Initiative in eine Phase fiel, in der sich nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 durch sowetische Truppen eine Entspannung zwischen den Blöcken andeutete.

    Moskau will die Ukraine, wie man sie heute kennt, vernichten

    Und heute? Der Kremlchef hat den Großangriff nicht begonnen, um sich einige Territorien im Osten des Landes einzuverleiben, er will die Ukraine, wie man sie heute kennt, vernichten. Vom Westen verlangt Putin, die handstreichartige Übernahme der Krim und die im Donbass von seiner Soldateska mit völkerrechtswidriger Gewalt erkämpften Gebietsgewinne anzuerkennen. Übrig bliebe eine von Moskau abhängige Rest-Ukraine. So sieht das „Friedensmodell“ des Kreml aus. Gerade Willy Brandt wäre kaum damit einverstanden gewesen wäre, sich über die Interessen des angegriffenen Staates derart schnöde hinwegzusetzen.

    Tatsächlich brachte die Ostpolitik der vielen kleinen Schritte, wie die Erleichterung der Besuchsregelungen von West nach Ost, Erfolge und Erleichterungen für die Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Dass machte sie populär. Dass die Sowjetunion die Fliehkräfte im Inneren und vor allem im von ihr kontrollierten Warschauer Pakt ab Mitte der 80er Jahre nicht mehr beherrschen konnte, lag jedoch an der Paralysierung des Systems durch eine dysfunktionale Wirtschaft, extremen Ausgaben für den Rüstungswettlauf und die lähmende politische Verkrustung.

    Die Ostpolitik gelang in vielen Punkten nicht zuletzt, weil sie auf realistischen Grundlagen beruhte. Eine Basis, die auch heute für das Handeln gegenüber Moskau unerlässlich ist. Realistisch ist aktuell, dass gegenüber Wladimir Putin nur eine Position der Stärke Möglichkeiten eröffnet, sich vor Aggression und Expansionslust Russlands zu schützen.

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