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Kommentar: Deutschland darf die Krise der Volksparteien nicht gleichgültig hinnehmen

Kommentar

Deutschland darf die Krise der Volksparteien nicht gleichgültig hinnehmen

Michael Pohl
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    Wütende Demonstranten demonstrieren in Paris gegen den Rechtsruck
    Wütende Demonstranten demonstrieren in Paris gegen den Rechtsruck Foto: Louise Delmotte, AP/dpa

    Nach der Wahl in Frankreich herrschte vielerorts in Europa Aufatmen: Der erwartete Triumph von Marine Le Pens rechtsradikaler Partei blieb aus – allerdings nur auf den ersten Blick. Das Linksbündnis „Neue Volksfront“ und die Liberalen von Präsident Emmanuel Macron konnten die Rechte nur mit taktischen Kniffs in Frankreichs eigenwilligem Wahlrecht ausbremsen: Gemessen an den Stimmen wurde Le Pens Partei mit gut 33 Prozent mit Abstand stärkste Kraft. Ihr Durchmarsch ins Parlament wurde nur gestoppt, weil sich Linke und Liberale mit gemeinsamen Kandidaten in den Stichwahlen gegen sie verbündet hatten.

    In Frankreich herrscht nach der Wahl politisches Chaos

    Dennoch herrscht politisches Chaos: Möglicherweise könnte sich in Paris eine Art Ampel-Koalition zusammenfinden. Allerdings sind die europafeindlichen Linkspopulisten stärkste Kraft im „Volksfront“-Bündnis. Jene Parteien, die Frankreichs Politik jahrzehntelang prägten, spielen allenfalls eine Rolle am Rande: Die Konservativen und Sozialisten kommen heute nur noch auf Werte um zehn Prozent. Und Macrons Gegenentwurf zu den etablierten Parteien kämpft gegen ein ähnliches Schicksal des langsamen Niedergangs.

    Einst hieß es, in der politischen Mitte werden Wahlen entscheiden. Heute haben politische Parteien der Mitte in Europa einen immer schwierigeren Stand. Populismus von Rechts und Links entfaltet immer stärkere Anziehungskraft.

    In den USA und Großbritannien hat der Rechtspopulismus die einst konservativen Parteien mehr oder weniger gekapert. Die britischen Konservativen verloren nun die Hälfte ihrer Wähler: Ihr verhängnisvoller Flirt mit dem Rechtsnationalismus führte zum Brexit und endete in einer Wirtschaftskrise. In den USA drohen vier neue Jahre chaotischer Unberechenbarkeit unter Donald Trump zur Belastungsprobe für den gesamten Westen zu werden.

    Die endlose Krisenserie verunsichert Politik und Gesellschaft

    Eine Ursache des Verfalls der einst so stabilen westlichen Demokratien liegt in einer scheinbar endlosen Krisenserie: Dem Terror des 11. September 2001 folgten Kriege, Spaltung und Massenflucht. Die Finanzkrise von 2008 setzte sich in Europa als Euro- und Schuldenkrise fort. Wladimir Putins brutale Kriege fordern die westlichen Demokratien ungeahnt heraus. Corona hat nicht nur seelische, sondern auch gesellschaftliche Narben hinterlassen.

    Die im Krisenmodus wachsende Verunsicherung der westlichen Gesellschaften entlädt sich auch im Wahlverhalten. Das gilt vor allem für Bevölkerungsschichten, die zu wirtschaftlichen Verlieren der Krisen zählen oder sich nicht mehr ausreichend von etablierten Parteien vertreten fühlen. Dies droht den Niedergang bisheriger Volksparteien zu beschleunigen, der schon in guten Zeiten begonnen hatte. Individuelle Selbstverwirklichung, Anspruchsdenken und Auflösung überkommener Netzwerke machen vielen Organisationen seit Langem zu schaffen.

    Freiheit und Stabilität sind Vorraussetzung für Wohlstand

    In der Politik ist der Preis dafür eine wachsende Instabilität. Die Menschen in Deutschland sollten deshalb die Krise ihrer kleinen und großen Volksparteien nicht gleichgültig hinnehmen. Freiheit und stabile Verhältnisse sind Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand. Die Lust an politischer Selbstzerstörung führt dagegen kaum zur Verbesserung der Verhältnisse, wie der Blick ins Ausland zeigt. Politische Stabilität liegt deshalb nicht nur am Verhalten von Politikerinnen und Politikern, sondern auch an den Wählerinnen und Wählern. Und daran, ob Menschen bereit sind, sich für die Demokratie zu engagieren.

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