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Kommentar: Die Bauern brauchen endlich echte Entlastungen

Kommentar

Die Bauern brauchen endlich echte Entlastungen

Sonja Dürr
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    Seit Wochen demonstrieren die Bauern, wie hier bei einem Besuch von Bundeskanzler Scholz in Baden-Württemberg.
    Seit Wochen demonstrieren die Bauern, wie hier bei einem Besuch von Bundeskanzler Scholz in Baden-Württemberg. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Die Wut der Bauern kennt keine Grenzen. In Spanien kippen erzürnte Landwirte Tomaten aus Marokko auf die Straße. In Polen und Tschechien schütten sie ukrainisches Getreide auf Bahngleise. In Brüssel setzten Landwirte in dieser Woche erneut Reifen in Brand, verschütteten Gülle und richteten Pyrotechnik gegen Polizisten. In Deutschland sind die Traktorkolonnen aus den Innenstädten verschwunden. Die Wut der Bauern aber, ausgelöst durch die Kürzung der Agrardiesel-Beihilfe, ist deswegen nicht verebbt.

    Auch wenn es bei den Protesten längst nicht mehr nur um Agrardiesel geht, bleibt die Kürzung Teil des Problems. Durch das Abschmelzen der Steuerrückerstattung haben deutsche Bauern mit die höchsten Dieselkosten im europäischen Vergleich – und damit einen Wettbewerbsnachteil. Die Ampel-Regierung in Berlin muss nun das tun, was sie seit Monaten verspricht: Sie muss den Landwirten endlich an anderer Stelle entgegenkommen und dringend notwendige Entlastungen umsetzen. 

    Die Anbindehaltung zu verbieten, ist Politik mit der Brechstange

    Es ist unverständlich, warum Agrarminister Özdemir den Landwirten stattdessen neue Regeln aufbürdet – etwa durch ein verschärftes Tierschutzgesetz. Danach dürfen in fünf Jahren in deutschen Ställen keine Kühe mehr angebunden werden. Was man in den Großbetrieben im Norden und Osten mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nimmt, wird in Bayern, wo die Hälfte der Milchviehbetriebe ihre Tiere noch angebunden hält, einen Strukturbruch auslösen. Dann dadurch verschwinden die kleinen Höfe. Dabei ist es unnötig, den Umbau der Ställe mit der Brechstange durchzusetzen. Weil Molkereien diesen Betrieben bereits weniger Milchgeld bezahlen und seit Jahren nur noch Laufställe nach aktuellen Standards gebaut werden, ist Anbindehaltung ein Auslaufmodell. Wer aber durch das neue Gesetz gezwungen ist umzustellen, dürfte das in fünf Jahren nur schwer schaffen.

    Auch mit ihrem Zaudern in Sachen Flächenstilllegung hat die Ampel-Regierung die Landwirte ohne Not weiter verunsichert. Die EU-Kommission hat als Entlastung für europäische Bauern die Vorgabe ausgesetzt, vier Prozent des Ackerlandes brachliegen zu lassen. Doch statt die Lockerung umzusetzen, diskutiert man in der Koalition lieber darüber, ob man im Gegenzug nicht die Direktzahlungen für die Betriebe kürzen müsste oder an noch mehr Auflagen bündeln. Erst in letzter Minute kam Özdemir den Bauern entgegen. 

    Die Landwirte brauchen vor allem Planungssicherheit

    Dabei scheinen die Proteste tatsächlich etwas bewirkt zu haben. Selten wurde so intensiv über die Probleme der Branche gesprochen, selten konnte sich die Bauern auf so viel Rückhalt in der Bevölkerung verlassen. Die Betriebe brauchen nun endlich wirksame finanzielle Entlastungen, eine Politik, die ihnen Planungssicherheit über Jahre gewährt und darüber hinaus endlich einen Bürokratieabbau. Denn was die Bauern frustriert, ist nicht nur eine Politik, die ihnen immer mehr aufbürdet, sondern ein enges Korsett aus Auflagen und Dokumentationspflichten. Ein Viertel seiner Zeit verbringt ein Landwirt heute am Schreibtisch. Das Problem ist nur: Jede Umweltmaßnahme und jede Reform bedeutet bisher auch ein mehr an Dokumentation. Das gilt für die komplexe Düngeverordnung oder für die oft praxisfremden Vorgaben, bis wann Gülle ausgebracht oder ab wann Gras gemäht werden darf. Özdemir hat den Landwirten möglichst bürokratieärmere Reformen zugesagt. An diesem Versprechen wird es sich messen lassen müssen.

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