Den Messias gibt es in der Bibel. In den vergangenen 17 Monaten konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, dass auch in Rom ein übermenschlicher Heilsbringer am Werke war. Die Hochachtung, mit der vor allem die etablierten Medien in der Republik vom ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank und Ministerpräsidenten Mario Draghi sprachen, („Super-Mario“) war zuweilen verwunderlich. Man hatte sich offenbar schon zu sehr gewohnt an die Fehlbarkeit der politischen Klasse. Wenn dann einer herausragt, wird er schnell vergöttert.
Draghi, so war sich die öffentliche Meinung beinahe einig, war das Beste, was Italien passieren konnte. Darüber lässt sich streiten. Ein Vordenker der politischen Avantgarde war der 74-jährige Banker gewiss nicht. Doch sicher ist auch: Italien profitierte anderthalb Jahre von Draghis Solidität, von seinem Ansehen und seiner Expertise als Personifikation des herrschenden Systems. Das war im volatilen italienischen Politikbetrieb schon die halbe Miete.
Unter "Super-Mario" wurden wichtige Reformen angestoßen
Unter Mario Draghi und mit seiner Integrationskraft, die eine Zeit lang fast alle politischen Parteien in Rom zu bändigen wusste, wurden wichtige Reformen angestoßen. Europa und die Finanzmärkte hatten eine zeitweise Garantie, dass die Milliardenhilfen aus dem Recovery Fund nicht irgendwo versickerten, sogar die Finanzmärkte hielten trotz enormer Staatsverschuldung (150 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) still. Nicht zuletzt kehrte Italien unter Draghi als gewichtiger Partner auf die internationale Bühne zurück. Im Konflikt mit Russland war das ein Vorteil.
Dennoch ist der Machtpoker der Parteien kein politischer Suizid. Politik wäre am besten nur ein Dienst an den Menschen, sie ist vor allem in Italien aber auch ein Spiel der Interessen mit Spekulation auf die beste Dividende, also Ertrag bei den Wählerstimmen. Deswegen provozierten die Machiavellis Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconis (Forza Italia) den Bruch.
Man kann das als kurzsichtig beurteilen. Sobald dann nach den Neuwahlen im Oktober die neue Rechtsregierung steht, haben die beiden Männer aus ihrer Perspektive alles richtig gemacht. Bei der Regierungskrise dürfte auch der Faktor Zeit eine Rolle gespielt haben. Berlusconi ist 85 Jahre alt und nicht bei allerbester Gesundheit. Je früher es zum Bruch kam, desto besser für ihn.
Italien hätte hingegen politische Stabilität nötig gehabt, auch wenn das Draghi-Wunder nur bis zu den regulären Wahlen im Frühjahr angedauert hätte. Dann hätte „Super-Mario“ regulär abtreten und das Land auf eigenen Beinen gehen müssen. Das gilt auch für die EU-Finanzierungen, die eben nicht für Draghi, sondern für Italien mit all seinen Widersprüchen bestimmt sind.