Und jährlich schockt der Wehrbericht: In der Bundeswehr fehlt es an allem, von anständigen Quartieren für die Einsatzkräfte bis zu Hubschraubern, die auch wirklich fliegen. Leider hat der Schock in der Vergangenheit aber nie lange angehalten.
Angesichts des seit mehr als einem Jahr tobenden Kriegs in der Ukraine darf es nicht wieder so laufen: Dass ritualhafter Entrüstung das Versprechen der jeweiligen Regierung folgt, es künftig wirklich viel, viel besser zu machen. Und wieder ein Jahr lang Ruhe ist, bis zum nächsten Bericht. Denn nur durch dieses unselige Muster konnten die skandalösen Zustandsbeschreibungen einer Armee, die einem Angriff auf das Land viel zu wenig entgegensetzen könnte, zum festen Bestandteil des politischen Kalenders werden.
In Wahrheit war es ja so: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, dem Ende des Kalten Kriegs, schien Deutschland nur noch von Freunden umgeben. Die Bundeswehr, die im Verbund mit den Nato-Partnern, allen voran den USA, jahrzehntelang für Frieden gesorgt hatte, wurde zum Stiefkind der Gesellschaft. Fast das ganze Land, allen voran SPD-Kanzler Gerhard Schröder, sah den russischen Diktator Wladimir Putin durch die rosarote Brille, glänzende Geschäfte mit billigen Rohstoffen wie Erdgas aus Sibirien vernebelten den Blick noch weiter. Aber auch die Union um Angela Merkel blendete die Bedrohung, die von dem Despoten im Kreml ausging, geflissentlich aus.
Jahresbericht 2022: Die Bundeswehr wurde systematisch kaputtgespart
Die Annexion der Krim 2014 interessierte in Berlin kaum, auch die Sorgen der Partner in Osteuropa und dem Baltikum stießen auf taube Ohren. Deutschland war viel zu sehr damit beschäftigt, die "Friedensdividende" einzustreichen: mehr Handel mit Russland, weniger Ausgaben für die eigene Verteidigung. Die Bundeswehr wurde systematisch kaputtgespart, sie schien ja allenfalls noch für Auslandseinsätze in weiter Ferne nötig zu sein. Was noch an Anstrengungen für die Sicherheit nötig war, wurde den Amerikanern überlassen.
Putins Angriff auf die Ukraine hat die deutschen Lebenslügen gnadenlos entlarvt. Zu einer Antwort auf mögliche russische Feindseligkeiten gegen Nato-Gebiet hätte Deutschland beschämend wenig beizutragen. Um von der Fähigkeit, sich gegen einen entschlossenen, gut bewaffneten Aggressor selbst zu verteidigen, gar nicht erst zu sprechen. Dass sich nach der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz vor gut einem Jahr nun einfach der Hebel umlegen lassen würde, war nicht zu erwarten.
Erschreckend ist aber, wie wenig anschließend bei der Bundeswehr passiert ist. Nichts ist von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Ertüchtigung der Streitkräfte dort angekommen. Waffen, die an die Ukraine gingen, wurden nicht ersetzt. Es ist etwa völlig unvorstellbar, dass etwa die wichtigen Panzerhaubitzen nicht nachbestellt wurden. So wurden die Lücken bei der Ausrüstung der Bundeswehr sogar immer noch größer.
Der Druck auf Verteidigungsminister Boris Pistorius ist riesengroß
Christine Lambrecht schien mit der Mammutaufgabe, die eingerostete Riesen-Maschine Bundeswehr wieder flottzumachen, schlichtweg überfordert. Mit dem pragmatischen und zupackenden Boris Pistorius, der es in nur wenigen Wochen geschafft hat, einen guten Draht zur Truppe aufzubauen, hat Olaf Scholz nun offenbar die richtige Besetzung gefunden. Für die Mängel, die auch im aktuellen Wehrbericht von Eva Högl wieder in all ihrer beschämenden Breite aufgelistet werden, kann er nicht verantwortlich gemacht werden. Auch in einem Jahr kann und wird aus der Bundeswehr noch keine Vorzeige-Armee geworden sein. Doch der Druck auf Pistorius ist riesengroß.
Ist der Weg zur echten Zeitenwende auch weit, zumindest eine sichtbare Trendwende muss ihm schnell gelingen. Denn bei der Bundeswehr-Ertüchtigung geht es nicht etwa um eine Aufrüstung. Sondern um die grundlegende Ausrüstung der Frauen und Männer, die notfalls mit ihrem Leben für die Sicherheit ihrer Mitmenschen einstehen.