Angela Merkel hat die Latte schon einmal hoch gehängt. Die mit Spannung erwarteten Sondierungsgespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition, die am Mittwoch mit zwei separaten Treffen der Delegation von CDU und CSU mit den Vertretern der FDP um 12.00 Uhr und der Grünen um 16.30 Uhr in den Räumen der noblen Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft beginnen, müssten schon deutlich mehr sein als „ein persönliches Kennenlernprogramm“. Vielmehr werde es sofort und intensiv um die Sachfragen und somit um das gesamte künftige Regierungsprogramm gehen. Und das, so machte die CDU-Chefin und Bundeskanzlerin am Montag im Konrad-Adenauer-Haus deutlich, könne schon einmal dauern. Sie selber rechne „mit mehreren Wochen“. Mehr noch: „Uns ist klar, dass es nicht einfach wird.“
So sehen es alle Beteiligten in Berlin. Einfach wird es nicht, heißt es in seltener Eintracht auch bei der CSU, der FDP und den Grünen. Und durch die Wahlen in Österreich, wo Sebastian Kurz mit einem klaren rechten Profil die ÖVP zur stärksten Partei machte, und in Niedersachsen, wo alle drei potenziellen Regierungsparteien zu den Verlierern gehörten und Stimmen verloren, sind sie nicht einfacher geworden. In der Union tobt ein Richtungsstreit um den künftigen Kurs, die bayerische CSU wie die Konservativen in der CDU fordern eine Abkehr von der Politik der Mitte und einen deutlichen Ruck nach rechts, um der AfD das Wasser abzugraben.
Aus der CSU kommen versöhnliche Töne
Unabhängig davon kommen aus der CSU auch versöhnliche Töne: „Es sollte nicht an der CSU scheitern“, sagt Entwicklungsminister Gerd Müller unserer Zeitung. „Wir wollen zügig und wirksam verhandeln, um noch vor Weihnachten zu einer neuen Regierung zu kommen. Dabei müssen wir das Beste aus dem schwierigen Wahlergebnis machen und sicher auch Kompromisse eingehen.“ Aber eine neue Koalition biete auch Chancen, „Verkrustungen aufzulösen und neue Antworten und Impulse für eine neue Zeit zu geben“, sagt Müller, der auch der CSU-Delegation angehört.
Angela Merkel ist, wie es in Unionskreisen heißt, entschlossen, die Union in der geplanten Jamaika-Koalition als Partei des sozialen Gewissens und als Anwalt der kleinen Leute zu positionieren. Bei ihrem Auftritt im Adenauer-Haus am Montag nannte sie die Themen Rente und Pflege als zentrale Punkte, auf denen das Hauptaugenmerk der Union liegen müsse, ebenso die Zukunft der ländlichen Räume und die Bezahlbarkeit des Wohnraumes. So sollen durch die schnelle Abschaffung des „Soli“ und eine Steuerreform vor allem die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen entlastet und vor allem die Rentner bessergestellt werden. Im Bundestagswahlkampf habe sich gezeigt, dass die soziale Frage die Menschen stärker bewege als alles andere, heißt es im Kanzleramt, die Union müsse sich wieder stärker auf die „christliche Soziallehre“ besinnen.
Teile der Union wehren sich gegen Ausweitung von Sozialleistungen
Gegen eine Ausweitung der Sozialleistungen läuft allerdings der Wirtschaftsflügel der Union Sturm. Er erteilt vor allem der CSU-Forderung nach der zweiten Stufe der Mütterrente eine klare Absage. „Nach den großen Rentengeschenken der letzten Legislaturperiode dürfen die Verhandler keine neuen Rentenleistungen vereinbaren, welche die junge Generation überstrapazieren und die Rentenkasse belasten“, sagt der Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, Wolfgang Steiger, unserer Zeitung. „Wenn die CSU auf die Mütterrente 2.0 besteht, muss sie gleichzeitig klarmachen, wie diese finanziert werden soll, ohne die junge Generation zum alleinigen Lastesel zu machen.“ Es sei „verantwortungslos“, den jungen Beitragszahlern die Kosten von rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr „noch zusätzlich auf die Schultern zu packen“, so Steiger. Der Schlüssel zu auskömmlichen Renten für die Älteren ohne Überlast für die Jüngeren liege einzig in der Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung.
FDP-Chef Christian Lindner indes ist mit der Forderung vorgeprescht, dass das Finanzministerium in einer neuen Koalition nicht wieder an die CDU gehen solle. „Ein Grüner, ein CSU- oder ein FDP-Finanzminister – alles wäre besser, als das Kanzleramt und das Finanzministerium weiterhin in CDU-Hand zu halten, denn so wird durchregiert. Das hat sich nicht bewährt“, sagte er. Finanzminister ist derzeit noch Wolfgang Schäuble (CDU).
Diese Politiker aus der Region verhandeln über Jamaika:
Unter den 58 Unterhändlern von CDU, CSU, FDP und Grünen, die eine Jamaika-Koalition ausloten, sind auch fünf Politiker aus unserer Region.
Alexander Dobrindt: Anspruchsvoll und aufreibend würden die Verhandlungen, prophezeit der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe. Dobrindt, im oberbayerischen Peißenberg zu Hause, hat die Marschroute vorgegeben: „Wir werden keine linken Spinnereien dulden.“ Die Grünen müssten akzeptieren, dass sie im Prinzip einer bürgerlichen Regierung von Union und FDP beitreten.
Thomas Kreuzer: Als Vorsitzender der Landtagsfraktion ist der Abgeordnete aus dem Allgäu einer der mächtigsten Männer in der CSU. Neben Parteichef Horst Seehofer, Dobrindt, Generalsekretär Andreas Scheuer und Innenminister Joachim Hermann gehört der 58-Jährige zum Kernteam, das immer dann gefordert sein wird, wenn es besonders knifflig zu werden droht.
Gerd Müller: Mit den Grünen hat der Entwicklungsminister weniger Berührungsängste als andere CSU-Granden. Der 62-Jährige, wie Kreuzer im Allgäu zu Hause, könnte in heiklen Fragen eine Rolle als Vermittler spielen, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. Mit insgesamt zwölf Jahren als Staatssekretär und Minister hat Müller jede Menge Koalitionserfahrung. Er hat mit SPD und FDP regiert – fehlen nur noch die Grünen.
Kurt Gribl: Der Augsburger Oberbürgermeister ist in Personalunion auch stellvertretender CSU-Vorsitzender und Präsident des bayerischen Städtetages. Schon deshalb wird er in den Gesprächen die Interessen der Kommunen besonders im Auge haben. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise war er deshalb mehrfach bei Angela Merkel im Kanzleramt. Gilt als pragmatisch und kompromissfähig.
Claudia Roth: Die 62-Jährige ist eine Grüne mit Erfahrung und großem Rückhalt an der Basis. Die Vizepräsidentin des Bundestages gehört zu den Wortführerinnen des linken Parteiflügels und wird vor allem am Ende der Verhandlungen gefordert sein. Sie müsste die skeptischen Fundis überzeugen, dass es klüger ist, den einen oder anderen Kompromiss einzugehen und Jamaika zu wagen, als in der Opposition weitere vier Jahre die reine grüne Lehre zu vertreten. mit rwa