Am bitteren Ende kam es zu dem Szenario, das in Regierungskreisen hinter vorgehaltener Hand schon vor dem Koalitionsausschuss skizziert worden war: Finanzminister Christian Lindner überdreht den Bogen so stark, dass Kanzler Olaf Scholz keine andere Möglichkeit mehr sieht, als den FDP-Vorsitzenden zu entlassen – und damit dem Ampel-Bündnis ein vorzeitiges Ende zu setzen. Diesen Weg beschritt Scholz am späten Mittwochabend in Berlin, nachdem der Koalitionsausschuss zuvor bei einem knapp dreistündigen Treffen vergeblich versucht hatte, die Regierung zu retten.
Die Blockade-Haltung der FDP und ihres Vorsitzenden Lindner ließ dem Kanzler aus seiner Sicht zum Schluss keine Wahl. Olaf Scholz sah keine Chance mehr, sozialdemokratische Politik in der Ampel durchzusetzen, er entließ Lindner aus dem Amt. „Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich“, sagte Scholz, der seine Erklärung am späten Abend mit überraschend harter Kritik an Lindner verband.
Ende der Ampel: Scholz will im Januar Vertrauensfrage stellen
Scholz will nun bis Weihnachten noch wichtige Gesetze durch Bundestag und Bundesrat bringen, darunter die neuen Beschlüsse zur Stärkung der Rente. Weil die reguläre Bundestagswahl Ende September 2025 in „zu weiter Ferne“ liege, strebt Scholz Neuwahlen an. In der ersten Sitzung des Bundstages im neuen Jahr will er die Vertrauensfrage stellen. Darüber abgestimmt werden soll am 15. Januar. Neuwahlen soll es dann bis Ende März geben.
Der Kanzler hatte schon am Montag in den Rettungsmodus geschaltet: Das Ampel-Trio gab sich seitdem täglich die Klinke in die Hand und lotete die Chancen für einen Fortbestand aus. Doch die gab es nicht. Zu oft habe Lindner Gesetze blockiert, zu oft habe er kleinkariert taktisch agiert, sagte der Kanzler. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“.
Er habe, betonte der Regierungschef, der FDP am Nachmittag noch einmal „umfassendes Angebot zur Stärkung Deutschlands in einer schwierigen Zeit vorgelegt.“ Vier Kernpunkte seien das gewesen: bezahlbare Energiekosten durch eine Deckelung der Netzentgelte, Hilfen für die Automobilindustrie und ihre Zulieferer, die Einführung einer Investitionsprämie sowie die Erhöhung der Unterstützung für die Ukraine. Lindner jedoch habe „keinerlei Bereitschaft“ gezeigt, dieses Angebot zum Wohle des Landes umzusetzen. Seine Entlassung sei „unumgänglich“ gewesen. Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung verweigere, der handele „verantwortungslos“, erklärte Scholz.
Im März könnte es Neuwahlen geben
Bis zu den Neuwahlen im März wird Scholz mit den Grünen weitermachen. Das würde eine gewisse Kontinuität in der Außenpolitik nach sich ziehen, die in diesen Zeiten besonders wichtig wäre. Der neue US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, die Hilfen seines Landes für die Ukraine zu reduzieren oder sogar ganz zu streichen. In dieses Vakuum muss die Europäische Union vorstoßen und Deutschland als stärkste Nation neben dem zerstrittenen Frankreich kann hier die Führungsrolle übernehmen.
Was den Haushalt für 2025 angeht, hat der Gesetzgeber vorgesorgt. Eine Zahlungsunfähigkeit, ein Haushalts-„Shutdown“ wie in den USA beispielsweise, kann es in Deutschland nicht geben. Die vorläufige Haushaltsführung garantiert die Auszahlung von Löhnen und Gehältern für Staatsbedienstete. Bereits beschlossene Investitionen können ausgeführt werden. Neue Vorhaben sind indes nur möglich, wenn SPD und Grüne dafür eine Mehrheit zusammenbekommen. Aber auch da sieht es nicht so ganz düster aus. Aus Regierungskreisen verlautete, dass die FDP sich zwar rausnimmt, die beiden anderen Parteien aber durchaus noch unterstützen will. Das sei Bestandteil des Deals, erklärte ein hochrangiger Regierungsbeamter.
Die Union kann sich in der Regierungskrise neu positionieren
Und die Union? Die wird sich jetzt taktisch klug aufstellen müssen. Denn als wahrscheinlichster Koalitionspartner in einer neuen Regierung kommt ausgerechnet jene SPD in Betracht, die sie in den letzten Tagen und Wochen so heftig kritisiert hat.
Die bayerische FDP hat den Bruch der Koalition und die geplanten Neuwahlen begrüßt. „Besser neue Wahlen als neue Schulden“, sagte der bayerische FDP-Vorsitzende Martin Hagen unserer Redaktion. „Der Kanzler wollte Politik auf Pump statt echter Strukturreformen, dafür ist die FDP nicht zu haben“, sagte er.
Vor dem Treffen der Koalitionsspitzen hatte es in der Tendenz noch so ausgesehen, dass die Ampel halten könnte. „Ich wünsche mir, dass alle jetzt parteitaktische Überlegungen über Bord werfen, dass man sich auch im Koalitionsausschuss heute Abend in die Augen guckt, dass man sich noch mal klarmacht, welche Verantwortung man jetzt trägt“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil in der ARD und gab damit seiner Hoffnung Ausdruck, dass unter dem Eindruck des Politikwechsels in den USA nicht auch noch die Bundesregierung auseinandergehen und damit das Gefühl der Unsicherheit erhöhen werde. Das war eine Illusion.
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