Koalitionen sind fragile Gebilde. Ohne Teamgeist funktionieren sie nicht – gleichzeitig aber will sich jede Ministerin und jeder Minister auch selbst in Szene setzen. Vor allem die Mitglieder, die neu in einem Kabinett sind, profilieren sich in den ersten Monaten nach einer Wahl gerne mit einem Überangebot an Vorschlägen und Ideen. Ministerinnen wie Manuela Schwesig, die die Republik mit einem Plädoyer für staatlich subventionierte Vollzeitstellen überrascht hat, bei denen junge Eltern nur noch 32 Stunden arbeiten sollen – oder Minister wie Heiko Maas, der den alten Streit um das Speichern von Daten auf Vorrat ohne Not wieder angefacht hat. Eine Woche vor der Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg steht die Große Koalition deshalb plötzlich als zerstrittener Haufen da.
Vorstöße von Schwesig und Maas
Volker Kauder, der Fraktionschef der Union, will zwar noch nicht von einem Fehlstart reden. So wie im Moment jedoch, warnt er, könne es die nächsten vier Jahre nicht weitergehen. Die Vorstöße von Schwesig und Maas hätte ein alter Kämpe wie er vielleicht noch als zwei der üblichen Aufgeregtheiten zu Beginn einer Legislaturperiode abgetan. Als dann allerdings auch noch die neue Sozialministerin Andrea Nahles weit über die nächste Bundestagswahl hinaus dachte und über einen höheren Steuerzuschuss zur Rentenversicherung spekulierte, war für Kauder der Punkt erreicht, an dem er die Kollegen von der SPD mit Hilfe der Bild-Zeitung öffentlich zur Ordnung rufen musste.
Auch die Kanzlerin, heißt es, soll die jüngsten Debatten vom Krankenbett aus alles andere als amüsiert verfolgt haben. Bei der Klausur in Meseberg, darf man annehmen, wird es deshalb nicht nur um die Energiewende, die Rente und den Datenschutz gehen, sondern auch um das Binnenklima der Koalition.
Es ist ja auch einiges zusammengekommen in den knapp vier Wochen seit der Vereidigung des Kabinetts. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat der CSU empfohlen, sich im Ton gegenüber Bulgaren und Rumänen zu mäßigen: „Das schadet Europa und das schadet Deutschland.“ Merkels Sprecher Steffen Seibert kanzelte Familienministerin Manuela Schwesig mit Billigung der Kanzlerin vor der Hauptstadtpresse für ihren 32- Stunden-Vorschlag ab: „Ein persönlicher Debattenbeitrag“. Innenminister Thomas de Maizière forderte Justizminister Heiko Maas öffentlich auf, strittige Themen wie die Vorratsdatenspeicherung nicht im Alleingang anzugehen, sondern zuerst mit ihm zu besprechen: Als Koalitionspartner, stichelte er, erwarte er von den Sozialdemokraten einen anderen Umgang als bisher.
Kodex für Regierungsmitglieder, die in die Wirtschaft wechseln
De Maizière und Maas haben in der Zwischenzeit zwar versucht, ihren Streit in kleiner Runde beizulegen – mehr als die unverbindliche Formel, man bleibe im Gespräch, kam dabei bisher allerdings nicht heraus. Dafür macht die Koalition an anderer Stelle den einen oder anderen Fortschritt: Für Regierungsmitglieder, die in die Wirtschaft wechseln wollen, soll es schon bald eine Art Ehrenkodex geben, außerdem soll eine Runde von Staatssekretären den jüngsten Streit um die Zuwanderung entschärfen. „Kein Motor, der das erste Mal gestartet wird, läuft gleich rund“, entschuldigt sich der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer.
Angela Merkel, Sigmar Gabriel und die anderen Minister, die vor acht Jahren schon dabei waren, werden sich allerdings noch daran erinnern, dass die letzte Große Koalition deutlich harmonischer in ihre gemeinsame Regierungszeit gestartet ist – obwohl auch dieses Bündnis alles andere als gewollt war. Damals zitierte die neue Kanzlerin in ihrer Antrittsrede nicht nur Willy Brandt, sondern lobte ihren Vorgänger Gerhard Schröder ausdrücklich für dessen Sozialreformen – und der neue Fraktionschef Kauder saß strahlend neben seinem SPD-Kollegen Peter Struck, als er seine Bilanz der ersten 100 Tage in einem kurzen Satz zusammenfasste: „Wir sind doch eine prächtige Truppe.“